News | Nordafrika - Israel Frieden auf dem Rücken der Unterdrückten

Die Annäherung zwischen Israel und Marokko findet auf Kosten von Palästinenser*innen und Sahrauis statt

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Jules El-Khatib,

Viele Demonstrant*innen halten eine Vielzahl von Bannern, Plakaten und Flaggen hoch.
Demonstration in Bilbao, Spanien für die Unabhängigkeit der Westsahara. CC BY 1.0, Zarateman, Wikimedia

Fast zwei Jahre ist es nun her, dass die Abraham-Accords-Declaration von den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Israel und den USA unterzeichnet wurde. Diesen Verträgen, die mit der diplomatischen Annäherung Israels und der beiden arabischen Staaten einherging, folgten wenig später «Normalisierungsvereinbarungen» zwischen dem Sudan und Israel sowie zwischen Marokko und Israel. Diese letzte Vereinbarung, stärker noch als alle anderen, normalisiert nicht nur die Beziehungen zwischen zwei Staaten, sondern fördert auch bestehende Unterdrückungsverhältnisse, in diesem Falle die der Palästinenser*innen und der Sahrauis.

Das Abkommen zwischen Israel und Marokko beinhaltet nicht nur die Einrichtung von Botschaften in beiden Ländern und einen stärkeren Austausch der beiden Staaten in den Bereichen Wirtschaft, Kultur und Bildung. Es sorgt auch für eine Normalisierung der Unterdrückung durch die beiden Länder. Im Falle Marokkos führte dies dazu, dass die USA, welche unter Trump die Vereinbarung maßgeblich vorantrieben, die völkerrechtswidrige marokkanische Besatzung der Westsahara als legitim betrachten. Das deutsche Außenministerium bezeichnete in einer Erklärung Ende letzten Jahres den marokkanischen Autonomieplan von 2007 als «wichtigen Beitrag» zur Beilegung des Saharakonflikts. In diesem Plan hält Marokko allerdings ausdrücklich an seiner Souveränität über die Westsahara fest. Auch Israel, welches den Vertrag mit Marokko schloss, akzeptierte stillschweigend die marokkanische Besatzung der Westsahara, auch wenn es dazu keinen offiziellen Beschluss gibt.

Jules El-Khatib ist stellvertretender Landessprecher der Linken NRW und Autor des Blogs «Die Freiheitsliebe». Er hat familiäre Wurzeln in Westasien und ist Palästinenser mit israelischer und deutscher Staatsbürgerschaft.

Der sogenannte Autonomieplan der marokkanischen Regierung sieht dabei vor, dass die Westsahara zu einer autonomen Region innerhalb Marokkos wird. Die vor dem Ende der spanischen Besatzung ursprünglich geplante Abstimmung in der westsaharischen Bevölkerung, ob diese sich Marokko oder Mauretanien anschließen oder unabhängig werden will, wird mit dem Plan ausgeschlossen und somit das Selbstbestimmungsrecht des sahrauischen Volks ignoriert. Der marokkanische Plan widerspricht dabei nicht nur dem Selbstbestimmungsrecht, sondern auch einem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, der dem Anliegen der linken Befreiungsbewegung Polisario nach einem Unabhängigkeitsreferendum Recht gab. Das Abkommen zwischen Marokko und Israel sowie die Anerkennung der Besatzung durch die USA erfuhr unter anderem deswegen scharfe Ablehnung durch die Polisario sowie die algerische Regierung, die schon seit langem Palästinenser*innen und Sahrauis in ihrem Streben nach Unabhängigkeit unterstützt.

Widerspruch auch in Palästina

Doch nicht nur unter der sahrauischen Bevölkerung, sondern auch in der palästinensischen Bevölkerung und Politik stieß das Abkommen auf große Ablehnung. Denn wie die Polisario, so hatten auch palästinensische Parteien die Sorge, dass die Folge dieses Abkommens eine weitere Normalisierung der Besatzung des eigenen Landes und der eigenen Unterdrückung sein wird – eine Sorge, die mit der zunehmenden militärischen Zusammenarbeit zwischen Israel und Marokko nicht geringer geworden ist. Während allerdings die palästinensische Linke schon seit langer Zeit über gute Beziehung zur Polisario und zur marokkanischen Linken, die den Vertrag zwischen Israel und Marokko ebenfalls ablehnt, verfügt, ergab sich insbesondere für die Hamas ein Problem aus dem Vertrag. Denn die in Marokko zur Zeit der Vertragsabschlüsse regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) galt lange Zeit als enge Bündnispartnerin der Hamas. So sprach die Hamas von einer «politischen Sünde», die der palästinensischen Sache nicht diene. Dies hinderte den Anführer der Hamas, Ismail Haniya, allerdings nicht daran, einige Monate später zur Wahlkampfunterstützung nach Marokko zu fliegen. Die Hoffnung, die von Mohamed Ahmed Madi, dem Vorsitzenden des palästinensischen Solidaritätskomitees mit der Sahara, geäußert wurde – «wir sehen, dass Marokkos Schritt zur Normalisierung eine Gelegenheit für die Fraktionen ist, ihre Positionen zu überprüfen» –, dürfte somit im Falle der Hamas wohl nicht zutreffen.

Mehr Spielräume dürfte es dagegen innerhalb der Fatah geben, die ebenfalls den Vertrag verurteilte, da er die palästinensische Frage ausklammere. Denn während der palästinensische Botschafter in Marokko eine Annäherung von Palästinenser*innen und Sahrauis, wie sie insbesondere von Linken gefordert wurde, ablehnte, erklärte Amin Maqboul, palästinensischer Botschafter in Algerien, seine Sympathie für die Position und wünschte sich eine Rückkehr Marokkos zur UN-Position, die ein Unabhängigkeitsreferendum vorsieht. Der palästinensische Außenminister lehnte diese Positionierung allerdings ab, da die Palästinenser*innen sich nicht in interne Angelegenheiten anderer (arabischer) Staaten einmischen würden.

Während also sowohl die palästinensische Linke als auch die Polisario einander ihre Unterstützung erklären, scheinen bürgerliche und rechte Kräfte in Palästina der Unterstützung der sahrauischen Unabhängigkeit bisher eher ablehnend gegenüberzustehen. Einig sind sie sich aber alle darin, dass der Vertrag zwischen Israel und Marokko der eigenen Position und dem Streben nach Unabhängigkeit schaden dürfte, da die Frage der Selbstbestimmung entweder explizit abgelehnt wird (im Falle der Sahrauis) oder zumindest zu weniger Unterstützung führen dürfte (im Falle der Palästinenser*innen).