News | Parteien / Wahlanalysen - Staat / Demokratie Das Unglück des Kernthemas

Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am 27. März endeten für die LINKE mit einer herben Enttäuschung: Sie verfehlte mit 2,8 bzw. 3,0 Prozent den Einzug in beide Landtage. Eine Diskussion über die Gründe und Schlussfolgerungen begann mit ersten Erklärungen der Parteispitze und der Landesverbände im Südwesten.

Ein Argument taucht in allen Erklärungen der LINKEN über ihr mageres Ergebnis bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz auf: die Reaktorkatastrophe im AKW Fukushima. Der Parteivorsitzende Klaus Ernst sagte im ND-Interview am 29. März: «Das Thema Atom hat alles überlagert, das hat nur den Grünen Stimmen gebracht.» Es sei für die Linkspartei «problematisch» gewesen, «dass unsere Kernthemen in den Hintergrund getreten sind». Die Parteivorsitzende Gesine Lötzsch schrieb in einer Kolumne in ND (2. April): «Fukushima hat alle anderen Themen überdeckt. Unser Kernthema, die soziale Situation von Millionen Menschen, spielte in den letzten Wochen in den Medien keine Rolle mehr.» Auch der baden-württembergische Landesvorstand der LINKEN stellte in einem Mitglieder-Rundbrief am 1. April fest: «Mit dem tragischen Atomunglück in Japan schnellten die Umfragewerte der Grünen sprungartig nach oben, die von CDU und FDP nach unten. DIE LINKE verharrte weiter bei 4-5 %.»

Es steht außer Frage, dass die japanische Reaktorkatastrophe und die daraus neu gewachsene Sorge über die Sicherheit der Atomanlagen in Deutschland die Wahlergebnisse in beiden Bundesländern beeinflusst haben. Zu diskutieren ist jedoch, warum diese Sorge sich nur zugunsten der Grünen und nicht auch zugunsten der LINKEN in Stimmen ausdrückte. Die erste Antwort darauf lautet: Die LINKE ist kein ökologisches Angebot und will es, wenn man den Erklärungen ihrer beiden Vorsitzenden folgt, auch nicht wirklich sein. Im Grunde sagt der Hinweis, dass die Partei die Atomfrage nicht zu ihren Kernthemen zählt, nichts anderes.

Klaus Ernst zog in dem erwähnten ND-Interview die Schlussfolgerung, «dass wir unsere Kernkompetenzen ausbauen müssen. Beim Thema Atom zeigt sich das darin, dass wir nicht nur den Ausstieg propagieren, sondern dafür sorgen, dass er sozial verträglich geschieht.» Ähnlich Gesine Lötzsch in ihrer ND-Kolumne: «Einige Genossen sind jetzt der Auffassung, dass wir uns nicht zu sehr auf die soziale und die Friedensfrage konzentrieren dürften. Sie fordern eine stärkere Befassung mit Themen wie zum Beispiel Demokratie und Umwelt. Auch ich halte diese Politikfelder für wichtig und bin der Auffassung, dass wir sie mit der sozialen Frage verbinden müssen.»

Ob es wirklich so ist, dass «einige Genossen» im Lichte der Wahlergebnisse die soziale und die Friedensfrage künftig weniger betonen wollen, sei dahingestellt – derartige Ansichten wurden öffentlich bislang nicht bekannt. Entscheidend an dieser Argumentation ist jedoch, dass die Anti-Atom-Politik, das Plädoyer für eine Energiewende, überhaupt das ökologische Interesse nur als Anfügung des «eigentlichen» Themas der LINKEN erscheinen: Diese Fragen werden nicht als eigenständige definiert, sie sollen ihre politische Bedeutung für die LINKE erst dadurch erhalten, dass sie «mit der sozialen Frage verbunden» werden.

Nun wird kein ernsthaft an sozialistischer Politik interessierter Mensch so unvernünftig sein, der Linkspartei zu empfehlen, sich gegenüber den sozialen Implikationen einer Energiewende gleichgültig zu verhalten – das ist innerhalb der Linken ein irrealer Gegensatz, wenn auch ein Streitthema mit konservativen oder wirtschaftsliberalen Ideologien. Übersehen wird aber, dass Menschen, die durch die AKW-Katastrophe von Fukushima neu aufgerüttelt sind, eine solide Antwort zu ihrer auf die Atomenergie gerichtete Sorge haben wollen. Und sie spüren, ob jemand eine Forderung lediglich vor sich herträgt oder ein authentisches Engagement dahinter steht, ob es ein echtes Anliegen oder nur eine dem «eigentlichen» Programm angehängte Parole ist. Schlussfolgerungen, die in diesem Punkt verwaschen bleiben, werden das für die LINKE offenbar gewordene Defizit nicht beheben. Erst recht nicht, wenn neben der Umwelt auch noch die Frage der Demokratie als zwar «wichtig», aber abseits linker Kernthemen verortet wird.

Eine zweite Antwort, warum die LINKE speziell in Baden-Württemberg bei den Wahlen einbrach, hat mit der parteipolitischen Konstellation zu tun. Der dortige Spitzenkandidat der LINKEN, Roland Hamm, stellte in einem Interview mit dem ND am 31. März fest: «Ich bin der Überzeugung, dass wir in der polarisierten Wahlkampfsituation zwischen Mappus-weg beziehungsweise Schwarz-Gelb abwählen und dem Kernthema Atomkraft zerrieben worden sind.» Auch der Landesvorstand der LINKEN sagt in seinem erwähnten Mitglieder-Rundbrief, die Stimmung, dass Ministerpräsident Mappus «weg kommt», habe einen «eigenen Sog» entwickelt, «dem wir mit unseren Kräften nicht entgegenwirken konnten».

Von der etwas missglückten Formulierung abgesehen: Die Südwest-LINKE hat ihr Heil ja darin gesucht, adoptierter Teil dieses Sogs zu werden. Ihre These – formuliert in einer Erklärung ihres Landessprechers Bernd Riexinger – war: «Ein Regierungswechsel ist eindeutig nur noch mit der LINKEN im Landtag möglich. Wir rufen die Wählerinnen und Wähler von SPD und Grünen auf, taktisch zu wählen – die Stimme für DIE LINKE ist somit die Stimme für Rot/Grün und die entscheidende Stimme gegen Stefan Mappus.»

Dass dies eine gute Idee gewesen sei, nimmt der baden-württembergische Landesvorstand auch nach der Wahlniederlage weiter an: «Die Linke hatte sich klar positioniert und hat gesagt, dass die Linke für einen Politikwechsel in Baden-Württemberg gebraucht wird. Unterstützt wurde dies durch die Umfragen, die lange Zeit ein Patt zwischen Schwarz/Gelb und SPD/Grüne prognostizierten. DIE LINKE kam bis vor zwei Wochen vor der Wahl in die Rolle des Züngleins an der Waage.» (Mitglieder-Rundbrief vom 1. April).

Ein Zünglein an der Waage wollten aber offenbar nur wenige. Und dies ist ein Déjà-vu. In einem Wahlaufruf der LINKEN-Vorgängerin PDS zu einer Bundestagswahl hieß es schon einmal ähnlich: «Wer eine Mehrheit für Stoiber und Westerwelle, für Koch und Möllemann verhindern will, muss PDS wählen!» Das war im Herbst 2002 – die PDS scheiterte mit ihrem Wiedereinzug als Fraktion im Bundestag und die Mehrheit gegen Schwarz-Gelb kam dennoch zustande. Die PDS «musste» nicht dabei sein.

Eine solche Taktik hat regelmäßig zwei Bruchstellen: Die eine ist, sich an eine Umfrage-Konjunktur zu klammern, die sich plötzlich verändern kann, womit der ganze Hoffnungsschimmer sich ins Gegenteil verkehrt. Die zweite ist, dass man der umworbenen Wählerschaft ein Ziel definiert, das diese auf einem viel schlichteren Weg erreichen kann: Um SPD und Grüne an die Regierung zu bringen, ist es zweifellos das sicherste, für eine dieser beiden Parteien zu stimmen. Die Pseudo-Logik «Wählt uns, damit die anderen regieren können» muss einem sehr kuriosen Parteiseminar entstammen, dem gewöhnlichen Denken ist sie fremd.

Eine linke Partei wird nur dann erfolgreich sein können, wenn sie sich ein eigenes, positives Profil erarbeitet und dieses im alltäglichen Umgang unter Beweis stellt. Und da der Mensch nicht allein ein ökonomisches Wesen ist, kann eine linke Partei ihre Profil- oder Kernthemen auch nicht allein aus der Verbesserung seiner ökonomischen Lage schöpfen und sich ansonsten als Aufpasser verstehen, dass die anderen keinen Unfug treiben – oder davon zehren, dass sie ihn treiben.

Auf letzteres scheint der Landesvorstand in Stuttgart zu hoffen, wenn er beruhigt formuliert, die LINKE könne Wähler von der SPD und den Grünen gewinnen, «wenn die sozialen Fragen wieder in den Vordergrund dringen, wovon wir ausgehen können». Im übrigen werde man beide Parteien «permanent an die Einhaltung ihrer Wahlversprechen erinnern». Sicher gehört das zum politischen Konkurrenzgeschäft. Doch dürfte die Zukunft der LINKEN auch im Westen eher von einem programmatischen wie konkreten Angebot abhängen, das Vielfältigeres ausdrückt als eine ökonomistisch verengte soziale Frage, neben der alles andere beiläufig wirkt.

An eine Mahnung des marxistischen Philosophen Ernst Bloch ist zu erinnern: «Man bekämpft eine schlechte Sache nicht dadurch, dass man von ihrer Bekämpfung lebt und nichts mehr zu sagen hätte, wenn diese Sache nicht wäre.» Der kleine Aufsatz, in dem Bloch dies 1918 formulierte, hat den wunderbaren und auch in der hier behandelten Hinsicht bedeutsamen Titel «Tätigsein mit Feuilleton».

Andere Stimmen

Rosa-Luxemburg-Stiftung

Erhard Korn, Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Baden-Württemberg, sieht trotz des geringen Ergebnisses eine «deutlich zunehmende Akzeptanz der LINKEN», erkennt «prozentuale Zugewinne» dort, wo die Wahlbeteiligung niedrig blieb, und dass die LINKE bei Arbeitern und Arbeitslosen «weit überdurchschnittlich punkten» konnte. «Allein die Steigerung der Wahlbeteiligung von 4 auf 5 Millionen Wähler (...) führte zu einem prozentualen Negativsaldo». Was also tun, auf eine wieder sinkende Wahlbeteiligung hoffen? Jedenfalls solle man sich «nicht von den Prophezeiungen eines baldigen Untergangs der Linken bange machen lassen», meint der RLS-Landeschef und rät zu «Geduld, Genossen».

www.bw.rosalux.de

Antikapitalistische Linke

Die Antikapitalistische Linke mahnt, niemand solle «hektisch nach einer strategischen Umorientierung suchen». Denn: «Nur wenn die Eigentumsverhältnisse grundlegend verändert werden, lässt sich auch die ökologische Frage sozial und nachhaltig lösen.» Es sei «nicht notwendig, dass DIE LINKE sich ›breiter aufstellt‹, sondern dass sie eine antikapitalistische Politik macht, indem sie dieses Alleinstellungsmerkmal von ihr noch offensiver als bisher in die Debatten einbringt». Darum gilt schlicht: Schwamm drüber und «Weiterkämpfen!»

www.antikapitalistische-linke.de

Genosse Trend

«In Baden-Württemberg ist DIE LINKE an einem ausgeprägten politischen Wechselklima gescheitert», schreiben Benjamin Hoff, Staatssekretär der LINKEN in Berlin, und Horst Kahrs von der Grundsatzabteilung des Parteivorstands im Karl-Liebknecht-Haus. Sie publizieren regelmäßig am Morgen nach der Wahl differenzierte Ergebnisanalysen, kommen in dieser zum Schluss: «Der ›Trend‹ ist derzeit kein Genosse.» Er sei den Grünen zugelaufen, was «zum Paradox (führte), dass die LINKE durch eigenes Handeln Gefahr lief, die Wähler/-innenbewegung in Richtung Grüne selbst zu unterstützen».

www.benjamin-hoff.de

Forum DS

Das Forum Demokratischer Sozialismus präsentiert einen Artikel von Thomas Falkner aus der Sächsischen Zeitung. Der Publizist meint: «Der Höhenflug der Linken hatte ... bereits geendet, als der der Grünen Fahrt aufnahm.» Ihre zentralen Themen aus der Gründungsphase – Mindestlohn, Hartz IV, Afghanistan – «hatten ihre Exklusivität verloren». Nötig hätte die LINKE eine «gründliche Debatte» über ihre Programmatik, suche aber ihr Heil «im kleinsten gemeinsamen Nenner». Damit könne man «Politik und Gesellschaft nicht öffnen». Dabei seien die Fragen, auf die Antworten gesucht würden ­ von der Finanzkrise bis zum Mehr-Demokratie-wagen – «eigentlich ihre Themen».

www.forum-ds.de

(Erschienen im Neuen Deutschland vom 5. April 2011)