News | Krieg / Frieden - Westafrika Vom militärischen Scheitern zur zivilen Neubegründung

Auch die MINUSMA muss raus aus Mali

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Paris, 17.02.2022. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schüttelt dem senegalesischen Präsidenten Macky Sall die Hand. Auch im Bild: Der Präsident des Europäischen Rates Charles Michel und der ghanaische Präsident Nana Afuko Addo. Die Aufnahme entstand nach einer gemeinsamen Pressekonferenz über Frankreichs Engagement in der Sahelzone.. Frankreich und seine Partner haben den Beginn ihres militärischen Rückzugs aus Mali angekündigt. Foto: picture alliance/dpa/MAXPPP | Sébastien Muylaert

Am 17. Februar verkündete Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zusammen mit einigen westafrikanischen sowie europäischen und nordamerikanischen Staats- und Regierungschefs ein Ende der Einsätze «Barchane» und «Takuba» in Mali. Was als diplomatische Krise gelabelt wird, sollte als militärisches Versagen anerkannt werden und Anlass sein, die malische Regierung in ihren Bemühungen einer Neubegründung des Landes zu unterstützen.

In etwa seit März 2021, als es zu einem zweiten Militärputsch kam, de facto eher zu einer Neuaufstellung der Übergangsregierung in Mali, sind die Beziehungen zwischen den Regierungen Frankreichs und Malis angespannt. Im Juni entschied Präsident Macron ohne Rücksprache mit der malischen Regierung, die Truppen des französischen Antiterror-Einsatzes «Barkhane» zu verringern. Auch das brachte die Regierung Goïta dazu, sich an Malis langjährigen Partner Russland zu wenden und ihm um Unterstützung zu bitten. Bis heute von malischer Seite nicht bestätigte Gerüchte kamen auf, denen zufolge der Übergangspräsident Colonel Assimi Goïta russische Söldner der Wagner-Gruppe ins Land holen wollte, die für Menschenrechtsverletzungen bekannt sind. Im Unterschied zum staatlichen Militär lässt sich die Gruppe schlechter kontrollieren. Doch auch wenn dieses Argument wichtig ist, geht es Frankreich viel mehr um seinen künftigen Einfluss in der Sahel-Region. Das russische Engagement in der Zentralafrikanischen Republik schürt die Sorgen der ehemaligen Kolonialmacht, auch in Westafrika an Einfluss zu verlieren.

Entsprechend harsch geriet der Schlagabtausch zwischen beiden Regierungen. Verschärft wurde er, als die malische Übergangsregierung ankündigte, die für Februar 2022 angesetzten Wahlen bis zu fünf Jahre verschieben zu wollen. Die Forderung nach Neuwahlen war für Frankreich ein Mittel, über die Westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS zu Jahresbeginn harte Sanktionen durchzusetzen, die Mali mittelfristig destabilisieren werden. Nachdem der französische Außenminister die malische Regierung als «illegitim» und «unverantwortlich» bezeichnet hatte, wies Letztere den französischen Botschafter aus Mali aus.

Franza Drechsel ist Referentin und Projektmanagerin für Westafrika.

Dr. Claus-Dieter König ist der Leiter des Rosa-Luxemburg-Stiftungsbüros Westafrika in Dakar.

Ein darauffolgendes Interview mit dem Außenminister Abdoulaye Diop machte deutlich, wie sehr der malischen Seite daran gelegen ist, ernst genommen zu werden. Diop betonte, dass der Verteidigungspakt zwischen beiden Ländern neu verhandelt werden müsse, da er derzeit nicht mit der malischen Verfassung vereinbar sei. Damit sendete er klare Zeichen nach Frankreich, dass das intransparente und unabgesprochene Vorgehen der französischen Regierung in Mali nicht weiter akzeptiert wird.

Klare Haltung hatte die Übergangsregierung auch gezeigt, als dänische Truppen ohne Vorankündigung im Rahmen der EU-Taskforce «Takuba» auf malischem Boden landeten. Nach ersten Absprachen zwischen Mali und Dänemark hatte die dänische Regierung die weiteren Schritte nur mit Frankreich abgeklärt. Bis dahin war das gang und gäbe – entsprach aber nicht dem Vorgehen, das in westlichen Ländern praktiziert wird (siehe Afrique-Europe-Interact). Das ließ sich die malische Regierung nicht länger gefallen und warf die dänischen Truppen raus.

Gerade diese Souveränität, selbst zu entscheiden, mit wem Allianzen eingegangen werden, und Informationen über militärische Vorgänge auf eigenem Boden einzufordern, echauffierte die französische Regierung. Die sich seit Wochen zuspitzende diplomatische Auseinandersetzung zwischen Mali und Frankreich gipfelte dann am 17. Februar in der einseitigen Ankündigung, innerhalb der nächsten vier bis sechs Monate alle französischen Truppen sowie die EU-Taskforce «Takuba» aus Mali abzuziehen.

Zwar war es abzusehen, dass Macron die Opération Barkhane umstrukturieren würde, doch die Schnelligkeit, mit der dies geschah, überraschte. An der Entscheidung beteiligt waren auch einige westafrikanische Staats- und Regierungschefs, EU-Repräsentant*innen, die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht sowie Vertreter*innen von Ländern mit großen Truppenanteilen wie Kanada, die USA und Großbritannien. Auffällig war die Abwesenheit malischer Regierungsvertreter*innen. Diese hatten im Vorfeld einen Abzug französischer Truppen gefordert, verurteilten aber die einseitige Aufkündigung des Verteidigungspakts. «Angesichts dieser wiederholten Verstöße gegen die Verteidigungsabkommen fordert die Regierung die französischen Behörden auf, die Barkhane- und Takuba-Kräfte unter der Aufsicht der malischen Behörden unverzüglich aus dem nationalen Hoheitsgebiet abzuziehen,» sagte Regierungssprecher Colonel Abdoulaye Maïga am Tag nach Macrons Ankündigung.

Der Abzug der Barkhane-Truppen sowie der Takuba Task Force aus Mali bedeutet kein Ende dieser Einsätze. Im Gegenteil: Truppen sollen an die malische Grenze nach Niger verlegt werden und von dort aus auch notfalls mit Kampfjets Stützpunkte der UN-Mission MINUSMA schützen. Christine Lambrecht machte deutlich, dass der Abzug von Takuba- und Barkhane-Truppen Konsequenzen für die EU-Ausbildungsmission EUTM Mali haben wird. Es ist zudem davon auszugehen, dass sich auch MINUSMA anders aufstellen wird müssen.

Militärisches Versagen

Auch wenn sich Macron dagegen wehrt, das Scheitern in Mali zuzugeben: Die letzten zehn Jahre haben gezeigt, dass ein militärischer Sieg für keine der beiden Seiten möglich ist. Das sollten sich alle beteiligten Staaten eingestehen und die verschiedenen Einsätze nicht umstrukturieren, sondern beenden.

Dass es zum Scheitern gekommen ist, liegt auch an der schrecklichen Bilanz der bisherigen Militärinterventionen in Mali und den Nachbarländern. Als Reaktion auf den Abzug von Takuba und Barkhane unterstrich Souleymane Dembele, Sprecher der malischen Streitkräfte, dass die europäischen Einsatztruppen versagt haben: «Ich glaube, es hat keine militärische Lösung gegeben, denn der Terrorismus hat sich auf ganz Mali ausgeweitet.»

Wolfram Lacher vom regierungsnahen Thinktank Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) attestiert der französischen Opération Barkhane eine offenkundig destabilisierende Wirkung. Statt eine lokale Verankerung der dschihado-terroristischen Gruppen anzuerkennen, wurde immer wieder auf internationale Vernetzung geschaut. Barkhane-Truppen arbeiteten mit Milizen zusammen, die den Konflikt in Zentral-Mali ethnisierten, sodass marginalisierte Fulbe sich mehr als zuvor den Fundamentalisten anschlossen und Letztere an Stärke gewinnen konnten. Auch die Zusammenarbeit mit Akteuren, die gegen den malischen Staat agierten und ihn somit schwächten, trug zu stärkerer Unsicherheit in Mali bei.

Auch wenn Lachers Urteil für MINUSMA weniger eindeutig ausfällt und einige Organisationen wie Afrique-Europe-Interact (AEI) ihr sogar eine positive Wirkung nachsagen, muss festgestellt werden, dass MINUSMA de facto keine große Verbesserung gebracht hat. So denken laut Umfragen des Mali-Mètre mehr als drei Viertel der Malier*innen ein, dass die Operation die Bevölkerung nicht vor Gewalt schütze. Nur 38 Prozent drücken Zufriedenheit mit MINUSMA aus, 43 Prozent Unzufriedenheit. Zum Vergleich: 93 Prozent sind zufrieden mit den malischen Sicherheits- und Verteidigungskräften. Folgt man der öffentlichen Meinung, so bleibt der Eindruck, dass die Mehrheit der Bevölkerung für einen Abzug nicht nur der französischen Truppen, sondern auch der MINUSMA ist. Diese Frage wurde in der Umfrage nicht gestellt, aber den oben genannten Werten kann man entnehmen, dass der Operation der für einen Erfolg notwendige Rückhalt in der malischen Bevölkerung fehlt.

Statt der teuren militärischen «Unterstützung» bzw. eigentlich Destabilisierung müssen endlich die Ursachen für den Rückhalt des Dschihado-Terrorismus in Mali angegangen werden, das heißt soziale Ungleichheit, Korruption und Straflosigkeit sowie die fehlende öffentliche Daseinsvorsorge. Solange externe Unterstützung auf Militär aufbaut, werden die Ursachen aber nicht angegangen.

Als ihr der Blue Planet Award der Ethecon-Stiftung überreicht wurden, fand Aminata Traoré, malische Intellektuelle, ehemalige Kulturministerin und Aktivistin, Ende Dezember 2021 in ihrer Dankesrede deutliche Worte:

«Es ist nur an der Zeit, die Waffen zum Schweigen zu bringen, indem die ausländischen Truppen vollständig und so schnell wie möglich abgezogen werden. Unsere Staaten müssen nicht beweisen, dass sie stark und männlich sind, wenn sie den Terrorismus mit Waffengewalt bekämpfen. Es geht darum, konkret abgestimmte und nachhaltige Antworten auf die Übel zu finden, die den Terrorismus hervorgebracht haben und ihn aufrechterhalten. Diese sind wirtschaftlicher, politischer und geopolitischer Natur.»

Die «nachhaltigen Antworten» benötigen Zeit und hohe finanzielle Investitionen. Das steht außer Frage. Nach knapp zehn Jahre des Versuchs einer militärischen Lösung, die die Lage nur verschlimmert haben, sollte man endlich erkennen, dass die immensen finanziellen Mittel, die sie verschlingen, besser in die staatliche und soziale Infrastruktur und den Aufbau einer wirtschaftlichen Zukunft für die betroffenen Regionen investiert werden sollten.

Deutsche Unterstützung für Wege einer zivilen Neubegründung

Die jetzige Situation ist eine gute Gelegenheit für die Bundeswehr, sich aus Mali zurückzuziehen. Im Mai muss der Bundestag zum neunten Mal über eine Verlängerung des Mandats abstimmen. Es bietet sich an, hier ein Abzugsmandat zur Abstimmung zu stellen. Bis dahin bleibt Zeit, dieses gemeinsam mit der malischen Regierung auszugestalten und Pläne für eine verstärkte zivile Unterstützung zu entwickeln.

Dass die malische Regierung in derlei weitreichende Entscheidungen einzubeziehen ist, müsste selbstverständlich sein. Nur mit ihr gemeinsam kann ausgearbeitet werden, wo wann wie viele Truppen das Land verlassen sollten und wie eine mittelfristige Perspektive für das Land aussehen könnte. Auch wenn Malis Übergangsregierung nicht für progressive Politik steht, so macht sie dennoch Hoffnung auf ein konsequenteres Vorgehen gegen den Dschihado-Terrorismus und darauf, dass endlich institutionelle Reformen angegangen werden. Beides ist Grundlage dafür, langfristig bessere Lebensverhältnisse in Mali zu schaffen und Antworten auf die zahlreichen Krisen zu finden.

Dafür müssen die ECOWAS-Sanktionen aufgehoben werden. In dem bereits krisengebeutelten Land braucht es nicht zunehmende Armut, weil die Preise weiterhin steigen, die Gehälter aufgrund der Sperrung staatlicher Konten nicht gezahlt werden können oder weil die geerntete Baumwolle nicht exportiert werden kann. Auch für eine Aufhebung der Sanktionen sollte sich die Bundesregierung starkmachen.

Gleichzeitig ist es notwendig, dass die malische Regierung zusammen mit der Bevölkerung eine Roadmap erarbeitet, in der festgehalten wird, welche politischen Reformen zu welchem Zeitpunkt angegangen werden sollen. Seit August 2020 sind bereits eineinhalb Jahre vergangen – einiges wurde in der Zeit angestoßen, aber essenzielle Reformen wie eine neue Verfassung und eine unabhängige Wahlbehörde, ein gerechteres Besoldungssystem für Soldat*innen oder eine Reform des Sicherheitssektors stehen noch aus. Die Bundesregierung sollte in Regierungsgesprächen deutlich machen, dass ein selbstbestimmter, verbindlicher Fahrplan, der nicht von außen kommt, sondern den Interessen der Menschen in Mali entspricht, unabdingbar ist.

Des Weiteren sollte sich die deutsche Regierung, wo nötig, von Frankreich distanzieren, beispielsweise im Hinblick auf Verhandlungen mit dschihado-terroristischen Gruppen. Im Friedensabkommen von Algier 2015 wurde unterschieden zwischen denjenigen bewaffneten Gruppen, mit denen Verhandlungen geführt werden können (Compliant Armed Groups), und den anderen (Terrorist Armed Groups ), die nicht für Verhandlungen infrage kommen – das heißt, bei denen Frankreich – auch von Deutschland unterstützt – eine rote Linie gezogen hat (vgl. Wiedemann 2018). Während es in Mali allgemeine Zustimmung zum Dialog mit den verschiedenen dschihado-terroristischen Gruppen gab und gibt, durfte offiziell mit manchen gar nicht gesprochen werden. Die International Crisis Group sprach sich Ende 2021 sogar für Verhandlungen mit der wichtigsten Allianz Jama’at Nusratul Islam wal Muslimin (JNIM) aus. Teile davon waren bereits an lokalen Friedensverhandlungen beteiligt. Aktuell erweckt die malische Regierung den Eindruck, dass sie gezielt auf die Aufnahme von Verhandlungen hinarbeitet. Eine Unterstützung von deutscher Seite würde ihr dabei den Rücken stärken.

Deutsche Akteure der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit sollten darüber hinaus gemeinsam mit der malischen Regierung überlegen, wo weitere Unterstützungsangebote gemacht werden können. Wichtig bleibt dabei, sich mit anderen Regierungen abzustimmen, um dem jetzt vorherrschenden «Geber-Chaos» Einhalt zu gebieten. Deutschland könnte sich dafür einsetzen, dass die malische Regierung hier eine koordinierende Rolle einnimmt und dadurch auch den Überblick bekommt über das, was die verschiedenen Geber in welchem Bereich in Mali tun.

Die bisherigen Ziele der deutschen Regierung, Frankreich ein zuverlässiger Partner zu sein und die Migrationsabwehr durch eine Militarisierung der Region und die Externalisierung von europäischen Außengrenzen voranzubringen, sollten aufgegeben werden. Deutschlands Streben, internationale Verantwortung über militärisches Engagement zu erreichen, ebenso. Feministische Außenpolitik, das neue Schlagwort der Bundesregierung, muss immer auch Friedenspolitik sein – Verantwortung in der Welt zu übernehmen muss heißen, Frieden mit friedlichen Mitteln zu schaffen.