News | Selbstorganisation von Dörfern

Bericht über die Tagung des Gesprächskreises «Ländlicher Raum» am 12. Januar 2011

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Kurt Krambach,

Das Thema der Tagung: „Erfahrungen und Probleme der Gestaltung des Verhältnisses von Dorf („Ortsteil“) und Gemeinde“ gehört zu den thematischen Schwerpunkten der Internationalen Dorfkonferenz am 13. und 14. Mai 2011 in der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Dementsprechend waren die Beteiligung (mit mehr als 30 Personen) besonders hoch und die Diskussion äußerst rege. Diskussionsgrundlagen bildeten Vorträge von Kurt Krambach, der „Schlussfolgerungen aus Analysen zur Selbstorganisation von Dörfern“ (in Brandenburg) präsentierte, und von Barbara Klembt über ihre Erfahrungen als Bürgermeisterin der Gemeinde Wiesenburg / Mark im Umgang mit den 14 „Ortsteilen“, das heißt Dörfern dieser Gemeinde.

Ausgangsthese war, dass Dörfer, die im Zuge der Bildung von Großgemeinden ihre  kommunale Selbstbestimmung als eigene Gemeinde verloren  haben, diese durch neue Formen der Selbstorganisation gewissermaßen zurück- bzw. neu gewinnen können. Umgangssprachlich (und teilweise auch in der Politik) werden „Dorf“ und „Gemeinde“ häufig gleichgesetzt; sowohl historisch as auch aktuell sei aber wichtig, beides zu unterscheiden: Dörfer sind Siedlungen, historisch gewachsene Siedlungsgemeinschaften – Gemeinden sind administrativ und nach staatlichen Richtlinien gebildete „Gebietskörperschaften“ mit gesetzlich definierten Entscheidungsmöglichkeiten in ihrem Territorium. Und durch das Auseinanderfallen von Dorf (als Siedlung) und Gemeinde dort, wo eine Gemeinde mehrere Dörfer umfasst, ergibt sich eben die neue Fragestellung, ob und wie weit das einzelne Dorf, die jeweilige Dorfgemeinschaft noch oder wieder „Subjekt“ der eigenen, lokalen Entwicklung sein kann. Als drei Hauptelemente solcher Selbstorganisation wurden (a) dörfliche Selbstbestimmung in Verbindung mit kommunaler Mitbestimmung, (b) lokale Selbstgestaltung (insbesondere durch bürgerschaftliches Engagement für dörfliche Projekte) und (c) die Formen des organisierten Zusammenwirkens, der Bündelung der lokalen Akteure des Dorfes definiert.

Untersuchungen ergaben u. a., dass - obwohl 500 Gemeinden (also fast ein Drittel) in Brandenburg vergeblich gegen die Zwangszusammenschlüsse geklagt hatten – sich inzwischen in der Mehrheit der Dörfer zwar die Akteure mit den neuen Gegebenheiten arrangiert haben; dennoch empfindet ein großer Teil die verlorene frühere Selbstbestimmungsmöglichkeit als Verlust. Auch wurde deutlich, dass zwischen lokaler Identität und Möglichkeiten der Selbstorganisation ein enger Zusammenhang besteht.

Die Diskussion konzentrierte sich daher zunächst auf das erste Element der Selbstorganisation: Welche Möglichkeiten haben die Dorfakteure,  die Ortsbeiräte oder zivilgesellschaftliche Kräfte, wie Vereine, Interessengruppen, usw., die Geschicke ihres Dorfes (des sog. „Ortsteils“) in die eigenen Hände zu nehmen, die Entwicklung ihres Dorfes zu planen und mit zu bestimmen? Einerseits wurde zu Recht davor gewarnt, das einzelne Dorf als autonome Einheit zu verabsolutieren: es ist natürlich Teil der jeweiligen Gemeinde und steht auch zu den anderen Dörfern der Gemeinde in Beziehung.

Andererseits konnte Barbara Klembt anhand ihrer eigenen Praxis zeigen, wie man die gesetzlichen Festlegungen, wonach z. B. die Ortsbeiräte in der Gemeinde „Mitspracherecht“ haben,  sehr weit und schöpferisch auslegen kann. So wird von der Gemeinde keine Entscheidung, die ein Dorf betrifft, beschlossen, wenn nicht der jeweiligen Ortsbeirat vorher zugestimmt hat.. Sie hält zwar Vorschläge, den Dörfern mehr Verfügung über einen Teil der Haushaltmittel zurückzugeben, nicht für günstig; jedoch wird jährlich seitens der Gemeinde unter Hinzuziehung der zuständigen Fachbereiche mit jedem Ortsbeirat detailliert beraten, welche Maßnahmen und Projekte vorgeschlagen sind und finanziert werden können, und Ortsbeiräte sind gut beraten, vorher in Dorfversammlungen die eigenen Vorschläge zu erarbeiten und immer wieder auch in den eigenen Dorfentwicklungsplan zu schauen, den jedes Dorf dort seit fünfzehn Jahren hat.

In jedem Dorf wurde ein Gemeinschaftsraum geschaffen – als Kommunikationszentrum und zur Förderung der Eigenaktivitäten der Dorfgemeinschaft. Um auch kleine Kitas erhalten zu können, wurden Mehrfachnutzungen der Gebäude ermöglicht (Kombination mit Arztpraxis, Physiotherapie, Wohnungen). Nach der Kommunalwahl wurden alle Ortsbeiräte und Gemeindevertreter, alte und neue, darüber geschult, wie die Möglichkeiten z. B. des Planungs- und Haushaltsrechts, die durch die Kommunalverfassung gegeben sind, optimal genutzt werden können. Alle Dörfer zusammen sind aufgerufen und werden angeregt, mit ihren jeweiligen Potenzialen und bürgerschaftlichem Engagement die Lebensqualität in ihrem Dorf und der ganzen Gemeinde zu bereichern.

Die Erfahrungen Wiesenburgs, das kürzlich auf der Grünen Woche 2011 als eines der 30 Sieger im Bundeswettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurde, sind zweifellos hervorragend geeignet, den Erfahrungsaustausch zum Verhältnis von Gemeinde und Dorf auf der Internationalen Dorfkonferenz 2011 zu bereichern.

Siehe hierzu auch den äußerst lesenswerten Artikel von Rosi Blaschke im NEUEN DEUTSCHLAND vom 18.01.2011 / Wirtschaft/Soziales / Seite 9 unter dem Titel: „Die Dörfer sterben nicht - Entstehung von Großgemeinden führt zu Wandel im ländlichen Raum“