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Zwischen Armut, Bomben und Entrechtung

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Jakob Reimann,

Ein Straßenzug in der nach einem Luftwaffenangriff der von Saudi-Arabien geführten Koalition im April 2015 zerstörten Hauptstadt Jemens, Sana'a. In der Mitte der unasphaltierten Straße ist ein großes Loch im Schotter. Rechts der Rohbau eines ehemaligen Hauses, es fehlen sämtliche Fensterscheiben.  fenster
Der Krieg hat die Situation von Frauen im Jemen erheblich verschlechtert. Doch es gibt auch Ansätze feministischer Selbstorganisation für einen gerechten Frieden. Zerstörungen in Sanaa nach einem Luftwaffenangriff der von Saudi-Arabien geführten Koalition im April 2015. Bild: Ibrahem Qasim

Das Leben von Frauen im Jemen ist in weiten Teilen von großer familiärer Verantwortung, gleichzeitig Entbehrungen, Gewalt und Exklusion geprägt. In den Geschlechtergleichheits-Rankings global führender Organisationen belegt der Jemen regelmäßig den letzten Platz. Strukturelle Diskriminierung, ein strenges Patriarchat, Ausschluss aus dem gesellschaftlichen und politischen Leben, häusliche Gewalt, wirtschaftliche Not und Zwangsehen von Minderjährigen sind Realitäten, die die Lebenswelten vieler jemenitischer Frauen und Mädchen durchdringen.

Seit März 2015 wütet im Jemen ein Krieg, der laut UN die «schlimmste humanitäre Krise der Welt» zur Folge hatte. Zwar war die Lage der Frauen auch vor 2015 von großen Ungerechtigkeiten geprägt, doch hat die Geißel des Krieges Frauen besonders hart getroffen und viele Aspekte ihres Lebens dramatisch verschlechtert. Das Ende des Krieges ist damit die zentrale Voraussetzung aller emanzipatorischer Kämpfe im Jemen. Gestützt auf Ergebnisse empirischer Friedensforschung sollten Frauengruppen eine zentrale Rolle in den Friedensverhandlungen spielen.

Jakob Reimann hat Chemie in Dresden studiert und danach in Palästina, Israel und verschiedenen Ländern in Osteuropa gelebt und gearbeitet. Als freier Journalist und Autor schreibt er für verschiedene linke Medien über Krieg und Frieden in Westasien und Nordafrika, speziell zum Jemen.

Verheerende Ungleichheit

Im jüngsten Bericht zum Gender Development Index des UN-Entwicklungsprogramms, in dem Gesundheit, Bildung und Lebensqualität von Frauen und Männern quantitativ bewertet werden, weist der Jemen die größte Ungleichheit zwischen den Geschlechtern aller 189 untersuchten Länder auf. Im diesjährigen Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums (WEF) lag der Jemen hinter Afghanistan auf dem vorletzten Platz. In der Kategorie der Ungleichheit im Zugang zu medizinischer Versorgung liegt der Jemen beim WEF zwar im Mittelfeld, belegt jedoch in den anderen drei Hauptkategorien – Bildung und politische sowie wirtschaftliche Teilhabe – je einen der hintersten Plätze. Hervorzuheben ist der gravierende Unterschied im Einkommen, so liegt das Gehalt von Frauen im Jemen bei nur sieben Prozent von dem, was Männer verdienen.

Die Ursachenanalyse für diese Ungleichheit ist komplex und vielschichtig; reduktionistische und orientalistisch-rassistische Erklärungsmuster zu bemühen, ist kategorisch abzulehnen. Eine in Teilen tribalistisch organisierte und patriarchal geprägte Gesellschaft ist ein Teilaspekt. Auch gilt der Jemen als eines der religiösesten Länder der Welt, mit einer in vielen Landesteilen sehr konservativ gelebten Islamauslegung. Andererseits tragen ökonomische Faktoren wesentlich zur Ungleichheit bei, so verfügt der Jemen weltweit über eines der geringsten Pro-Kopf-Einkommen und ist unter den 20 am wenigsten entwickelten Ländern (nach dem Human Development Index) das einzige, das nicht in Afrika liegt. Die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes korreliert in vielen Aspekten mit der Stellung der Frau in der jeweiligen Gesellschaft, was im Jemen ein zentraler Aspekt ist. Auch ist die Geschichte des ärmsten Landes der arabischen Welt geprägt von britischer und osmanischer Besatzung und durchzogen von einer schier überwältigenden Zahl an verheerenden Konflikten. Der Zusammenhang zwischen Kriegen und einer sich verschlechternden Lage der Frauen, insbesondere ein Anstieg der Gewalt gegen Frauen, ist empirisch klar belegt.

«Konflikte und Situationen erhöhter Instabilität verschärfen bereits bestehende Muster der Diskriminierung von Frauen und Mädchen und setzen sie einem erhöhten Risiko der Verletzung ihrer Rechte aus», schreibt das UN-Menschenrechtskommissariat in einem Bericht aus diesem Jahr. «Jemenitische Frauen wurden schon vor dem Krieg oft schlecht behandelt, auch wurden ihnen eine Vielzahl einfachster Rechte vorenthalten», erklärt Boshra Alansi von Mwatana for Human Rights, einer führenden jemenitischen Menschenrechtsorganisation, «doch der Krieg hat dieses Leiden weiter verschärft und die gegen sie begangenen Menschenrechtsverletzungen verschlimmert.» *

Die Kriegsfolgen treffen Frauen besonders hart

Die von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten geführte Kriegskoalition setzt im Jemen als Kriegstaktik die vorsätzliche Zerstörung des Gesundheitswesens ein. Kleinkinder, Schwangere und stillende Mütter sind am gravierendsten von den Folgen dieser systematischen Dezimierung betroffen. Bereits 2017, nach zwei Jahren saudischen Bombardements, waren nur noch weniger als die Hälfte aller medizinischen Einrichtungen im Jemen in Betrieb. Und von diesen noch in Betrieb befindlichen Hospitäler verfügen lediglich 35 Prozent über Dienste zur Versorgung von Müttern und Neugeborenen. 60 Prozent aller Entbindungen im Land müssen daher in Abwesenheit von Fachpersonal durchgeführt werden, was dazu führt, dass alle zwei Stunden eine Mutter sowie sechs Neugeborene bei der Entbindung sterben. Die Müttersterblichkeit im Jemen ist dreiundzwanzig Mal höher als in Deutschland (2017). Auch sind 83 Prozent der insgesamt über 3,6 Millionen Binnenvertriebenen im Jemen Frauen und Kinder. Ein UN-Bericht aus diesem Jahr ergab, dass unter allen humanitären Notlagen in weltweit 68 Ländern im Jemen die Lage von Frauen und Mädchen am verheerendsten ist.

Der mit äußerster Brutalität geführte Krieg zerstört und verändert das gesellschaftliche Gefüge. Der kriegsbedingte Niedergang des staatlichen Gebildes und der nahezu vollständige Zusammenbruch öffentlicher Institutionen führte zum «Zusammenbruch der Schutzmauern für Frauen», erklärt Menschenrechtsaktivistin Boshra Alansi, bei Rechtsverletzungen «gibt es jetzt keinen juristischen Schutz mehr für sie». Die Zerstörung der bescheidenen öffentlichen Sicherungssysteme führte dazu, dass «sich die Gesellschaft stärker an alte Sitten, Traditionen und die Religion klammert», was in der Folge zu einem Anstieg der Gewalt gegen Frauen führte, so Alansi. Hinzu kommt, dass durch die Brutalität des Krieges viele stark traumatisierte Kämpfer zurück nach Hause kommen. Eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien aus den USA kommt zu dem Schluss, dass Partnerinnen von Kriegsveteranen, die an Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) leiden, um ein Vielfaches wahrscheinlicher Opfer von häuslicher und sexualisierter Gewalt werden. Ein Bericht von Amnesty International von 2019 dokumentiert, dass dieser Zusammenhang auch im Jemen grausame Realität ist und es seit Kriegsbeginn zu einem starken Anstieg häuslicher Gewalt kam. Untersuchungen der UN ergeben, dass bereits in den ersten Kriegsjahren die Zahl gemeldeter Fälle von Gewalt gegen Frauen um fast zwei Drittel anstieg.

Kinderehen nehmen stark zu

Ein weiteres Feld der Menschenrechtsverletzungen von Frauen und Mädchen, die durch den Krieg dramatisch verstärkt wurden, sind Kinderehen. Das Verheiraten von Mädchen und heranwachsenden Frauen unter 18 Jahren ist im Jemen ein Bestandteil des sozialen Gefüges, ähnlich wie in vielen anderen Teilen der Welt; so wurden etwa in den USA zwischen 2000 und 2015 über 200.000 Kinderehen geschlossen, mehrere Mädchen waren bei Eheschließung nur zehn Jahre alt. Die letzten statistischen Erhebungen zum Jemen stammen aus dem Jahr 2013, als von allen 20- bis 24-jährigen Jemenitinnen 32 Prozent verheiratet wurden, als sie unter 18 Jahre alt waren (weltweit liegt dieser Wert bei knapp über 20 Prozent), und neun Prozent, als sie unter 15 Jahre alt waren, wie aus einem UNICEF-Bericht von 2020 hervorgeht.

Über die letzten Jahrzehnte gingen diese Zahlen kontinuierlich zurück, was auf verbesserte Bildungsangebote und die unermüdliche Arbeit lokaler Menschenrechtsaktivist*innen zurückzuführen ist. Gruppen wie die jemenitische Kinderrechtsorganisation Seyaj leisten Aufklärung in den Gemeinden, Behörden und religiösen Einrichtungen und setzen sich unnachgiebig für ein gesetzlich festgelegtes Mindestalter von 18 Jahren für Eheschließungen ein. Nach Eigenangaben gehört Seyaj zu den weltweit führenden Kinder- und Frauenschutzorganisationen. Die Gruppe bietet Opfern sexualisierter Gewalt im Jemen Direkthilfe in Form psychologischer Betreuung und juristischer Unterstützung. Sie leistet Prävention durch umfassende Bildungsarbeit und Projekte zum Empowerment von Mädchen und jungen Frauen. Seyaj unterstützt Kriegswitwen und -waisen finanziell und engagiert sich im Community-Building, um besonders Frauen und Kindern in den Unruhen des Krieges ein sicheres Umfeld zu schaffen. Die Organisation sensibilisiert zum Thema Kinderehen und engagiert sich in Awareness-Projekten und Bildungsprogrammen speziell für Mädchen. Auch konnte Seyaj durch direkte Intervention eine Vielzahl von Zwangsverheiratungen von Minderjährigen verhindern.

Die beachtlichen Erfolge von Organisationen wie Seyaj – bei anhaltenden Trends wären Kinderehen im Jemen in den nächsten Jahrzehnten nahezu verdrängt worden – wurden durch den Krieg ab 2015 umgekehrt und es kam zu einem dramatischen Anstieg von Eheschließungen mit Minderjährigen: Laut Zahlen des UN-Büros für humanitäre Angelegenheiten waren im Jahr 2017 bereits 52 Prozent aller Frauen im Jemen im Alter von 18 oder darunter verheiratet worden. Die Ursachen für diese katastrophale Trendumkehr sind vor allem finanzieller Natur. Denn aufgrund der kriegsbedingten Wirtschaftskrise sehen sich Eltern zunehmend gezwungen, eine Tochter zu verheiraten, um so einerseits das Mädchen in eine zumeist wohlhabendere Familie einheiraten zu lassen und andererseits aus der Mitgift das Überleben der Familie zu sichern.

Doppelte Verantwortung

Nach Daten der Internationalen Arbeitsorganisation liegt das Land mit einer Frauenbeschäftigungsquote von sechs Prozent (2019) auf dem letzten Platz. Da durch den Krieg jedoch viele Männer getötet, verstümmelt oder verhaftet wurden beziehungsweise «verschwunden» sind, fand zwangsweise eine Verschiebung in den klassischen Rollenverteilungen statt und Frauen werden immer öfter zu den Alleinernährerinnen der Familien, wodurch sie für die komplette Versorgung zuständig sind – zusätzlich zur Care-Arbeit.

«Die Männer, die traditionell für diese Aufgaben verantwortlich waren, zogen in den Kampf und kehrten nur als Leichen in Kisten zurück», erklärt Menschenrechtsaktivistin Boshra Alansi. Der Krieg stürzte den Jemen in eine schwere Wirtschaftskrise und die Bomben der Saudi-Emirate-Koalition löschten die spärliche Industrieinfrastruktur nahezu vollständig aus. Verstärkt durch die einschneidenden Restriktionen aufgrund der Coronapandemie fielen die vor allem von Frauen geleiteten Kleinstbetriebe als erstes der ökonomischen Krise zum Opfer – die wenigen Jemenitinnen in bezahlter Arbeit verloren vielfach ihre Jobs. Sie griffen daher «auf Handarbeitskünste, Straßenverkauf und Betteln zurück, um ihre Familien zu unterstützen», so Alansi weiter. «Früher bekam man nur selten einige wenige marginalisierte Frauen und Mädchen zu Gesicht, die betteln, doch heute sind die Straßen voll von Bettlerinnen.»

Da öffentliche Versorgungsnetze aufgrund des Krieges weitestgehend zusammengebrochen sind, müssen Frauen heute oft über weite Entfernungen lebensnotwendige Gebrauchsgüter wie Wasser, Gasflaschen oder Feuerholz heranschaffen. Alansi weiter: «Im Vergleich dazu waren Frauen vor dem Krieg häufig als Aktivistinnen für politische und Menschenrechte sowie als Journalistinnen und Fernsehmoderatorinnen oder in anderen nicht-traditionellen Bereichen tätig.»

Mutige Aktivistinnen und Frauen in der Politik

Nach der Wiedervereinigung von Nord- und Südjemen im Jahr 1990 ging das Land als einziges auf der Arabischen Halbinsel erste demokratische Schritte, samt Parteien und Parlament. Anders als in den benachbarten absolutistischen Monarchien existierten Frauen zumindest im politischen System, so marginal ihre Rolle auch war. Der über drei Jahrzehnte herrschende Diktator Ali Abdullah Saleh verhängte im Jahr 2006 eine 15-prozentige Frauenquote für das Parlament, dennoch saßen nie mehr als zwei Frauen im Haus mit 301 Sitzen. In der Geschichte des Jemen gab es insgesamt sechs Ministerinnen. Das erste weibliche Kabinettsmitglied war die Professorin Wahiba Faraa, die zwischen 2001 und 2003 das neugeschaffene Ministerium für Menschenrechte leitete. Es folgten Ministerinnen für rechtliche Angelegenheiten, Information und Kultur.

Seit den 1990er Jahren gruppierten sich feministische Bewegungen im Jemen oft um aktivistische Journalistinnen und arbeiteten zu Themen wie genderspezifische Gewalt, diskriminierende Gesetzgebung oder gleichberechtigte politische Teilhabe. Sie kämpfen insbesondere für den gleichwertigen Zugang von Mädchen und Frauen zum Bildungssystem. Die Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Raufa Hassan gilt als eine der Ikonen der jemenitischen Frauenrechtsbewegung. Anfang der 1970er Jahre erwirkte die damals 12-Jährige an ihrer Schule erstmals die Aufhebung der Geschlechtertrennung, indem sie mit ihren Freundinnen zum Haus des damaligen Ministerpräsidenten marschierte, anklopfte und ihre Rechte einforderte. Unabhängige Medien sowie pro-demokratische zivilgesellschaftliche Organisationen konnten erwirken, dass feministische Themen und emanzipatorische Konzepte von den Universitäten heraus Einzug in die öffentliche Debatte fanden. Sie riefen Widerstände klerikaler Funktionäre und politischer Eliten hervor, die versuchten, die Frauenkämpfe zu diskreditieren. «Die anti-feministische Gegenreaktion vonseiten einiger einflussreicher religiöser Parlamentsmitglieder und konservativer Geistlicher», schreibt die jemenitische Journalistin Afrah Nasser in einem Artikel für das Goethe Institut, schwächte die Kämpfe in Hinblick auf ihre Radikalität und Reichweite. «Die Frauenbewegung in der jüngeren Geschichte des Jemen» sei daher «eher zeitlich beschränkt und zersplittert» und lege ihren Fokus auf konkrete Menschenrechtsverletzungen oder die Bekämpfung patriarchaler Strukturen, «sie alle hatten ihren Ursprung im aufrichtigen Interesse an Menschenrechten und Demokratie». Mütter, Frauen und Töchter politischer und Kriegsgefangener organisieren sich in der Mothers of Abductees Association und demonstrierten in mehreren Städten vor den Polizeistationen, um ihre männlichen Angehörigen aus den Gefängnissen zu holen. Im Oktober 2020 wurden unter Vermittlung der Organisation 1.056 Kriegsgefangene zwischen den Houthi-Rebellen und der Hadi-«Regierung» freigelassen – der größte Gefangenenaustausch seit dem Koreakrieg 1953.

Inspiriert von den Protesten des Arabischen Frühlings in Tunesien und Ägypten 2011, gingen auch im Jemen Hunderttausende auf die Straßen. Die Massenproteste waren maßgeblich von Frauen getragen, die «seit den Aufständen 2011 zu einer wichtigen Säule in der Bildung eines demokratischen Jemen geworden sind», schreibt Journalistin Nasser. Nachdem im Februar 2012 der Diktator Saleh gestürzt wurde, sollte in langwierigen Verhandlungen ab März 2013 auf der Konferenz des Nationalen Dialogs die politische Zukunft des Jemen grundlegend neu geregelt werden. Mit einem erkämpften Frauenanteil von 29 Prozent der Delegierten war die Konferenz selbst bereits eine Revolution in sich. Frauenrechtsaktivistinnen erstritten grundlegende Rechte, legten im Verfassungsentwurf das Heiratsalter auf 18 Jahre fest und erreichten gar eine – nahezu – verbindliche Frauenquote von 30 Prozent in der Übergangsregierung und im künftigen Parlament. Doch dann kam der Krieg und «all diese Fortschritte im Bereich der Frauenrechte wurden wieder untergraben», so Nasser. Angesichts «der aktuellen apokalyptischen Zustände» wurden feministische Kämpfe hintangestellt, was sich vor allem auch in Fragen politischer Teilhabe äußert. Als im Dezember 2020 der zu diesem Zeitpunkt bereits seit über fünf Jahren nicht länger demokratisch legitimierte «Präsident» des Jemen, Abed Rabbo Mansur Hadi, das Kabinett seiner neuen «Einheitsregierung» vorstellte, wurde einmal mehr die regressive Natur der als Marionette Saudi-Arabiens geltenden Administration offenbar: Nach fast zwei Jahrzehnten wenigstens marginaler Frauenrepräsentation waren alle neuen Kabinettsmitglieder und deren Stellvertreter Männer, auch ist der Jemen aktuell eines der Handvoll Länder, in denen überhaupt keine Frau im Parlament sitzt.

Die von der Hadi-«Regierung» implementierten Rückschritte sind auch aus friedenspolitischer Sicht kontraproduktiv.

Frauen als Eckpfeiler der Friedenssicherung

In seinem ersten Briefing vor dem UN-Sicherheitsrat Anfang September 2021 hob Hans Grundberg, der neue UN-Sonderbeauftragte für den Jemen, die Bedeutung der «maßgeblichen Beteiligung von Frauen» im Friedensprozess hervor und versicherte, «Gender-Perspektiven in alle Themen einzubeziehen». Auch Grundbergs Vorgänger Martin Griffiths betonte stets die Bedeutung von Frauen im Friedensprozess, doch versäumte er es ein ums andere Mal, die Kriegsparteien darauf zu verpflichten, Frauen in ihre Delegationen einzubinden: Bei den Verhandlungen im Jahr 2018, die im Stockholm-Abkommen mündeten, war unter 24 Delegierten lediglich eine Frau; dasselbe gilt für die Jahre zuvor, in den Verhandlungen zum Riad-Abkommen 2019 war keine einzige Frau anwesend.

Dieser Ausschluss von Frauen ist verheerend – denn ein Scheitern des Friedensprozesses wird damit wahrscheinlicher, wie ein Blick auf bedeutende Erkenntnisse der Friedensforschung zeigt. In 40 von UN-Women seit dem Zweiten Weltkrieg analysierten Kriegen wurden final fast jedes Mal Friedensverträge geschlossen, wenn Frauen in den Verhandlungen eine einflussreiche Rolle spielten; spielten sie hingegen eine schwache oder keine Rolle, war es wesentlich unwahrscheinlicher, dass überhaupt ein Abkommen geschlossen wurde. Eine Einbindung von Frauen in die Verhandlungen erhöht die Chance, dass ein Frieden für mindestens 15 Jahre hält, um 35 Prozent. Auch wird durch Frauenorganisationen in den Verhandlungen die Wahrscheinlichkeit, dass Friedensabkommen scheitern, um 64 Prozent gesenkt. Zudem werden Abkommen wesentlich besser implementiert, wenn sie von Frauen mitverhandelt wurden.

Die Erklärungsansätze der Forschenden für diese Zusammenhänge sind vielfältiger Natur und gründen sich empirisch auf die Erfahrungen der analysierten Fallbeispiele. Demnach ergehen sich Frauen in Friedensverhandlungen in der Tendenz weniger in Machtspielen und Vergeltungsnarrativen, sind mehr an den Wurzeln von Konflikten statt an prestigeträchtiger Symbolpolitik interessiert, können eher über militärische Logiken hinausdenken und adressieren stärker soziale Themen und auf Gerechtigkeitsfindung ausgelegte Reformagenden, was die für einen Frieden unabdingbaren Heilungsprozesse überhaupt erst möglich macht. Ein weiterer Grund ist recht banal und gründet auf der Realität von Frauen im Krieg: Wenn sie in kriegerischen Auseinandersetzungen substanziell agieren, müssen sie dies zwangsläufig außerhalb der existierenden, von Männern dominierten Machtstrukturen tun: Frauen befehligen eher selten Armeen und Todesschwadronen, leiten in aller Regel keine Internierungslager und Foltergefängnisse. Daher werden sie von den verfeindeten Parteien eher als überparteilich und als «honest broker» angesehen.

Historische Beispiele für erfolgreiche Friedensabkommen, in deren Verhandlungen Frauen treibende Kräfte waren, sind etwa das Good Friday Agreement, das 1998 den Nordirlandkonflikt beendete. Die philippinische Politologin Miriam Coronel-Ferrer verhandelte 2014 mit der Islamischen Befreiungsfront der Moros (MILF) ein Abkommen, das den Bürgerkrieg auf den Philippinen, in dem seit 1987 über 120.000 Menschen ihr Leben ließen, ein Ende setzte: Als weltweit erste und bislang einzige Frau unterzeichnete Coronel-Ferrer einen größeren Friedensvertrag.

Die Einbindung von Frauen in Friedensverhandlungen firmiert – gebündelt mit weiteren Ansätzen – unter dem Konzept der Feminist Foreign Policy, das erstmals weltweite Aufmerksamkeit erlangte, als die schwedische Regierung unter der damaligen Außenministerin Margot Wallström 2014 ihr Ausrichten auf eine feministische Außenpolitik verkündete. Das Konzept trägt den oben genannten Erkenntnissen zur Rolle von Frauen in Konfliktprävention und -lösung Rechnung. Auch für den Jemen bietet sich dieser Ansatz an und Friedensaktivistinnen und Frauengruppen sollten auf nationaler Ebene genau wie in den Kommunen in Mediationsprozesse eingebunden werden. Ein Ende des alles überschattenden Krieges ist das die Voraussetzung aller emanzipatorischen Kämpfe um Gleichberechtigung, da es in einer Alltagswelt, die von externer Gewalt dominiert wird, nahezu unmöglich ist, den Kampf gegen interne, strukturelle Gewalt gegen Frauen zu führen.

Dies ist kein rein theoretischer Diskurs, von Frauen getragene Friedensarbeit findet im Jemen seit langem statt. So wurde 2015 der Yemeni Women’s Pact for Peace and Security ins Leben gerufen, der als inklusives Forum die politische Selbstorganisation von Frauengruppen verschiedenster Hintergründe vernetzt. Über Parteigrenzen hinweg werden Allianzen geschmiedet, um die Stimmen von Frauen zu stärken und ihnen politische Schlagkraft zu verleihen. Die humanitäre Frauenorganisation Food4Humanity leistet friedensschaffende Graswurzelarbeit vor Ort. Die Gruppe setzt sich einerseits für die Abmilderung der schwerwiegendsten Kriegsfolgen für Frauen ein, etwa indem sie ihnen Existenzgründungen finanziert oder Mädchenschulen aufbaut. 2015 gegründet, agiert die Frauengruppe in erster Linie in Regionen, die besonders von Armut und Hunger betroffen sind. Ihre Hilfsprogramme kamen über 40.000 Jemenit*innen zu Gute. Andererseits bekämpft sie auf lokaler Ebene den Konflikt selbst, indem sie gegen die Rekrutierung von Jugendlichen vorgeht oder erfolgreich in Konflikten bewaffneter Gruppen vermittelt. Die Friedensaktivistin Muna Luqman, Vorsitzende von Food4Humanity, konnte zusammen mit anderen Frauengruppen die Freilassung von 450 entführten Personen erreichen. Nachdem Verhandlungen der UN um einen Gefangenenaustausch scheiterten, konnte Luqman erfolgreich mediieren und die Freilassung von 600 Gefangenen erwirken. Ein Waisenhaus im belagerten und heftig umkämpften Ta’iz war im Kreuzfeuer zwischen Houthi-Rebellen und jemenitischem Militär gefangen. Den Kindern gingen die Lebensmittel aus. Muna Luqman arbeitete in der Vergangenheit bereits mit dem Waisenhaus zusammen und wurde als Vermittlerin gerufen. Sie konnte Konzessionen der kämpfenden Gruppen erwirken, zunächst Wasser und Nahrung ins Waisenhaus bringen und schließlich alle 70 Kinder in ein sicheres Gebiet evakuieren.

In al-Haymatain, einer abgelegenen Region in Ta‘iz, kam es kurz nach Kriegsausbruch aufgrund eines zerstörten Wasserwerks zu einer Wasserkrise, die in einen bewaffneten Konflikt zweier rivalisierender Gruppen eskalierte. Food4Humanity brachte schließlich die Ressourcen auf, um das lokale Wasserwerk zu reparieren. Unter Einbindung von Frauen und Jugendlichen der beiden Gruppen brachte Vermittlerin Muna Luqman auch die verfeindeten Männer an den Verhandlungstisch. Nach erfolgreicher Mediation der Frauengruppe wurde ein lokales Friedensabkommen geschlossen und ein Schlichtungsrat eingerichtet, durch den künftige Konflikte verhindert werden sollen.

* Das Interview mit Boshra Alansi führte der Autor am 17. Oktober 2021 per email.