Abdallah Alkhatibs Dokumentarfilm «Little Palestine. Diary of a Siege» verbindet die Geschichte der syrischen Revolution, die Rolle der palästinensischen Diaspora in der Revolution sowie eines der perfidesten Mittel der Kriegsführung des syrischen Regimes miteinander: die Hungerblockaden.
Klein Palästina meint den Damaszener Stadtteil Yarmouk (Mukhayyam al-Yarmouk), welcher 1957 für einen Teil der 100.000 in Folge der Nakba nach Syrien geflohenen Palästinenser*innen gebaut wurde und als Hauptstadt der palästinensischen Diaspora gilt. Alkhatibs Film stellt die Würde und den Widerstand der einfachen Leute während der von 2013–2015 anhaltenden ersten militärischen Blockade Yarmouks dar. Er entlarvt mit seinem Film die Rhetorik des syrischen Regimes, sich für die Befreiung Palästinas einzusetzen. Das syrische Regime setzt Aushungerung immer noch als Waffe gegen die syrische Bevölkerung ein, in den Hochzeiten belagerte es über 50 Gemeinden in ganz Syrien. Durch den Film entsteht ein beeindruckendes Zeugnis dieser Waffe und des Widerstands dagegen. Mit seiner Kamera schreibt Alkhatib die Belagerung Yarmouks in die Geschichte der Gewaltakte ein, die das syrische Regime gegen Palästinenser*innen verübt hat. Sein Film zeigt deutlich, wie palästinensisches und syrisches Schicksal zusammenhängen und Kämpfe um Freiheit nicht gegeneinander ausgespielt werden können, sondern auf Solidarität basieren – vor allem wenn die Fassbomben fallen.
Ansar Jasim: Du hast die gesamte Belagerung Yarmouks miterlebt und konntest erst 2018 Damaskus über das syrisch-russische «Versöhnungsabkommen» verlassen. Es war überhaupt nicht klar, dass du diese Situation überlebst. Wie hast du unter diesen Umständen darüber nachgedacht, einen Film zu machen?
Abdallah Alkhatib: Während der Belagerung von Yarmouk habe ich mit dem Ziel gefilmt, die täglichen Menschenrechtsverbrechen zu dokumentieren. Ich war ja nicht der einzige, der in Yarmouk gefilmt hat, denn die meisten haben entweder für Social Media-Plattformen gefilmt oder für Nachrichtenagenturen. Und weil es so viele Aktivist*innen gab, habe ich versucht an jene Orte zu gehen, an denen nicht viel gefilmt wurde. Ich musste ja keine Nachrichten produzieren und war daher unabhängig – ich wollte unsere Straßen, unsere Häuer festhalten. Aber ich wusste auch nicht wirklich, wie man filmt. Ein paar Freund*innen und das Internet haben mir da weitergeholfen.
Ansar Jasim hat in Marburg und London Politik und Wirtschaft Westasiens und Nordafrikas studiert. Sie beschäftigt sich mit zivilgesellschaftlicher Solidarität aus theoretischer und praktischer Perspektive mit besonderem Fokus auf Syrien und Irak.
Abdallah Alkhatib ist ein palästinensisch-syrischer Menschenrechtsaktivist aus Yarmouk, Damaskus. Seit 2011 war er Teil der friedlichen Bewegung gegen das Assad-Regime. 2017 gründete er mit anderen Aktivist*innen den literarischen Blog «sard.network».
Was war die erste und die letzte Szene, die du mit der Kamera gefilmt hast?
Die erste Szene, die ich mit dieser Kamera gefilmt habe, war mit Hassan Hassan, einem palästinensischen Regisseur, der vom syrischen Regime Ende 2013 ermordet wurde. Einen Tag bevor er Yarmouk verlassen hat, übergab er mir seine persönliche Kamera. Er konnte nicht länger in Yarmouk bleiben und somit auch nicht länger filmen. Er litt extrem unter der angespannten Situation in der Belagerung. Ich habe also die Kamera genommen, angestellt und mit ihm ein Interview geführt. Wir waren auf dem Fahrrad. Ich habe versucht ihn zu Yarmouk, seiner Einstellung zur syrischen Revolution zu fragen und was er meint, was in Syrien passiert. Das war wohl das letzte gefilmte Material zu Hassan Hassan.
Das letzte, was ich mit dieser Kamera gefilmt habe, war ein Zelt in Nord-Syrien 2018, nachdem wir im Mai dorthin in das Camp Deir Ballout transportiert worden waren. Ich habe so gut es ging versucht, den Alltag in dem Camp zu dokumentieren. Aber als ich raus bin in Richtung Türkei, habe ich die Kamera in Syrien gelassen und an jemanden weiter gegeben, der nun damit filmt. Meine persönliche Geschichte als Filmer begann im Camp Yarmouk – dem Ort unserer ersten Nakba – und endete mit einem Zelt im Norden Syriens – nach einer erneuten Nakba.
Dein Film verbindet palästinensische und syrische Geschichte. Keine leichte Sache angesichts der Instrumentalisierung der palästinensischen Frage durch das syrische Regime und der weitgehenden Teilnahmslosigkeit seitens der palästinensischen Zivilgesellschaft außerhalb Syriens gegenüber den Kriegsverbrechen in Syrien und an der Bevölkerung in Yarmouk. Welche Bedeutung hat dein Film im syrischen und palästinensischen Kontext?
Bisher gibt es noch keinen Dokumentarfilm, der sich innerhalb der syrischen Revolution mit der palästinensischen Sache beschäftigt. Ich habe in diesem Film versucht, die Sache der Palästinenser*innen in Syrien und insbesondere im Camp Yarmouk zu beleuchten und die organische Beziehung zwischen Palästinenser*innen und Syrer*innen aufzuzeigen. Wenn uns jemand fragt, woher wir sind, dann sagen wir, dass wir syrische Palästinenser*innen sind. Die syrische Identität ist ein Teil von mir wie die palästinensische. Der Film heißt zwar «Little Palestine», behandelt aber einen Ort, der in Damaskus ist.
Das syrische Regime behauptet ja, der stärkste Vertreter palästinensischer Interessen zu sein…
Das Gegenteil ist natürlich der Fall! Das gleiche Regime, das Syrer*innen tötet, tötet Palästinenser*innen. Und ich denke, der Film ist ein wichtiges Dokument, das wir jenen Palästinenser*innen, die das Regime verteidigen, weil es Teil des Widerstands gegen Israel sei, vor Augen halten müssen. Wir müssen zeigen, was das Regime mit den Palästinenser*innen gemacht hat, die sich der syrischen Revolution angeschlossen haben.