Interview | Geschlechterverhältnisse - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Verteilungskrise «Es trifft uns mit voller Wucht»

Interview mit Marion Lusar vom FeM-Mädchenhaus Frankfurt über die Härten der Inflation

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Marion Lusar, FeM Mädchenhaus Frankfurt
«Wir müssen immer gucken: wo können wir noch etwas abzwacken. Das ist der falsche Weg. Wir müssen eigentlich in der Kommune definieren, was gehört unabdingbar zur Daseinsvorsorge.»
Marion Lusar, FeM Mädchenhaus Frankfurt

Marion Lusar ist die Gesamtkoordinatorin des FeM Mädchenhaus in Frankfurt am Main. Die Einrichtung der Jugendhilfe bietet Mädchen und jungen Frauen sowie trans-, inter- oder nicht-binären Personen Beratungs- und Therapieangebote, einen unter der Woche täglich geöffneten und pädagogisch betreuten Freizeittreff, Empowerment etwa bei Rassismuserfahrungen, aber auch Zuflucht und Notunterkünfte bei sexualisierter, psychischer oder körperlicher Gewalt oder der Gefahr von Zwangsheirat. Rund 800 Mädchen sowie ca. 600 Fachpersonen nehmen jährlich die unterschiedlichen Angeboten wahr. Die Notunterkunft, die die anonymisierte Zuflucht bietet, besitzt zehn Plätze und ist in der Regel voll belegt. Es ist die einzige anonymisierte Unterbringung für Mädchen* zwischen 12 und 17 Jahren in Frankfurt. Mit Marion Lusar sprach Eva Völpel.

Frau Lusar, bevor wir auf die aktuelle Situation durch die Inflation zu sprechen kommen zuerst die kurze Frage: Wie finanzieren Sie grundsätzlich ihre Arbeit?

Marion Lusar: Das ist unterschiedlich. Für unsere Notunterkunft haben wir eine Entgeltvereinbarung mit dem Jugendamt der Stadt. Für jedes belegte Bett erhalten wir eine Summe X. Je nachdem, wie wir belegt sind, arbeiten wir damit kostendeckend oder eben nicht. Für die anderen Bereiche erhalten wir gedeckelte Zuwendungen, die sich seit vielen Jahren kaum erhöht haben. 

Wie kommen sie also durch die Preiskrise?

Im vergangenen Sommer kam der worst case. Im Spätsommer hat uns unser Stromversorger – angeblich vorsorglich – gekündigt. Er bot einen neuen Vertrag ab Anfang 2023 zu einem sechsfach höheren Preis an. Wir haben im Herbst gesucht, aber es war unmöglich, ein neues, halbwegs vernünftiges Angebot zu finden. Wir sind dann beim örtlichen kommunalen Versorger in die Ersatzversorgung gekommen. Aber dort bemisst sich der Preis nach einem Grundpreis und einem täglichen Spotpreis. Ich weiß überhaupt nicht, was da in den nächsten Monaten an Mehrkosten auf uns zukommt. Die Unsicherheit ist wirklich extrem.

Höhere Strom- oder auch Gaspreise sind ja vermutlich nicht die einzige Sorge?

Nein. Wir rechnen in diesem Jahr mit Tariferhöhungen zwischen sechs und zehn Prozent, die werden uns nicht vollständig refinanziert. Und alle Dienstleister, die wir in Anspruch nehmen müssen, haben ebenfalls die Preise erhöht, das betrifft die Steuerberatung, Buchhaltung oder Versicherungen. Und Lebensmittelpreise sind natürlich stark gestiegen. Wir bieten im Mädchentreff einen Mittagstisch gegen einen geringen Obolus an – wir selbst aber zahlen jetzt schon das Doppelte. Auch Fahrkarten und Benzin sind deutlich teurer geworden. Es trifft uns alles mit voller Wucht.

Haben Sie bisher in irgendeiner Form finanzielle Unterstützung zum Abmildern der heftigsten Preisentwicklungen erhalten?

Wir haben einen Antrag bei der Stadt auf Erhöhung der Zuwendungen gestellt. Aber vorab die Antwort erhalten, es wäre kein Geld da. Wir sind eine Einrichtung, die bereits mit hohem Drittmitteleinsatz arbeiten muss. Über 130.000 Euro jährlich müssen wir über Spenden oder Zuwendungen von Stiftungen reinholen, um unsere Angebote aufrecht zu erhalten. Wir können nicht noch 50.000 bis 60.000 Euro zusätzlich einwerben. Es gab zwar für 2023 eine Erhöhung im Entgeltbereich der Zuflucht, die vom Landesjugendhilfeauschuss verhandelt wird, von ca. vier Prozent für Personal- und ca. sieben Prozent für Sachkosten. Aber das reicht nicht aus. Allein die Tarifsteigerungen in diesem Jahr werden wohl höher ausfallen. Ich bin schon ziemlich frustriert.

Aber ein bisschen Entlastung dürfte doch durch die Strom- und Gaspreisbremse kommen, die ab diesem Januar greift?

Ja, wir als Verein fallen darunter, das hat sich kurz vor Weihnachten geklärt und dabei hat uns der Paritätische Wohlfahrtsverband sehr geholfen. Wir müssen also ab Januar weniger bezahlen als in der Ersatzversorgung. Aber es wird für uns auch nicht sehr viel billiger.

Warum?

Wir können kaum Strom- oder Gas einsparen, um den Verbrauch zu mindern. Das Mädchenhaus ist in einem Altbau mit Heizungssystemen aus den 1980er Jahren untergebracht, der Vermieter erneuert da auch nichts. Wir haben also eh schon eine energetisch schlechte Lage. Wir tun alles, was möglich ist, um zu sparen, wir haben überall LED-Lampen und heizen weniger. Die Kolleginnen sitzen mit Fleecedecken und Wärmflaschen in ihren Büros und Beratungen und bieten ihrem Gegenüber Fleecedecken an. Wir sind aber eine Einrichtung für traumatisierte Mädchen. Da können sie nicht ständig zum Energiesparen anhalten. Es gibt ja auch Zwänge wie Waschzwänge. Und eine warme Dusche und ein warmes Zimmer, das hat auch eine Fürsorgefunktion. Wir können und wollen auch keine Angebote streichen, denn wir haben einen erhöhten Beratungsbedarf. Zum einen spüren wir noch die Nachwirkungen der Pandemie, die viele Jugendliche hart getroffen hat, zum anderen lösen aktuell Inflation und Krieg bei den Jugendlichen große Ängste aus. Also sparen wir grundsätzlich eher beim Team.

Wo sparen sie noch außer an Heizung oder Strom in den Büros?

Wir haben Fortbildungen gestrichen und Supervisionen runtergefahren. Aber das ist eigentlich nicht der Sinn der Sache. Auch an Personalkosten zu sparen, ist kontraproduktiv. Wir haben Fachkräftemangel und müssen dafür sorgen, dass unsere Mitarbeitenden auskömmlich und gut finanziert werden. Eine Kollegin etwa hat nun eine Stromrechnung von fast 500 Euro im Monat. Das können sie mit einem Sozialarbeitergehalt nicht abdecken. Wenn wir nicht genug bezahlen, dann wandern uns eventuell Beschäftigte ab zu einem Arbeitgeber, der besser bezahlt und vielleicht auch noch ein Jobticket anbietet.

Mit der Strom- und Gaspreisbreme hat der Bund zugleich ja auch Härtefallfonds für unterschiedliche Einrichtungen beschlossen. Auch die Länder wollen nachziehen und eigene Härtefallfonds auflegen. Gibt es darüber Entlastung?

Auch Hessen hat einen Härtefallfonds angekündigt, aber die Ausgestaltung ist immer noch relativ unklar. Ich glaube auch nicht, dass wir aus solch einem Härtefallfonds Geld für all unsere im Preis gestiegenen Posten erhalten. Und auch klar ist: Kredite helfen uns nicht weiter. Wie sollen wir die zurückzahlen? Meine Hoffnung liegt vor allem darauf, dass wir von der Stadt Frankfurt doch noch weitere Zuschüsse erhalten.

Was würde Ihnen ganz grundsätzlich helfen?

Wenn wir ganz aktuell die Personal- und Verbrauchskosten spitz abrechnen könnten, also erstattet bekämen, was wir real ausgeben, würde uns das sehr helfen. Grundsätzlich bräuchten wir eine vernünftige Dynamisierung, dass also die Zuwendungen mit nicht allzu großem Verzug angepasst werden an die jährlich steigenden Personal- und Indexkosten. Weil es diese dynamisierte Anpassung nicht gibt, bekommen wir faktisch jedes Jahr eine Kürzung. Wir müssen immer gucken, wo können wir noch etwas abzwacken. Das ist der falsche Weg. Wir müssen eigentlich in einer Kommune definieren, was gehört unabdingbar zur Daseinsvorsorge und einen Plan erstellen, wie viele Stellen und Ressourcen brauchen wir für die Begleitung von X Personen? Und das muss dann auskömmlich finanziert werden.