News | Krieg / Frieden - Libanon / Syrien / Irak Andauernde Kriegsgefahr im Libanon

Regionale und innenpolitische Konflikte eskalieren zunehmend

Information

Author

Ulla Taha,

Libanesische Soldaten vor einem Stützpunkt der schiitischen Amal-Miliz an der Südgrenze des Libanon
Libanesische Soldaten vor einem Stützpunkt der schiitischen Amal-Miliz an der Südgrenze des Libanon Foto: Ali Soheib

Anfang Juni entfachte ein Streit zwischen dem Libanon und Israel bezüglich eines Gasfeldes, welches in einem von beiden Ländern beanspruchten Seegebiet liegt. Die Gasfelder Karish und Qana gehören zum Libanon, Israel zählt diese jedoch zu seinem Territorium, welches im Libanon als Linie 23 und 29 bekannt ist.

Auslöser des Streits ist ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und Israel, in dem vereinbart wird, überschüssiges Gas in bedeutenden Mengen über Ägypten an die EU zu senden. Diese hat besonders vor dem Hintergrund der globalen Energiekrise und des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ein ausgeprägtes Interesse daran, denn die russischen Lieferungen müssen ersetzt werden.

Hier schaltete sich die Hisbollah ein, ließ diese Bestrebungen nicht unkommentiert, drohte, israelische Gasförderschiffe zu versenken und betonte, es herrsche keine Angst vor einem Krieg. Die Vermittlungsversuche der USA führten am 11. Oktober 2022 zu einer Einigung historischen Charakters: Es herrscht nun eine Seegrenze. Beide Staaten erhalten Zugang zu den Gasfeldern. Da es vor allem für den Libanon dadurch zu Verbesserungen in der Energieversorgung kommen könnte, macht sich große Hoffnung in der Bevölkerung breit.

Ulla Taha ist Libanesin aus dem Süden des Landes. Sie lebt und arbeitet in Hamburg und studiert im Masterstudiengang Staatswissenschaften – Public Economics, Law and Politics in Lüneburg. Sie ist aktiv in der feministischen Mädchenarbeit und ist Mitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung Hamburg.

Situationen wie diese sind quasi alltäglich. Israel und der Libanon befinden sich seit der Gründung Israels 1948 offiziell im Krieg. Immer wieder kommt es zu beidseitigen Provokationen und Raketenbeschüssen; an den Grenzgebieten im Süden gibt es regelmäßig Zusammenstöße. Israelische Drohnen im libanesischen Luftraum gehören zum Alltag.

Doch nicht nur aus dem Süden droht eine permanente Kriegsgefahr, auch mit dem Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges und dem Eindringen des sogenannten Islamischen Staates in den Norden Libanons sowie in die Vororte Beiruts verschlechterte sich die Stimmung im Land. Die vielschichtigen und engen Verbindungen zwischen den beiden Ländern führten zwangsläufig zu Auswirkungen auf den Libanon und rückten ein Übergreifen des Bürgerkrieges aus dem Nachbarland Syrien in den Fokus der Gesellschaft. Nachdem libanesische Streitkräfte der schiitischen Hisbollah sich in das Geschehen im Nachbarland aktiv einmischten, drohte die Situation im Land mehrmals zu eskalieren.

Die wirtschaftlich extrem angespannte Situation in Kombination mit den labilen politischen Bedingungen im Land heizt die Stimmung innerhalb der Bevölkerung zusätzlich auf. Hier gibt es auch konfessionell geprägte Konfliktzonen, in denen es oft zu Gewaltausbrüchen kommt. Zuletzt beispielweise im Rahmen der vergangenen Parlamentswahl im Mai 2022. Wahlen führen traditionell zu einer angespannten Lage. Hier gab es Provokationen von Seiten schiitischer und christlicher Gruppierungen an der Grenzlinie zwischen den Wohngebieten beider Gruppen in Beirut. Zuvor kam es im Oktober 2021 auch zu stundenlangen Gefechten mit Schüssen, sechs Toten und dreißig Verletzten im Rahmen der Aufarbeitung der gewaltigen Explosion im Hafen von Beirut im August 2020. Anhänger*innen der Hisbollah sowie der Amal-Bewegung protestierten vor dem Justizgebäude in einem christlichen Stadtteil gegen den ebenfalls christlichen Untersuchungsrichter Tarek Bitar und für seinen Rücktritt, da er in ihren Augen als befangen gilt und nur einseitig ermittelt. Scharfschützen feuerten von den Dächern auf die Demonstrant*innen, die das Feuer erwiderten. Bei den Bewaffneten soll es sich um Mitglieder der Miliz der rechtsorientieren Partei Forces Libanaises handeln, von deren Seite es allerdings ein klares Dementi gab. Die Situation erinnerte in nahezu allen Details an den Ausbruch des 15-jährigen Bürgerkrieges 1975, der fast 150.000 Libanes*innen das Leben kostete.

Die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg ist allgegenwärtig. Ständig gibt es Anschuldigungen von allen Seiten. Diese Spannungen innerhalb der Gesellschaft schlagen schnell in Gewalt um und erzeugen damit eine komplizierte innenpolitische Situation im Libanon. Trotz diverser bewaffneter Zusammenstöße und einer angespannten Lage im Land hat keine der Konfliktparteien derzeit ein Interesse an einem Krieg. Dennoch herrscht eine andauernde erhöhte Alarmbereitschaft und damit eine schlechte Sicherheitslage, die sich zunehmend negativ auf die Situation der Libanes*innen auswirkt.