News | Europa - Geschlechterverhältnisse - International / Transnational Polnische Ratspräsidentschaft und Europäische Gleichstellungspolitik

Am 7. Dezember 2011 fand in Sopot, einer der offiziellen Partnerstädte im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft Polens, die internationale Tagung „Polens EU-Ratspräsidentschaft und Gleichheit sowie Antidiskriminierungsrecht“ statt.

Die Tagung wurde organisiert und durchgeführt durch NEWW-Polska und die Rosa Luxemburg Stiftung. An ihr nahmen Teilnehmerinnen aus Russland, Bosnien-Herzegowina, Ungarn und Polen teil.

Eröffnet wurde die Runde durch Małgorzata Tarasiewicz, Vorsitzende von NEWW-Polska, sowie Joanna Gwiazdecka, Leiterin des Warschauer Büros der Rosa Luxemburg Stiftung. Die Tagung diente einer Bestandsaufnahme der Aktivitäten zu spezifischen Frauenfragen im Rahmen der polnischen EU-Ratspräsidentschaft, der Besprechung der wichtigsten Aspekte der EU-Genderpolitik sowie dem Erfahrungsaustausch und den Absprachen über weitere Initiativen. Małgorzata Tarasiewicz unterstrich in ihrem Beitrag, dass während der polnischen EU-Ratspräsidentschaft die wichtigsten Frauenfragen eigentlich fehlten. Da die Entwicklung des gemeinsamen Marktes einer der Schwerpunkte während der Präsidentschaft gewesen sei, seien hierbei auch Fragen der Abstimmung zwischen Marktanforderungen und der Rolle als Elternteil zur Sprache gekommen. Allerdings seien Themen wie das Reproduktionsrecht oder die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen nicht zur Sprache gekommen. Małgorzata Tarasiewicz betonte, dass die EWL, dessen Mitglied NEWW-Polska ist, die Idee eines europäischen Jahres gegen Diskrimnierung fordert.

Auf der ersten Sitzung merkte Jolanta Banach (Stadträtin aus Gdańsk und Mitglied der Frauenverständigung für die Wojewodschaft Pomorze) an, dass die polnische EU-Ratspräsidentschaft sich zwar ganz eindeutig und sehr ausführlich auf die Krise bezogen habe, in der sich die EU befinde, allerdings sei das nicht verbunden worden mit dem Bewusstsein, dass Haushaltseinsparungen in erster Linie Frauen betreffen werden. Sie kritisierte auch den niedrigen Stellenwert, den soziale Rechte etwa im Vergleich zu den wirtschafts- und politischen Rechten auf der EU-Skala haben.

Marzena Dobrowolska (Vorsitzende des Polnischen Roten Kreuzes und Mitglied der Frauenverständigung für die Wojewodschaft Pomorze, sowie ehemalige Gleichstellungsbeauftragte in der Wojewodschaft Pomorze) legte das Augenmerk auf die Gewalt gegen Frauen, die in Polen ein Schlüsselproblem in der Genderfrage sei. Verschiedene Formen von Gewalt seien auch weiterhin eine weit verbreitete Erscheinung, was sich auch in Meinungsumfragen und in der Polizeistatistik widerspiegele. Die Hauptlasten bei der Hilfe für Gewaltopfer entfallen in Polen auf Nichtregierungsorganisationen. Als sehr hilfreich bewertete sie den Initiativvorschlag Spaniens, eine EU-weite Direktive zum Schutz von Gewaltopfern zu verabschieden. Gegenstand der weiteren Debatte war ein Vergleich der gegen Diskriminierung gerichteten Initiativen im Rahmen der jeweiligen EU-Ratspräsidentschaften von Tschechien, Ungarn und Polen. Zur Teilnahme an der Tagung wurden auch Vertreterinnen von Frauenorganisationen aus Tschechien eingeladen, doch die bestätigten den kompletten Mangel an Aktivitäten zugunsten von Frauen während der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft. Auch in Tschechien sei das Hauptaugenmerk auf die wirtschaftlichen Fragen gelegt worden. Statt auf Frauenrechte, habe Tschechien sich auf Menschenrechte im Allgemeinen konzentriert.

Raka Safrany (Stiftung für die Ungarischen Frauen, Mitglied Hungarian Women Lobbz/European Women Lobby) schätzte ein, dass die ungarische EU-Ratspräsidentschaft keinen großen Beitrag geleistet habe für die EU-Initiativen gegen Diskriminierung. Allerdings lohne es, an einige wichtige Ereignisse zu erinnern. Als Erfolg bewertete sie eine internationale Konferenz, die im April 2011 stattfand: Roma Women In Focus. Diese Konferenz sei zu einem wichtigen Ausganspunkt für die Debatten zur Strategie der Roma-Integration geworden und wurde organisiert durch die European Roma Platform In Budapest. Es wurde auch ein Network Romani Woman United gegründet. Die ungarische EU-Ratspräsidentschaft habe die Frauenfragen jedoch traditionell betrachtet. So fand eine Konferenz Europe for Families, Families for Europe statt, auf der Fragen der Bevölkerungspolitik und Familienpolitik im Mittelpunkt standen. Dabei wurde gefordert, 2014 zu einem Europäischen Jahr der Familie auszurufen. Hauptthemen auf dieser Konferenz seien wie üblich die Arbeit und das Familienleben gewesen. Während der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft habe es auch Bestrebungen gegeben, das ungarische Abtreibungsrecht zu verschärfen. In der neuen Verfassung stehe der Schutz des ungeborenen Lebens vom Moment der Befruchtung an. Es wurden auch Kampagnen gegen die Abtreibung und für Adaptionen durchgeführt.

Im weiteren verlauf der Tagung stellten Teilnehmerinnen aus Serbien und Russland ihre Erfahrungen vor. Zhanna Ponomarenko (Humanistischer Jugendverband) sprach über die Situation von Frauen im Gebiet Murmansk. Eines der größten Probleme sei die nicht vorhandene Bereitschaft, Frauen mit Kleinkindern als Arbeitskräfte einzustellen. Wegen des harten Klimas haben viele Arbeitgeber Angst, diese Frauen einzustellen, weil sie zusätzliche Kosten wegen Krankschreibungen befürchteten. Auch wenn Diskriminierungen stattfinden, sei es schwer, dafür Beweise zu erbringen, weil man sich hierbei auf das Strafrecht, nicht auf das Arbeitsrecht berufen müsste. Auch deshalb fehle es an offiziellen Statistiken. Im wesentlichen sammeln Nichtregierungsorganisationen Daten über Diskriminierungen von Frauen oder gegen LGBTI Minderheiten. Auch in Russland habe die Regierungspartei Jedynaja Rossija den Vorschlag unterbreitet, das bisherige Abtreibungsrecht zu ändern. Zahlreiche Organisationen, die mit der russisch-orthodoxen Kirche verbunden sind, vergrößern ihren Druck auf diesem Gebiet.

Nada Golubović und Natalia Petrić (Udružene Žene) stellten einen Überblick zur Situation von Frauen in Bosnien-Herzegowina und Serbien vor. Eines der größten Probleme, mit dem sie sich in ihrer Tätigkeit auseinandersetzen müssten, sei der gesellschaftliche Kontext. Es sei ungemein schwer, soziale Stereotypen und die traditionelle Rollenteilung zwischen Mann und Frau aufzubrechen. Obwohl beispielsweise für die politischen Körperschaften eine Frauenquote von 40 Prozent eingeführt worden sei, bleibe diese Zahl lediglich auf dem Papier stehen. Der tatsächliche Frauenanteil in der Politik verharre bei 19 Prozent. Bezeichnend sei gewesen, dass unter den Delegationsmitgliedern, die mit der NATO und der EU die Verhandlungen aufnahmen, keine einzige Frau gewesen sei.

Beendet wurde die Tagung mit einer Podiusmsikussion, an der Agnieszka Kochanowska (Krytyka Polityczna), Maciej Sandecki (Gazeta Wyborcza), Prof. Ewa Graczyk und Marta Abramowicz (Kampagne gegen Homophobie) teilnahmen. Es wurde über den Frauenkongress in Polen diskutiert und über die Sprache, mit der in Polen über die Probleme von Frauen gesprochen und geschrieben wird. Dabei wurde das Problem erwähnt, dass das rigide Abtreibungsrecht in Polen wegen der Mehrheitsverhältnisse augenblicklich nicht geändert oder liberalisiert werden könne. Es wurde auch die Teilhabe von Frauen in der Politik sowie in den Aufsichtsräten von Gesellschaften mit einem hohen Staatsanteil angesprochen. Weiterhin notwendig sei ein höheres Verständnis in der Gesellschaft über die Fragen von Frauengleichstellung und über den Umgang mit den Menschen aus dem LGBT-Bereich. Allerdings dürfe nicht unterschlagen werden, welche großen Fortschritte hier in den zurückliegenden Jahren bereits erreicht worden seien.

In der Zusammenfassung der Diskussion unterstrich Małgorzata Tarasiewicz, wie wichtig die Beschäftigung mit den Problemen kleinerer Organisationen sei. Auf der einen Seite werden Großveranstaltungen durchgeführt, zugleich aber müssen in kleineren Städten kleine Organisationen ihre Tätigkeit einstellen, weil es an den nötigen finanziellen Mitteln fehle. Doch ohne die Aktivitäten dieser vielen kleinen Organisationen vor Ort sei auch auf der großen Ebene wenig auszurichten. Am Nachmittag kam es zu einem Treffen mit Maria und Nina Schabalina (Frauenzentrum L’etoil aus Barnaul aus dem Altai-Gebiet). Maria Schabalina berichtete über Dokumente zu Polen, die sich in Sibirien aufhielten. Darunter seien sowohl freiwillige Aussiedler, aber auch Verbannte aus politischen Gründen. Laut Archivquellen seien unter den politisch Verbannten ungefähr 20 Prozent Frauen aus sozialistischen Zusammenhängen gewesen. Schabalina stellte eine interessante Analyse vor, die sich auf die Personen bezieht, die unter Aufsicht der zaristischen Polizei gestanden haben. Bei den Männern wurde vor allem nach Sprachkenntnissen gefragt, auch wurden der Intellekt und die Persönlichkeit eingeschätzt. Bei den Frauen überwogen negative Einstellungen, etwa das Bemängeln ihres Aussehens. Nina Schabalina sprach über die Entstehung und Entwicklung der Organisation L’etoil. Sie entstand als eine Organisation, die Frauen half, die in das Altai-Gebiet zurückkehrten. Vor allem ging es dabei um Arbeit und generell um die neue Lebenssituation. Die Teilnehmerinnen der Tagung erachteten es als sehr wichtig, regionale Vernetzungen zu schaffen. Sie meinten, die nächste Debatte sollte der Teilhabe von Frauen in der Politik gewidmet sein. Weiterhin ist der Frauenanteil in den Ländern, die die Transformation hinter sich haben, bei durchschnittlich 20 Prozent hängen geblieben.

Text: Joanna Gwiazdecka