News | Parteien / Wahlanalysen - Europa - Osteuropa Ungarns Parlamentswahlen im Schatten des Krieges

Reaktionen auf das Abschneiden von Fidesz und die Niederlage der Opposition

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Viktor Orban steht im Vordergrund und winkt. Hinter ihm viele Leute, die klatschen.
Viktor Orban winkt Anhänger*innen in Budapest am Abend des Wahltags. Foto: IMAGO / Xinhua

Für viele Ungar*innen kommt der Erfolg von Fidesz und die Niederlage der Opposition einer tiefen Enttäuschung gleich. Wie stark diese Enttäuschung bei der Opposition ist, zeigt die Äußerung des Spitzenkandidaten Péter Márki-Zay, der seine Unterstützer*innen bittet, die Hoffnung nicht aufzugeben und im Land zu bleiben, weil bei vielen und vor allem jüngeren Menschen nun sogar der Gedanke im Kopf kreist, Ungarn ganz zu verlassen. Für Márki-Zay ist eine wesentliche Ursache für die herbe Niederlage die falsche Annahme, dass man Viktor Orbán mit dessen eigenem System, das er im Lande aufgebaut hat, besiegen könne.

Joanna Gwiazdecka ist Büroleiterin des RLS-Regional Büro in Prag für Tschechien, Slowakei und Ungarn.

Mit 53,29 Prozent der abgegebenen Stimmen erreichte Fidesz 135 von möglichen 199 Sitzen, die absolute Mehrheit im Parlament wird also künftig von Orbáns Partei gestellt. Die Opposition erreichte lediglich 34,89 Prozent der abgegebenen Stimme und damit lediglich 56 Mandate, viel weniger als erwartet und vor allem zu wenig, um ein Herausforderer für die regierende Partei zu sein. Der Unterschied zwischen den Stimmen der Oppositionsbewegung und dem Regierungslager betrug mehr als eine Millionen Stimmen und das bei gerade einmal 7.922.217 abgegebenen Stimmen. Viele besorgte oder nüchterne Stimmen hatten bereits im Vorfeld gewarnt, dass die Opposition nicht in der Lage sein werde, Fidesz an der Wahlurne zu besiegen. Das Ziel schien viel zu hoch angesetzt zu sein. Erstens garantiert das ungarische Wahlsystem der stärksten Partei ohnehin zusätzliche Abgeordnetensitze. Deshalb hätte die Opposition bereits in den Wahlumfragen gut sechs bis acht Prozentpunkte vor Fidesz liegen müssen, um realistische Chancen auf den Sieg zu haben. Zweitens wurde der Wahlkampf der Opposition als zu schematisch und zu technisch empfunden. Die in dem Oppositionsblock vereinten Parteien von rechts bis links waren zu divers und hatten, außer dem gemeinsamen Ziel, Orbán abzusetzen, keine darüberhinausgehende Idee, die die Wähler*innen hätte mobilisieren können. Die Opposition konnte sich nicht überzeugend als Bündnis darstellen, dass gemeinsam das Land regieren will.

Gerade diese Erfahrung ist nicht ganz ohne Bedeutung auch für politische Kräfte in den Nachbarländern. Das ungarische Modell war durchaus reizvoll für die Opposition in Polen, die sich auf die 2023 anstehenden Parlamentswahlen vorbereitet. Jetzt muss die Strategie dringend durchdacht werden, wahrscheinlich andere Wege gefunden werden. Die Ergebnisse in Ungarn unterstreichen aber doch deutlich, dass die Wähler*innen jene politischen Kräfte bevorzugen, die sich kohärent präsentieren. Formationen, die in sich eine zu große Diversität vereinen oder zu vereinen versuchen, überzeugen die Wähler*innen nicht.

Der Oppositionsblock vereinigte sechs unterschiedliche Parteien, die rechte, gemäßigt konservative, liberale, grüne und sozialdemokratische Positionen vertreten. Auf den Listen waren aber auch parteilose Einzelkandidat*innen vertreten, deren Kandidatur von allen Parteien des Oppositionsblocks unterstützt wurden. Die Bewegung Szikra (Funke) feierte am Wahlabend den Einzug ihres Vertreters aus Budapest, Jámbor Andrász, in das ungarische Parlament. Ihre politische Erfahrung sammelte diese linksorientierte Organisation bereits bei den Kommunalwahlen 2019, als sie sich im Wahlkampf für die Liste «Freies Budapest» eingesetzt hatte. Nach den Parlamentswahlen hat die Bewegung ihrer Hoffnung Ausdruck verliehen, nun ihrem  Ziel etwas näher zu kommen, «in Ungarn linke Politik wieder zu beleben, um in Politik wie Wirtschaft die Durchsetzung demokratischen Prinzipien zu bewirken.»

Bei den Wahlen debütierte auch eine neue Partei Mi Hazzánk (Unsere Heimat), die mit 6,15 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen künftig sieben Sitze im Parlament haben wird. Diese politische Kraft war von Politiker*innen gegründet worden, die mit dem Richtungswechsel von Jobbik (ehemals radikale Rechte, die sich nun im Rahmen des Oppositionsblockes gemäßigter ausgerichtet hatte) nicht einverstanden sind. Deren Spitzenkandidat László Toroczkai sagte am Wahlabend, dass der Parlamentseinzug eine große Überraschung sei, die niemand erwartet habe, aber «das sei erst ein Anfang».  Diese Äußerung klingt auch für viele wie eine politische Drohung. Es ist auch für das demokratische Spektrum eine politische Herausforderung, da es nun auch eine Opposition zu Fidesz von rechts gibt.

Mit dem Wahlergebnis in Ungarn stellen sich zudem viele Fragen, die nicht nur auf die Lage in Ungarn bezogen sind. Unklarer ist etwa die künftige weitere Zusammenarbeit jener vier EU-Länder, die im Rahmen der Visegrád-Gruppe in vielen Feldern bislang eng zusammengearbeitet haben. Über weitere gemeinsame Schritte im Rahmen dieser Gruppe wird in Regierungskreisen sowohl in Warschau als auch in Prag nachgedacht. Beide Regierungen hatten eindeutig den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilt. Viktor Orbán selbst sagte nach seinem Wahlsieg, «wir siegten, obwohl wir viele Gegner hatten, darunter auch den Präsidenten Selenskyj.»

Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala gratulierte trotzdem Orban zum Wahlsieg und äußerte seine Hoffnung, dass sich Ungarn jetzt aktiver auf Seiten der Ukraine für die Lösung des kriegerischen Konfliktes einsetzen werde. Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki wiederum distanzierte sich zwar von Orbáns abfälliger Bemerkung über den ukrainischen Staatspräsidenten. Zugleich, betonte er aber, dass die jetzt geforderten schärferen Sanktionen gegen Russland nicht an Ungarn scheitern würden, sondern eher an einigen großen EU-Mitgliedsstaaten, die sich nicht deutlich positionieren würden, vor allem auch Deutschland. Orbán balancierte bislang durchaus geschickt zwischen dem Westen und Russland, auch deshalb, um seine Wahlziele zu erreichen, nämlich die absolute Mehrheit im Parlament zu erreichen und sich weiterhin die fast uneingeschränkte Macht für das weitere Regieren zu sichern. Ob diese außenpolitische Strategie weiterhin erfolgreich sein wird, wird sich wahrscheinlich schnell in seiner bereits vierten Legislaturperiode zeigen.