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Die Rosa-Luxemburg-Stiftung eröffnete in Belgrad ein neues Regionalbüro für Südost Europa. Bericht und Interview.

Zwei Tage Feiern und Diskussionen. Am 22. und 23. September wurde in Belgrad ein neues Auslandsbüro der RLS eröffnet. Von hier aus werden in Zukunft Projekte in Südost Europa koordiniert. Die RLS will so einen Beitrag zur Stärkung linksorientierter Organisationen und sozialer Bewegungen auf dem Balkan leisten.

Die Büroeröffnung startete am sonnigen Mittwochnachmittag mit einem fulminanten Auftakt. Zum Empfang in den neuen Räumen der RLS im Herzen des Belgrader Altstadtviertels Dorćol drängelten sich weit über hundert Menschen in den vier Büroräumen und auf zwei Balkons. Junge linke Aktivistinnen und Aktivisten, kritische Universitätsangehörige, Gewerkschaftsmitglieder, Frauenrechtlerinnen, sie alle waren gekommen, um ihre hohen Erwartungen an die Stiftungsarbeit zum Ausdruck zu bringen.

Büroleiter Boris Kanzleiter konnte neben den Gästen aus Belgrad auch Vertreterinnen und Vertreter von elf Partnerorganisationen aus Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Mazedonien und Serbien sowie eine große Delegation der RLS aus Deutschland begrüßen. Freuen konnte sich das neue RLS-Team in Belgrad auch über den Besuch von Vertretern verschiedener Organisationen und Institutionen aus Deutschland, die in Süd-Ost Europa aktiv sind sowie über den Besuch des Kulturausschusses des Bundestages, der sich zufällig in Belgrad aufhielt.

In einer kurzen Ansprache hieß zunächst die Staatssekretärin im Ministerium für Arbeit und Soziales, Snežana Lakićević, die RLS in Belgrad herzlich willkommen. Im Anschluss begrüßte auch der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, Wolfram Maas, die Eröffnung des RLS Büros. Die Vorsitzende des Außenpolitischen Rates des Außenministeriums und Präsidentin des Belgrade Fund for Political Excellence, Sonja Licht, verwies auf die historische Bedeutung und das reiche politische Vermächtnis von Rosa Luxemburg. RLS Geschäftsführer Florian Weis machte die Bedeutung der Büroeröffnung für die Stiftung deutlich.

Präsentation im Aeroklub

Nach dem quirligen Auftakt im neuen Büro folgte am Donnerstag eine ganztägige Konferenz, auf der eine ganze Reihe von wichtigen Themen angesprochen wurde. In den Räumen des altehrwürdigen Aeroklubs hatte das Publikum in Belgrad zum ersten Mal überhaupt im Südosten Europas Gelegenheit aus erster Hand zu erfahren, wofür die RLS und die Partei DIE LINKE stehen. Neben Geschäftsführer Florian Weis referierten auch der Leiter des Auslandsbereiches der RLS, Wilfried Telkämper, der Finanzminister Brandenburgs, Helmuth Markov, sowie der Leiter des Osteuropa-Referats der RLS, Ivo Georgiev. Sie alle machten die politische Spannbreite und Möglichkeiten aber auch die Widersprüche und Probleme linksorientierten Engagements deutlich.

In einem zweiten Teil der Konferenz ging die Belgrader Soziologin Marijana Stojčić auf die Rezeption Rosa Luxemburgs im sozialistischen Jugoslawien ein. Am Nachmittag stellten dann fünf Partnerorganisationen der RLS ihre Arbeit vor. Dabei wurde deutlich, wie breit das Themenspektrum der Arbeit in der Region bereits ist. Es reicht von Projekten zur Überwindung ethnischer Segregation im Schulsystem von Bosnien-Herzegowina über die Thematisierung von patriarchalen Geschlechterverhältnissen in Medien bis zu antifaschistischen Jugendprojekten und dem Kampf für Gewerkschaftsrechte.

Das Publikum zeigte an allen Themen großes Interesse. Diskussionen mussten aufgrund von Zeitdruck allerdings meist beendet werden bevor sie richtig begonnen hatten. Deutlich wurde, wie groß das Bedürfnis nach Information und Debatte zu ganz verschiedenen Aspekten linksorientierter Politik ist. „In Südost Europa sind linke Bewegungen und Organisationen sehr schwach“, erklärte ein Gewerkschaftsvertreter am Rande der Veranstaltung. „Die Eröffnung eines Büros der Rosa Luxemburg Stiftung ist daher eine wahre Erfrischung, die Hoffnung macht.“

Boris Kanzleiter und Dorit Riethmüller

Ein Gespräch mit dem Büroleiter Boris Kanzleiter

Während der Veranstaltung war die Rede davon, daß der Sozialismus hier zweimal verloren habe. Was bedeutet das? Kannst Du kurz die Situation der Linken in Südosteuropa beschreiben?

Fast überall in Südost Europa verfügt eine Mischung aus nationalistischen, neoliberalen und klerikalen Ideologien über eine gesellschaftliche Hegemonie. Unter diesen Bedingungen ist linksorientiertes Engagement eine große Herausforderung. Erschwert wird die Lage noch durch das Erbe der Linken. Zuerst ist mit dem Zusammenbruch Jugoslawiens am Beginn der neunziger Jahre ein Staat gescheitert, der den Anspruch erhob, einen demokratischen Sozialismus zu entwickeln. In den vergangenen zwanzig Jahren haben sich dann erhebliche Teile der „post-kommunistischen“ Parteien in neoliberale und teilweise nationalistische Kräfte verwandelt. Das hat zu einer weiteren Delegitimierung sozialistischer Ideen geführt und zur politischen Konfusion beigetragen, die heute in Südost Europa herrscht.

Eure Arbeit in der Region wird auch durch die soziale Lage erschwert. Kannst Du uns einen Einblick geben?

Die Kriege der neunziger Jahre haben nicht nur über hunderttausend Menschenleben gekostet und viele Hunderttausend Menschen dauerhaft zu Flüchtlingen gemacht. Sie haben auch weite Teile der wirtschaftlichen Infrastruktur zerstört. Unter dem Stichwort der „Transition“ wurden in den vergangenen Jahren neoliberale Politikmodelle durchgesetzt, welche auf vielen Ebenen die wirtschaftliche Peripherisierung der Region und die soziale Desintegration der Gesellschaften weiter verschärfen. Die Durchschnittslöhne in Ländern wie Bosnien-Herzegowina, Serbien, Mazedonien liegen bei etwas über 300 Euro im Monat. Etwa die Hälfte der Erwerbsbevölkerung ist arbeitslos oder unterbeschäftigt. Die Arbeitslosigkeit liegt nach offiziellen Statistiken oft über 30 Prozent oder im Falle von Kosovo sogar über 40 Prozent. Beschäftigte sind oft völlig rechtlos. Nicht selten werden Löhne monatelang nicht ausbezahlt. Die staatlichen Gesundheits- und Bildungssysteme sind unterfinanziert und marode. Die sozialen Probleme sind riesig. Der tägliche Überlebenskampf der Menschen fördert aber oft nicht Solidarität sondern Konkurrenz.

Die Büroeröffnung beendet die erste Phase Eurer Arbeit, in der Ihr seit Frühjahr die Infrastruktur aufgebaut habt. Wie sind Deine ersten Erfahrungen? Gibt es Erwartungen, was die Stiftung in der Region leisten kann – leisten soll?

Die Erwartungen an unsere Arbeit sind sehr groß. Die Linke in der Region ist zersplittert und isoliert. Es gibt zwar überall Initiativen, aber wenig Kommunikation. Von uns wird erwartet, dass wir zur Vernetzung von linksorientierten Initiativen und Organisationen über Ländergrenzen und ideologische Gräben beitragen. Es wird auch von uns erwartet, dass wir Räume für notwendige Diskussionen zur Neudefinierung linksorientierter Politik aber auch für kritische wissenschaftliche Diskurse schaffen. Viele Initiativen und Nichtregierungsorganisationen erwarten von uns konkrete Unterstützung für ihre Aktivitäten. Wir haben mit einer Sommerschule in Novi Sad im vergangenen Juli bereits eine Veranstaltung organisiert, die sehr positiv aufgenommen wurde. Etwa 50 junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich kritisch mit dem Konzept der „Transition“ auseinandergesetzt.

Zum Schluss drei Worte zu euren Plänen! Wer sind Eure Partner und was habt Ihr mit Ihnen 2011 vor?

Wir werden 2011 die Zahl unserer Partnerorganisationen von zwölf auf über zwanzig verdoppeln. In 2010 waren wir in Bosnien-Herzegowina, Serbien, Mazedonien und Bulgarien aktiv. Nächstes Jahr planen wir zusätzlich Projekte auch in Kroatien und Rumänien. Unsere Partnerorganisationen haben ganz verschiedene Schwerpunkte. Dazu zählt beispielsweise das Engagement gegen ethnische Segregation im Schulsystem und für die Demokratisierung des Bildungssystems. Wir unterstützen auch eine Reihe von feministischen Frauenorganisationen. Wichtig ist uns außerdem die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und linksorientierten Jugendgruppen. Im Sommer 2011 planen wir eine Konferenz zur „Praxis-Gruppe“, die mit der Diskussion des „humanistischen Marxismus“ in den sechziger und siebziger Jahren weit über Jugoslawien hinaus Einfluss auf linksorientierte Diskussionen genommen hat. Damit wollen wir einen Beitrag zur kritischen Aufarbeitung der Geschichte der Linken in der Region leisten.

Die Fragen stellte Dorit Riethmüller