News | Staat / Demokratie - Soziale Bewegungen / Organisierung "Klarmachen zum Ändern" - Die PIRATEN Brandenburgs

Gesprächsthema in der RLS Brandenburg

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„Klarmachen zum Ändern“ – Die PIRATEN Brandenburg Gesprächsthema in der RLS Brandenburg
Der Abend war ein Experiment, ein erstes Herantasten an die neue, dynamische Partei, an einen Dialog zwischen LINKEN und PIRATEN. Rund dreißig Teilnehmerinnen und Teilnehmer ließen sich auf dieses Wagnis ein. Es wurde nicht nur eine Begegnung zweier Parteien miteinander sowie mit Parteilosen, sondern auch eine von Alt und Jung, von Onlinern und Offlinern.
Zum Start lieferte der Moderator, Andreas Trunschke von der Rosa Luxemburg Stiftung, die Stichworte, und Michael Hensel, erster Vorsitzender der brandenburgischen PIRATEN, legte Positionen und Verfahren seiner Partei dar.
Auch wenn es die Medien fleißig kolportieren, die PIRATEN sind keinesfalls eine Ein-Themen-Partei. Natürlich sind der freie Zugang zu Informationen, der flächendeckende Ausbau des Breitbandnetzes, ja ein Grundrecht auf Breitbandzugang, sowie die Forderung nach einem neuen Urheberrecht zentrale Bausteine ihres Selbstverständnisses. Inzwischen haben sie mehr zu bieten, wie Michael Hensel darlegte:
Kommunen müssen gestärkt werden. Wasser und Abwasser, Energie und Infrastruktur sollten öffentliches, kommunales Eigentum sein. Wohnen muss bezahlbar bleiben, weshalb es auch kommunales Eigentum an Wohnungen geben muss. Und, da ist das Kernthema wieder, Wohnen und Breitbandanschluss gehören zusammen.
Die PIRATEN sind gegen die weitere Abbaggerung von Braunkohle, für erneuerbare Energien, wobei gerade in Brandenburg der Netzausbau Priorität vor neuen Windrädern haben sollten. Die Forschung zu Speichertechniken muss stärker gefördert werden.
In der Finanzpolitik lehnt Hensel das zu stark ausgeprägte betriebswirtschaftliche Denken ab, wonach „sich alles kurzfristig rechnen muss“. Stattdessen tritt er für stärker volkswirtschaftliches Denken in längeren Dimensionen ein.
Nach Meinung von Michael Hensel haben die PIRATEN ein anderes Demokratieverständnis als die etablierten Parteien. Sie sind für mehr direkte Demokratie. Für eine niedrigschwellige Volksgesetzgebung, aber ebenso für etwas, das sie „flüssige Demokratie“ (liquide democracy) nennen. In einer Art Gegenstromprinzip werden insbesondere via Internet gemeinsam Positionen erarbeitet.
Auf besonderes Interesse der Teilnehmer, natürlich insbesondere derjenigen, die nicht den PIRATEN angehören, stieß die Vorstellung des Piratenpads. Live demonstrierten drei Piraten die gemeinsame Arbeit an einem Dokument.
Auf diese Weise und mittels paralleler Gespräche via Internet (über Mumble) wird gerade an einem Bildungskonzept für Brandenburg gearbeitet. Konsens scheint bisher zu sein, dass Bildung eine erstrangige staatliche Aufgabe ist, jedoch die Vielfalt der Schulen und Schulformen gewährleistet sein soll.
Nach ca. einer halben Stunde glitt die Veranstaltung von der Gesprächsrunde im Podium über in eine Debatte aller miteinander. Ein zentraler Diskussionspunkt betraf die etwas saloppe Formulierung, nach der die PIRATEN nicht links, nicht rechts, sondern vorn seien. Sascha Krämer, Vorsitzender der LINKEN Potsdam, meinte dazu sinngemäß: „Ihr seid wie wir, nur liegt euer Durchschnittsalter bei 35, unseres bei 65. Ihr habt den Charme des Neuanfangs für euch, ihr kommt authentischer rüber, und ihr braucht nicht den Spagat zwischen Regierungsbeteiligung und weitergehenden Vorstellungen meistern. Aber muss es dafür eine neue Partei sein?“ Tatsächlich finden sich viele der von Michael Hensel skizzierten Positionen so oder so ähnlich auch bei der LINKEN. Die PIRATEN also die LINKE 2.0? So einfach ist es denn doch nicht.
Michael Hensel meint in seinem Resümee, nachzulesen auf der Webseite der PIRATEN Brandenburgs: „Die thematischen Unterschiede zu anderen Parteien waren deutlich erkennbar – und es fiel den anwesenden Gästen schwer, die PIRATEN in das überholte, aber noch immer typische, Rechts-Links-Schema einzuordnen.”
Ein wesentlicher Unterschied zwischen LINKEN und PIRATEN scheint auch darin zu bestehen, dass der Schwerpunkt der LINKEN mehr auf dem WAS liegt, auf den einzelnen konkreten Positionen, der Schwerpunkt der PIRATEN dagegen eher auf die WIE, nämlich, wie man zu solchen Positionen kommt. Die damit noch verbundene Offenheit in vielen Positionen führte Krämer zum Fazit: „Ahnungslosigkeit als Suchbewegung“.
Insgesamt werden sich wohl beide Parteien weiter im Spannungsverhältnis zwischen einer großen gemeinsamen Schnittmenge einerseits und sehr unterschiedlichen Kulturen, Erfahrungen und Milieus, aber auch verschiedenen Einzelpositionen andererseits bewähren müssen. Der Abend deutete an, dass beide Parteien genug Gemeinsamkeiten besitzen, um miteinander zu können, und hinreichend Unterschiede, um als originäre Gewächse zu bestehen. PIRATEN und LINKE sind Konkurrenten und können Partner sein.
Nach fast zwei Stunden wurde die Veranstaltung offiziell beendet. In kleineren Gruppen wurden weiter Eindrücke und Positionen ausgetauscht. Für die Rosa Luxemburg Stiftung Brandenburg ist es eine noch ungewöhnliche Erfahrung, dass, selbst als alle nach Hause gegangen waren, die Diskussionen miteinander noch immer nicht zu Ende waren. Sowohl auf der Seite der PIRATEN Brandenburgs als auch in der Facebook-Gruppe der LINKEN Potsdam wurde die Veranstaltung ausgewertet. Und zwar miteinander!
LINKE wie PIRATEN waren sich einig, dass die heutigen Debatten auch in themenbezogenen Veranstaltungen der Rosa Luxemburg Stiftung Brandenburg fortgesetzt werden sollen. Das dürfte spannend werden.