News | Andenregion - Nicht global anzeigen «Die Linke kann nicht alleine an die Macht kommen.»

Interview mit John Jairo Blandón Mena

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John Jairo Blandón Mena
John Jairo Blandón Mena

John Jairo Blandón Mena ist ein afrokolumbianischer Rechtsanwalt und Aktivist. Er ist Mitglied der politischen Bewegung der Vizepräsidentschaftskandidatin Francia Márquez Soy Porque Somos (Ich bin, weil wir sind) und des Proceso de Comunidades Negras de Colombia (Prozess der schwarzen Kommunen Kolumbiens).

Der Pacto Histórico ist aus den Parlamentswahlen als stärkste politische Kraft hervorgegangen. Was hat diesen Erfolg möglich gemacht?

In den letzten 20 Jahren wurde Kolumbien von Präsidenten der Uribe-Linie regiert. Álvaro Uribe hatte auch nach seinen zwei Amtszeiten entscheidenden Einfluss auf die kolumbianische Politik. Die Uribe-Politik hat das Land in eine katastrophale Lage gebracht, denn der Krieg hat sich in den ländlichen Gebieten verschärft. Ein großer Teil der kolumbianischen Bevölkerung ist verarmt. Zudem befindet sich das Land im Hinblick auf die Menschenrechte in einer sehr dramatischen Situation. Der Pacto Histórico als politisches Angebot stellt für die Mehrheit der Bevölkerung eine Hoffnung auf Veränderung dar. Er bietet dem Land die Möglichkeit, einen anderen Weg einzuschlagen und die Hegemonie des Uribismus zu beenden. Millionen von Menschen haben darauf gesetzt und darin liegt die Erklärung für den Erfolg des Historischen Paktes. Noch nie zuvor hat ein fortschrittliches Bündnis in Kolumbien so viele Sitze im Parlament errungen.

Petro hat gute Chancen, die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Was ist die wichtigste Veränderung, die eine mögliche Regierung unter der Führung von Gustavo Petro und Francia Márquez in den nächsten vier Jahren erreichen könnte? 

Das Hauptproblem Kolumbiens ist der Krieg. Die ländlichen Regionen stehen weiter im Kreuzfeuer der verschiedenen bewaffneten Akteure. In der Vergangenheit hat die Rechte ausschließlich die Streitkräfte gestärkt. Gustavo Petro und Francia Márquez könnten mit weiteren Friedensabkommen die negativen Auswirkungen des Konflikts verringern oder beseitigen. Wir sind davon überzeugt, dass wir den bewaffneten Konflikt in Kolumbien nur durch Vereinbarungen mit den bewaffneten Akteuren lösen können. Andererseits hoffen wir, und das ist auch im Regierungsplan von Gustavo Petro und Francia Márquez so vorgesehen, dass die Reformen, die das Land braucht, umgesetzt werden. Das Land braucht Steuerreformen und eine tiefgreifende Agrarreform. Ebenso benötigt es eine tiefgreifende Reform des Justizsystems und eine Bekämpfung der Korruption.

Das sind Reformvorhaben, gegen die es durchaus politischen Widerstand geben wird. Wird eine linke Regierung dies gegen die Macht staatlicher Sicherheitsorgane und der wirtschaftlichen Eliten durchsetzen können?

Reformen brauchen Zeit. Der kolumbianische Staat ist verfassungsmäßig so gepanzert, dass tiefgreifende Veränderungen schwierig sind. Eine Verfassungsreform in unserem Land erfordert acht Debatten im Kongress. Darüber hinaus unterliegt sie der verfassungsrechtlichen Kontrolle durch das Verfassungsgericht. Auch kleinere Reformen erfordern ein Gesetzgebungsverfahren und es wird eine sehr mächtige Opposition im Parlament geben. Wir wissen, dass Gustavo Petro nicht in der Lage sein wird, alle seine Vorschläge durchzusetzen, aber sicher ist, dass er die Debatte über die notwendigen Reformen bereits auf den Tisch gebracht hat. Entscheidend wird sein, welchen Reformprojekten Priorität eingeräumt wird, um einer nachfolgenden progressiven Regierung den Weg zu ebnen, damit sie den Weg fortsetzen kann. Dieses Land wurde mehr als 200 Jahre lang von rechten Regierungen regiert, die von wenigen Familien dominiert wurden. Sie haben eine institutionelle Architektur geschaffen, um ihre Privilegien zu verteidigen. Die dadurch entstandene Ungleichheit kann nicht in vier Jahren abgebaut werden. Dies ist eine langfristige Aufgabe, aber Gustavo Petro kann den Grundstein dafür legen, dass es weitergeht.

Der Pacto Histórico hat alleine keine Mehrheiten im Kongress und im Senat. Welche Bündnisse wird eine progressive Regierung vor diesem Hintergrund eingehen müssen?

Es ist ein historischer Irrtum der Linken und des Progressivismus in Kolumbien zu glauben, sie könnten alleine an die Macht kommen. Das hat dazu geführt, dass wir die letzten Wahlen verloren haben. Ich denke, dass Gustavo Petro sehr gut verstanden hat, dass man nicht nur linke Teile der Bevölkerung erreichen muss. Deshalb hat er Allianzen mit Strömungen geschlossen, die historisch gesehen auf der rechten Seite standen, die aber jetzt verstehen, dass die Bürger Veränderungen fordern, die mit denjenigen, die ihnen historisch nahestanden, nicht umzusetzen sind. Das ist der Grund, warum die Liberale Partei und einige Sektoren der Konservativen Partei sich mit Gustavo Petro verbünden. Es ist ein breites Projekt, das darauf abzielt, an die Macht zu kommen. Kolumbien ist nicht nur die Linke.

Wenn Gustavo Petro keine Mehrheit im Parlament hat, wird es unmöglich sein, die angestrebten Reformen zu verwirklichen. Ich glaube also, dass er in diesen Momenten vor dem ersten Wahlgang versucht, neue Allianzen zu schmieden – auch innerhalb der Legislative für die Zeit nach der Wahl.