Analyse | Arbeit / Gewerkschaften - Digitaler Wandel - Digitalisierung der Arbeit Die Uber-Files enthüllen Ubers globalen Krieg gegen Arbeiter*innen

Der Leak der «Uber Files» legt die Reichweite der viele Millionen Pfund schweren Lobbykampagnen der Firma offen – und wie sie mit Regierungen auf der ganzen Welt zusammenarbeitet, um Arbeiter*innenrechte zu auszuhöhlen.

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Paris Marx,

Bild: shutterstock.com

«Manchmal haben wir Probleme, weil wir eben verdammt nochmal illegal sind.» Das waren die Worte von Nairi Hourdajian, Leiterin der Abteilung für internationale Öffentlichkeitsarbeit bei Uber, in einer Nachricht an einen Kollegen. Die Nachricht stammt aus dem Jahr 2004, als der Firma in Thailand und Indien die Schließung drohte.

Dieses Eingeständnis, Teil einer Fundgrube von über 124.000 geleakten Dokumenten und Schriftwechseln aus den Jahren 2013 bis 2017, genannt die «Uber Files», zeigt, wie Uber zu einem weltweiten Fahrdienstunternehmen wurde: indem es gegen Gesetze verstieß, sich Kontrollen entzog, Beziehungen zu Mächtigen pflegte und seine Fahrer*innen mit den Konsequenzen allein ließ. Die Dokumente liefern neue Informationen zu Themen, die bereits im Laufe der letzten Jahre ans Licht gekommen waren.

Wie die Uber Files zeigen, war man sich im Unternehmen bewusst, dass man die Nähe zu Politiker*innen suchen musste, um nicht wegreguliert zu werden. David Plouffe und Jim Messina nutzten Verbindungen aus ihrer Zeit in der Obama-Regierung, um Ubers Expansion in Europa und den Nahen Osten voranzubringen; beispielsweise konnten sie US-Diplomat*innen in Frankreich und den Niederlanden dazu bewegen, sich für die Interessen der Firma einzusetzen. Ebenfalls enge Beziehungen pflegte Uber, um nur einige zu nennen, zum ehemaligen britischen Schatzkanzler George Osborne, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in dessen Zeit als Wirtschaftsminister, der ehemaligen Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Neelie Kros, und John Tory, dem Bürgermeister von Toronto.

Über den Autor

Paris Marx moderiert den Podcast Tech Won't Save Us («Technologie wird uns nicht retten»). Unlängst ist beim Verlag Verso Books das Buch Road to Nowhere: What Silicon Valley Gets Wrong about the Future of Transportation («Straße nach Nirgendwo: Wo sich das Silicon Valley über die Zukunft der Personenbeförderung irrt») erschienen.

Die Firma entwickelte einen «Kill Switch», mit dessen Hilfe die Computer und Smartphones in den Uber-Büros im Falle einer Razzia remote verschlüsselt werden können. Dieses Tool kam in den Gerichtsbarkeiten von Kanada, Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Ungarn, Rumänien und Hong Kong mindestens vierundzwanzig Mal zum Einsatz. Die Firma nahm Einfluss auf Regierungen, um bei Regulierungsmaßnahmen nicht als Transport-, sondern als Technologiefirma behandelt zu werden, und brachte seine Fahrer*innen ohne mit der Wimper zu zucken in Gefahr, wenn es Uber nutzte. «Gewalt ist ein Garant für Erfolg»,  äußerte sich CEO Travis Kalanick, nachdem einige führende Angestellte im Jahr 2016 Vorbehalte gegen das Vorhaben äußerten, Fahrer*innen zu Protesten in Paris zu schicken, wo sie der Gefahr von Angriffen ausgesetzt sein könnten.

Diese Geschichten sind nur die Spitze des Eisbergs. Die Akten wurden an vierzig Medienunternehmen weitergeleitet und werden voraussichtlich in den nächsten Tagen veröffentlicht. Uber versucht bereits, der schlechten Presse und möglichen Regulierungen zuvorzukommen: In einem Statement verweist das Unternehmen auf die zahlreichen Enthüllungen, die bereits über die Geschäftspraktiken unter Kalanicks Führung bekannt geworden waren, und versucht es so aussehen zu lassen, als würden die dokumentierten Verstöße aus einer längst vergangenen Epoche der Firmengeschichte stammen. Doch nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.

Uber hat uns eine Lüge verkauft

In den frühen 2010er Jahren legte Uber einen steilen Aufstieg hin, und die Medien konnten kaum genug davon bekommen. Die Firma wurde mit positiver Presse nur so überhäuft, wobei ignoriert wurde, wie sie bereits damals ganz offensichtlich Arbeiter*innen und Gemeinden schadete, wenn es ihr nützte. Das versetzte Kalanick in die Lage, eine ganze Reihe gewagter Behauptungen in den Raum zu werfen und es so darzustellen, als wäre Uber absolut großartig für uns alle und als würde uns die Technologie in eine bessere Zukunft führen.

Wie ich in Road to Nowhere: What Silicon Valley Gets Wrong about the Future of Transportation, («Straße nach Nirgendwo: Wo sich das Silicon Valley in Bezug auf dieZukunft der Personenbeförderung irrt») darlege, sollte Uber eigentlich den Autobesitz reduzieren, Staus verhindern und in unterversorgten Regionen für Mobilität sorgen. Die Fahrer*innen sollten ein solides Einkommen erhalten und bestehende öffentliche Verkehrsmittel ergänzen — das zumindest behauptete Kalanick. Nur wenige Jahre später haben sich diese großen Versprechungen allesamt als überambitioniert, wenn nicht gar als glatte Lügen entpuppt.

In Wirklichkeit hat Uber so ziemlich allen, die mit dem Unternehmen zu tun haben, das Leben schwerer gemacht. Eine Reihe von Studien ergab, Uber habe den Verkehr in den großen Städten verschlimmert, kaum Auswirkungen auf den Autobesitz gehabt, dem öffentlichen Verkehrssystem Passagiere weggenommen und die Emissionen pro Fahrt gesteigert. Gleichzeitig hat das Unternehmen die Arbeitsbedingungen für Taxifahrer*innen ruiniert und seine eigenen Fahrer*innen (die hauptsächlich in marginalisierten Gruppen angeworben wurden) zugunsten der wohlhabenden jungen Leute in den Städten regelrecht ausgepresst.

Die großen Versprechungen sowie die unkritische Berichterstattung dienten als Tarnung für das eigentliche Projekt des Unternehmens: die Taxibranche zu deregulieren, die Rechte der Arbeiter*innen zu beschneiden und dem Unternehmen mehr Kontrolle darüber zu verschaffen, wie sich Menschen fortbewegen. Kurz gesagt war dieses Projekt dort erfolgreich, wo eine in den 1990er Jahren von den Koch-Brüdern begründete Kampagne gescheitert war. Der tatsächliche Gewinn kam nicht der Öffentlichkeit zugute, deren Straßen mit unregulierten Taxen geflutet wurden, oder den Arbeiter*innen, deren Lebensgrundlage sich in Luft auflöste, sondern den frühen Investor*innen, die sich nach dem Börsengang auszahlen lassen konnten, sowie anderen Unternehmen, die sich «Uber für soundso« nannten und  das Akkordlohnmodell auf andere Branchen ausweiteten.

Auf Grundlage jahrelanger journalistischer Arbeit legen die Uber Files detailgenau dar, wie das Unternehmen zu dem werden konnte, was es heute ist. Enthüllt wird alles von hemmungslosem Sexismus bis zur Entwicklung von Werkzeugen wie Greyball, einer Software, durch die Ordnungsbehörden und Polizei getäuscht wurden. Die ganze Geschichte von Uber wird ausführlich in Mike Isaacs Super Pumped: The Battle for Uber dargelegt – und trotzdem will uns die Firma glauben machen, nachdem Kalanick nicht mehr mit von der Partie war, habe sich alles geändert.

Uber hat sich nicht geändert

Als Dara Khosrowshahi im August 2017 CEO wurde, framte Uber seine Probleme als «schlechte Unternehmenskultur» und versprach, Khosrowshahi werde das beheben. Zwar war das Verhalten der Geschäftsleitung gegenüber Frauen und anderen marginalisierten Gruppen in den Firmensitzen tatsächlich problematisch, doch das eigentliche Übel steckte im Kern des Geschäftsmodells – und daran konnte (und wollte) Khosrowshahi nichts ändern.

Khosrowshahis wichtigstess Vorhaben war es nicht etwa, gegen die machistische Kultur bei Uber vorzugehen, sondern gegen die Rechte der kalifornischen Arbeiter*innen. Im September 2019 verabschiedete der Bundesstaat die Assembly Bill 5, derzufolge Gig-Economy-Unternehmen wie Uber ihre Arbeiter*innen nicht mehr als unabhängige Vertragspartner*innen, sondern als Angestellte einstufen müssen. Die Firmen aber taten sich zusammen und investierten hunderte Millionen Dollar, um die Öffentlichkeit zu täuschen und die Bevölkerung dazu zu bewegen, für ein Referendum mit dem Namen «Proposition 22» zu stimmen, das angeblich die Lage der Arbeiter*innen verbessern sollte, tatsächlich aber genau das Gegenteil tat, indem es ihnen den Angestelltenstatus verwehrte.

In den Uber Files geht es weniger um die interne Firmenkultur bei Uber, sondern vielmehr darum, wie sich das Unternehmen in Städten auf der ganzen Welt festsetzte, indem es praktisch um jeden Preis politische Beziehungen und vorteilhafte Gesetze skrupellos ausnutzte. Zwar behauptet Ubers PR-Abteilung, die Firma habe sich seit der Zeit, aus der die geleakten Dokumente stammen, verändert. Die anhaltende Kampagne, die falsche Einstufung der Uber-Arbeiter*innen im Gesetz festschreiben zu lassen, beweist allerdings das genaue Gegenteil.

Ermutigt durch die Proposition 22, plante Khosrowshahi eine intensive Kampagne für eine neue Einstufung der Arbeiter*innen mit der Bezeichnung «IC+» bzw. «independent contractor plus». Demnach sollten die Mitarbeiter*innen als unabhängige Vertragsnehmer*innen gelten, denen alle Rechte und Vergünstigungen des Angestelltenstatus vorenthalten bleiben. Die Firma versprach jedoch einige Maßnahmen zum Schutz der Arbeiter*innen, zum Beispiel einen Mindestlohn für die «aktive Zeit» und einige begrenzte Zusatzleistungen. Dabei hatte die Erfahrung mit Prop 22 längst bewiesen, dass es sich nur um falsche Versprechungen handelte: Die mageren Zusatzleistungen kamen nur wenigen Arbeiter*innen zugute, und der versprochene Mindestlohn belief sich auf gerade mal 5,64 US-Dollar pro Stunde.

Uber plante, seine Strukturen in den gesamten USA und überall auf der ganzen Welt zu etablieren. In Massachusetts stießen Pläne für ein Referendum kürzlich auf den Widerstand des Obersten Gerichtshofs, in Washington jedoch war die Firma erfolgreicher. In Kanada vermarktete Uber sein IC+ als «flexible Arbeit+» und setzte sich in den Provinzen des ganzen Landes für eine Änderung des Arbeitsrechts ein. Ontarios aktuelles Gigworker-Gesetz spiegelt praktisch genau das wieder, worauf Uber gedrängt hatte.

Im vergangenen Jahr hat der oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs  entschieden, dass Uber-Fahrer*innen als Arbeitnehmer*innen eingestuft werden und die entsprechenden Rechte und Zusatzleistungen erhalten müssen. Diese Entscheidung wurde als positiver Schritt für die Arbeiter*innen gefeiert, und Uber nutzte sie als Kernstück einer PR-Kampagne, um die Öffentlichkeit glauben zu machen, das Unternehmen behandle seine Mitarbeiter*innen fair. Dabei hat Uber dieses Urteil nie vollständig umgesetzt. Es verlangt, dass Arbeiter*innen für ihre gesamte Arbeitszeit ein Mindestlohn garantiert werden muss – vom Einloggen bis zum Ausloggen. Uber aber gewährt einen solchen Mindestlohn nur für die «aktive» Zeit der Fahrten.

Die Uber Files zeigen außerdem, wie das Unternehmen seine Beziehungen ohne jede Rücksicht auf die Konsequenzen nutzte. Bei den Bundeswahlen in Kanada vergangenes Jahr stellte die konservative Partei einen Gig-Work-Plan vor, der als direkte Kopie von Ubers «Flexible-Work+»-Konzept bezeichnet wurde. Wie sich herausstellte, war der leitende Strategieberater der Partei ein Uber-Lobbyist, der maßgeblich am Aufbau der Plattform beteiligt gewesen war. Die Partei verlor die Wahl glücklicherweise, aber Khosrowshahi hat noch weit Schlimmeres getan.

Nachdem 2019 eindeutige Beweise vorlagen, dass der saudische Kronprinz Mohammad bin Salman die Hinrichtung und Zerstückelung des Washington-Post-Journalisten Jamal Khashoggi angeordnet hatte, wollte sich Khosrowshahi dennoch nicht von dem mordenden Diktator distanzieren. In einem Gespräch mit Axios bezeichnete er den Befehl als «Fehler» und sagte, «Menschen machen Fehler, das bedeutet nicht, dass man ihnen nie verzeihen kann». Am nächsten Tag musste das PR-Team die Sache ausbügeln, um nicht einen der größten Anteilseigner des Unternehmens zu verprellen.

Uber muss gestoppt werden

Auch wenn Uber der Öffentlichkeit etwas anderes weismachen will: Das Unternehmen hat sich nicht verändert. Noch immer verfolgt es aggressiv das Ziel, die Kontrolle über die menschliche Mobilität zu erlangen, und im Zuge dessen die Rechte von Arbeiter*innen zu beschneiden – zugunsten sowohl der Aktionär*innen als auch jeder anderen Firma, die mit der Idee durchkommen will, man könne sämtliche traditionell bestehenden Regulierungen einer Branche umgehen, indem man einfach eine App verwendet. Siege in diesen Schlachten sind für Ubers Zukunft entscheidend.

Nach über einem Jahrzehnt des Geldsegens (allein seit 2015 über 20 Milliarden US-Dollar) könnte der Strom des leichten Geldes allmählich versiegen, da die Zinssätze zum ersten Mal seit der Finanzkrise signifikant angehoben wurden. Während der Pandemie strich Uber seine Großinvestitionen in autonome Fahrzeuge und fliegende Autos, die das Unternehmen einst als die Zukunft der Mobilität angepriesen hatte. Stattdessen haben wir einen ersten Eindruck davon bekommen, was es für Ubers Dienstleistungen bedeutet, wenn sie sich finanziell tragen müssen: höhere Preise und längere Wartezeiten, und zwar in einem Ausmaß, das Taxis wieder attraktiv werden lässt.

Genau in dem Moment, in dem Ubers Dienstleistungen an Wert verlieren und die Subventionen schwinden, mit deren Hilfe das Unternehmen die Taxibranche so massiv geschädigt hat, versucht Uber nun möglicherweise, endlich seine größten Konkurrenten zu übernehmen. Im März unterzeichnete Uber einen Vertrag, nach dem New Yorker Taxis in seine App aufgenommen werden sollen, gefolgt von ähnlichen Vereinbarungen in San Francisco und Italien. Diese Entwicklung gibt Uber nicht nur die Kontrolle über die Kundenbeziehungen, die Möglichkeit, die Fahrtendaten zu erfassen und seinen Pool an Arbeiter*innen auszubauen. Nachdem Uber die lange bestehenden regulatorischen Strukturen praktisch aufgebrochen hat, könnte es darüber hinaus sein, dass sich Taxis zukünftig nach den Regeln von Uber richten müssen. Für Fahrer*innen würde das eine vom Algorithmus bestimmte Arbeit bedeuten, und für Kund*innen einen Preisanstieg.

Die Uber Files erweitern unser Wissen um die üblen Machenschaften, die Uber zu dem gemacht haben, was es heute ist, und darüber, wie die einzelnen Punkte seines Strategieplans den weltweiten Krieg gegen Arbeiter*innen weiter vorantreiben. Da sich das Geschäftsmodell grundlegend zu verändern scheint, haben wir nun die Möglichkeit, einen viele Jahre zurückliegenden Fehler zu korrigieren. Ubers Feldzug, unser Personenbeförderungssystem derart umzubauen, dass es ungeachtet aller Konsequenzen den kommerziellen Interessen des Unternehmens dient, sollte hier zu Ende sein. Wir können das viel besser.
 

[Eine englische Version des Artikels ist in der Zeitschrift  «Tribune» erschienen. Übersetzung von Cornelia Röser und Max Henninger für Gegensatz Translation Collective]