News | Sozialökologischer Umbau - Klimagerechtigkeit «Der Flugverkehr ist eine der größten Klima-Ungerechtigkeiten»

Eine Vielfliegerabgabe in Europa ist moralisch, wirtschaftlich und rechtlich geboten

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Eine Hand zerschneidet eine Frequent-Flyer-Karte zum Meilensammeln mit der Schere
Es ist zeit für eine Vielfliegerabgabe! Stay Grounded

Flugemissionen sind sehr ungleich verteilt –  auch innerhalb der EU. Das zeigt eine neue Studie der Organisation Stay Grounded. Sie schlägt eine Vielfliegerabgabe vor, die vor allem diejenigen trifft, die am meisten fliegen. Magdalena Heuwieser ist Mitbegründerin von Stay Grounded und koordiniert das Projekt. Mit ihr sprach Juliane Schumacher.
 

Juliane Schumacher: Magdalena, Fliegen ist eine der klimaschädlichsten Formen der Fortbewegung. Trotzdem werden Flüge begünstigt – etwa dadurch, dass auf Flugtreibstoff bisher keine Kerosinsteuer erhoben wird. Sollte Fliegen teurer sein?

Magdalena Heuwieser: In der EU wird derzeit diskutiert, ob Kerosin weitere 20 Jahre von der Kraftstoffsteuer befreit sein soll. Das ist der absolute Wahnsinn. Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto zur Schule fahren zahlen mehr Kraftstoffsteuer als Superreiche, die wöchentlich zu ihrer Luxusvilla jetten. Maßnahmen wie eine Kerosinsteuer oder Obergrenzen für Flüge auf Flughäfen sind wichtig. Sie würden aber direkt oder indirekt zu höheren Ticketpreisen führen. Daher sollten diese Maßnahmen durch eine faire Sozialpolitik ergänzt werden.

Weil sich dann ärmere Menschen gar keine Flüge mehr leisten könnten?

Flüge sind schon heute extrem ungleich verteilt. Weltweit verursachen ein Prozent der Bevölkerung rund die Hälfte der Flugemissionen – während 80 Prozent der Weltbevölkerung noch nie in einem Flugzeug saßen. Der Flugverkehr ist eine der größten Klima-Ungerechtigkeiten.

Stay Grounded ist ein Netzwerk von mehr als 200 Organisationen weltweit, das sich für eine Reduktion von Flügen einsetzt. Im Oktober 2024 haben Stay Grounded und die New Economics Foundation, zusammen mit weiteren Partnern, die Studie «A Frequent Flying Levy in Europe. The Moral, Economic and Legal Case» veröffentlicht. Sie beruht auf Daten der in Auftrag gegebenen ökonomischen und juristischen Machbarkeitsstudien von CE Delft und Adastone Law. Die Studie recherchiert, wie ungleich Flugemissionen in Europa verteilt sind und analysiert die Machbarkeit einer Vielfliegerabgabe.

Gilt das auch in Europa?

Auch in Westeuropa sind Flüge sehr ungleich verteilt, wie die Studie zeigt, die wir gerade veröffentlicht haben. Bei den reichsten Haushalten mit einem Haushaltseinkommen von über 100.000 Euro im Jahr, ist die Wahrscheinlichkeit sechsmal höher, dass sie mehr als drei Hin- und Rückflüge im Jahr machen als bei den Haushalten mit dem niedrigsten Einkommen, unter 20.000 Euro. In dieser Gruppe fliegen fast 70 Prozent gar nicht in einem Jahr. Die meisten Flugemissionen gehen auf eine relativ kleine und reiche Gruppe zurück, die exzessiv viel fliegt. Eine sozial gerechte Klimapolitik muss das berücksichtigen.

Ihr fordert dafür eine Vielfliegerabgabe auf europäischer Ebene.

Wir möchten, dass weiterhin alle Menschen Zugang zu notwendigen Flügen haben, während der Flugverkehr insgesamt stark reduziert werden muss. Eine Vielfliegerabgabe, wie wir sie in der Studie vorstellen, würde die meisten Menschen in Europa nicht treffen, da sie ohnehin nur selten fliegen. Wir haben berechnet, dass die Mehrheit der Emissionsreduktion von nur 4,5 Prozent der westeuropäischen Bevölkerung käme – genau die Gruppe, die exzessiv viel fliegt und viel Geld hat.

Die Vielfliegerabgabe würde die Mehrheit der Bevölkerung nicht betreffen.

In eurer Studie habt ihr einen konkreten Vorschlag gemacht, wie eine sozial gerechte Flugabgabe aussehen könnte. Die Abgabe wird dabei mit jedem Flug pro Jahr höher.

Genau. Bei unserem Vorschlag fällt keine Abgabe für den ersten Hin- und Rückflug pro Jahr an. Ab dem zweiten Hin- und Rückflug werden 50 Euro pro Flug fällig, ab dem dritten 100 Euro, usw. Dazu kommen Zuschläge, etwa ein entfernungsabhängiger Zuschlag von 100 Euro für Langstreckenflüge – denn die verbrennen besonders viel Kerosin. Dieser Zuschlag würde die aktuell existierende Flugabgabe in Deutschland ersetzen, und gilt nur solange, bis es endlich eine sinnvolle Kerosinsteuer gibt. Und wir wollen einen weiteren Zuschlag für Flüge in der Business/First Class. Denn auch die haben durch den Platzverbrauch eine größere Wirkung aufs Klima. Die Vielfliegerabgabe würde die Mehrheit der Bevölkerung nicht betreffen.

Das klingt nicht nach hohen Summen.

Aber schon damit würden in der EU pro Jahr 56 Milliarden Euro eingenommen – das ist ein Drittel des aktuellen EU-Budgets, und ein Fünftel dessen, was die EU für ihre grünen Investitionen jährlich bräuchte, um die Klimaziele zu schaffen.  Wir schlagen vor, dass diese zusätzlichen Einnahmen zum einen verwendet werden, um eine gerechte sozial-ökologische Transformation in Europa zu unterstützen, zum Beispiel, um klimafreundiche Mobilität auszubauen. Der andere Teil sollte für die globale Klimafinanzierung genutzt werden. Also um die historischen Klimaschulden gegenüber denen zu bezahlen, die heute und in Zukunft am meisten von den Folgen des Klimawandels betroffen sind.


Die EU-Vielfliegerabgabe könnte so ausgestaltet sein:

  • Kern-Vielfliegerabgabe: Der erste Hin- und Rückflug im Kalenderjahr wäre abgabenfrei, Flug Nr. 3 und Nr. 4 würde mit 50€ pro Einzelflug belegt; Flug Nr. 5 und Nr. 6 je mit 100€ usw.
  • Aufschläge für Premium/Business/1st Class Flüge von 100€/Flug
  • Kerosinsteuerbefreiungs-Ausgleich: Bis zur Einführung einer Kerosinsteuer
    Aufschläge für Mittel- und Langstrecke von 50€ bzw. 100€

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