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Ein Nachruf auf Jakob Moneta (11.11.1914-3.3.2012) von Christoph Jünke

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Der Mensch lebt nicht vom Brot allein und hat auch dies nicht ohne Kultur. Als der US-amerikanische Poet James Oppenheim diese Lebensweisheit im Jahre 1911 in einem seiner Gedichte in die Chiffre „Brot und Rosen“ übersetzte, wurde sie nur ein Jahr später, vor nun genau einem Jahrhundert, zur zündenden Streik-Parole, als mehr als 20.000 Textilarbeiterinnen mit Migrationshintergrund (wie man heute sagt) in Massachusetts (USA) für einen gerechten Lohn, sprich: Brot, und eine menschenwürdige Arbeits- und Lebensumgebung, sprich: Rosen, kämpften. Die Arbeiterinnen erstritten so eine 25-prozentige Lohnerhöhung, eine gerechtere Bezahlung von Überstunden und die Zusage, dass Streikende in Zukunft nicht mehr diskriminiert werden sollten. Seitdem gehört das damals entstandene Lied „Her mit dem ganzen Leben: Brot und Rosen“ zum Liedgut der internationalen Arbeiterbewegung – und wurde zu einem der Lieblingszitate von Jakob Moneta, der am 3.März, im stolzen Alter von 97 Jahren in Frankfurt am Main gestorben ist. Der 1914 im damals noch österreichisch-ungarischen Ostgalizien Geborene war eine der beeindruckendsten Gestalten der deutschen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung.

Aufgewachsen im Köln der Zwischenkriegszeit, schloss sich Moneta Anfang der dreißiger Jahre der Jugendorganisation der aus einer linksoppositionellen Strömung der SPD hervorgegangenen Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) an und engagierte sich im Arbeitersport. Ende 1933 verließ der junge Jude und Sozialist das faschistische Deutschland und ging nach Palästina, um in einem Kibbuz nicht nur zu überleben, sondern auch am Aufbau einer neuen solidarischen Welt Anteil zu nehmen. Hier lernte er eine praktisch gelebte sozialistische Kollektivität, die ihn zeitlebens prägen sollte, die ihn aber auch politisch ernüchtern ließ, als er aus dem Kibbuz ausgeschlossen und mit 27 Monaten Internierung bestraft wurde, weil er 1939 gegen den politischen Zionismus auftrat und gewerkschaftliche Streiks organisierte und dabei wie selbstverständlich auch mit nichtjüdischen Arabern zusammenarbeitete. 1948 gelang ihm über Frankreich und Belgien die Rückkehr nach Westdeutschland – der deutsche Osten bot ihm, dem trotzkistisch beeinflussten Antistalinisten, keine wirkliche Perspektive. Zurück in Köln wurde er Redakteur der von Willi Eichler und Heinz Kühn geführten sozialdemokratischen Rheinischen Zeitung und Mitglied der neuen Sozialdemokratie. Er stärkte dort den linkssozialistischen Flügel und ging, als er verstand, dass dieser zu Beginn der 1950er Jahre in die hoffnungslose Defensive geraten war, im Jahre 1953 als Sozialreferent an die bundesdeutsche Botschaft nach Paris. Im Geiste und hinter vorgehaltener Hand blieb er jedoch ein Trotzkist und heimatloser Linker jenseits von kommunistischem Bürokratismus und sozialdemokratischem Reformismus und erzählte später immer gerne, wie er die Immunität des Botschaftsangehörigen dazu benutzte, den französischen und nichtfranzösischen (auch deutschen) Aktivisten der algerischen Befreiungsbewegung zu helfen.

Er hielt zwar den Kontakt in die Heimat, doch das Westdeutschland, in das er 1962 zurückkehren sollte, hatte sich während der vergangenen fast zehn Jahre nachhaltig verändert. Große Teile seiner Generation heimatloser Linker hatten sich nach langen und intensiven Kämpfen gegen die Godesbergisierung der SPD enttäuscht und zermürbt geduckt oder gar zurückgezogen. Und die neue, an den Universitäten heranwachsende linke Generation wollte von der ersten Generation einer Neuen Linken nicht mehr viel wissen – was zu tiefgreifenden gegenseitigen Vorbehalten führte und, anders als in Ländern wie Frankreich und Großbritannien, eine fruchtbare und für die Zeit nach 68 folgenreiche Zusammenarbeit zwischen alter und neuer „Neuer Linker“ verhindern sollte. Nur ganz wenige derjenigen, die in den fünfziger Jahren politisch führend aktiv waren, sehen wir nach 68 auf der politischen Bühne wieder. Einer dieser wenigen war Jakob Moneta, den der IG Metall-Vorsitzende Otto Brenner 1962 zum Chefredakteur der beiden einflussreichen IG-Metall-Zeitungen Metall und Der Gewerkschafter machte, und damit auch zum IG Metall-Vorstandsmitglied. Mit seinem tatkräftigen Optimismus und seiner bemerkenswerten Fähigkeit, junge Talente (in Theorie wie Praxis) zu erkennen und zu fördern, gelang Moneta der Brückenschlag zwischen den Generationen und ging als einer der wenigen Exponenten des linken Gewerkschaftsflügels in die Geschichtsbücher der sechziger und vor allem siebziger Jahre ein. Später gefragt, was er denn als neuer Metall-Chefredakteur geändert hätte, antwortete er bestechend schlicht: „Ich habe keine Leserbriefe mehr weggeworfen, wenn sie einem nicht passten, sondern habe sie veröffentlicht. Dann habe ich einen ganz konsequenten antimilitaristischen Standpunkt vertreten. Als der Vietnamkrieg kam, haben die amerikanischen Gewerkschaften interveniert, weil wir gegen den Vietnamkrieg waren.“ Und als die Studenten aufbegehrten und ihr „Wir wollen alles – und zwar sofort“ auf der Straße skandierten, wusste er zwar, dass dieses „sofort“ eine Illusion war, aber immerhin eine heroische Illusion, denn dass hier jemand endlich wieder einmal alles begehrt, das gefiel ihm sehr. Entsprechend kritisierte er seine reformistischen Kolleginnen und Kollegen nicht dafür, dass sie sich als Reformisten verstanden, sondern dafür, dass sie nicht reformistisch genug waren, dass sie nicht das politische Bündnis mit den Radikalen suchten, um ihrem Reformismus den nötigen Nachdruck zu verleihen.

Ob als Journalist und Publizist oder als Gewerkschafter und Intellektueller, ob als Herausgeber und Übersetzer oder als Mitglied der SPD und, unter der Hand, der Gruppe Internationaler Marxisten (GIM), ob als späteres Mitglied der Vereinigten Sozialistischen Partei (VSP) oder der nun gesamtdeutschen Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) – Jakob Moneta hat immer Position bezogen, sich eingemischt und Bewusstsein angestoßen, sei es im direkten Gespräch oder in den Gremiensitzungen, sei es auf Tagungen und bei Vorträgen oder mit seinen zahllosen publizistischen Texten und Kolumnen. Und auf angenehme Weise belehrend mischte er bei diesen zumeist kurzen Interventionen aktuelle Fragen mit grundsätzlichen, Alltagsbegebenheiten mit politischen Großwetteranalysen, Deutsches mit Internationalem, politische Argumente mit sozialgeschichtlicher Aufklärung.

Er hatte was zu sagen. Er hat gerne angestoßen und gefördert, konnte aber auch zuhören und das Gehörte und Erlebte verarbeiten. Sektierertum, die selbstgewählte Abschottung gegen andere, war ihm fremd, obwohl er sich seines gesellschaftlich marginalisierten Standpunktes immer bewusst blieb. Ihm war klar, dass er nicht in Zeiten des Barrikadensturmes lebte. Doch ein Grund, deswegen nicht mehr alles zu wollen, war auch dies für ihn nicht. Er vertraute darauf, dass „die Leute“ bald schon verstehen würden, dass es nicht reicht, nur die eigenen Lohnerhöhungen erkämpfen und nur die eigenen Arbeitsplätze verteidigen zu wollen. Und sei diese Erkenntnis endlich wieder gereift, würden auch die Bedürfnisse der Menschen wieder zum entscheidenden Kriterium des Wohlbehagens und Fortschritts und nicht mehr die Gesetze von Profit und Konkurrenz.

Bis dahin konnte er aus einem reichhaltigen und turbulenten Leben zehren, aus seinen Kämpfen gegen den aufkommenden Nazi-Faschismus und den politischen und gewerkschaftlichen Kämpfen im Palästina der dreißiger Jahre, aus seinen praktischen wie intellektuellen Kämpfen gegen die stalinistisch entartete kommunistische Bewegung und gegen den westdeutschen Adenauer-Staat. Er schöpfte dabei aus seinem Internationalismus ebenso wie aus seinen jüdischen Wurzeln und seinen sozialistischen Überzeugungen.

Sein unaufdringlicher sozialistischer Humanismus war gleichermaßen Zielvorstellung wie auch persönlich gelebtes Ethos. Jakob Moneta nahm die radikal-demokratischen Versprechen der frühbürgerlichen Aufklärungstradition ebenso ernst wie die Emanzipationsversprechen des alten Arbeiterbewegungsmarxismus. Niemals hat er sich darauf verlassen, dass wo Demokratie drauf steht auch Demokratie drin ist, oder, dass wo Sozialismus drauf steht auch Sozialismus drin ist, denn beide gehörten ihm untrennbar zusammen. Ein konsequenter Demokrat müsse eben auch Sozialist sein, wurde er nicht müde zu betonen. Und kein Sozialist verdiene Glaubwürdigkeit, der nicht verstanden hat, dass demokratische Freiheiten eine Errungenschaft sind, die man für keine noch so schön gemeinte Erziehungsdiktatur auch nur vorübergehend suspendieren kann. Sich von dieser radikal-demokratischen Aufgabe nicht bürgerlich vereinnahmen zu lassen, das hat er verstanden – nicht zuletzt, weil er nicht vergessen hat, dass demokratische Fortschritte in den letzten beiden Jahrhunderten nur gegen jene bürgerliche Klasse durchzusetzen waren, die doch gleichzeitig als deren vermeintlich natürlicher Exponent betrachtet wird. Seine Parteinahme für die Ohnmächtigen dieser Welt war deswegen das geduldige Bohren dicker Bretter, und die Ausdauer und der optimistische Elan, mit der der linke Aufklärer diese Arbeit verrichtete, sind bewundernswert. Die meisten seiner linken Zeitgenossen haben diese Standhaftigkeit im Zeitalter des Skeptizismus nicht aufzubringen vermocht.

Für Jakob blieb es nicht nur eine echte Sünde wider den Menschen, wenn man diesem kein Brot gibt, sondern auch, wenn man ihm nur Brot gibt und dann sich selbst überlässt. „Verbrecher werden nicht geboren, sie werden gemacht“, schrieb er vor nun sechzig Jahren in direkter Auseinandersetzung mit den neoliberalen Vordenkern Wilhelm Röpke und Walter Eucken: „Alkoholiker sind leere oder ausgebrannte Menschen, aber warum war niemand und nichts da, um diese Leere auszufüllen, und warum wurde der Brand nicht rechtzeitig gelöscht? Zu warten, bis der Mensch sich schuldig macht, um hinterher über ihn zu Gericht sitzen zu können, heißt, sich mitschuldig machen. Es nutzt nichts, die Symptome zu bekämpfen.“ Der Liberalismus sei nicht nur unfähig, solche Probleme zu lösen, er mache sie auch noch schlimmer, wo er sich dem Credo des individuellen carpe diem verschreibe, dem Imperativ, den Tag zu nutzen, den Tag zu genießen. Für Moneta war dagegen dieses carpe diem die „gespenstisch anmutende Aufforderung, Freudentänze auf den Grabhügeln menschlicher Skelette aufzuführen, die uns die jüngste Geschichte als Erbe hinterlassen hat“. Es könne deswegen nicht darum gehen, den Tag einfach nur zu genießen. Es müsse vielmehr darum gehen, den Tag zu nutzen, um die Zukunft vorzubereiten, den Tag zu nutzen, um die menschliche Persönlichkeit in ihrer ganzen Vielfältigkeit als Gattungswesen zu entfalten: „darin liegt unser Glück“.

Jakob Moneta hat auf bemerkenswerte Weise, ebenso selbstbewusst wie selbstlos, seine Tage genutzt, um diese nicht nur ihm eigene Vision der Zukunft vorzubereiten. Er wollte das ganze Leben, er wollte Brot und Rosen – nicht für sich allein, sondern für alle.

Siehe auch:
Politisch hellsichtig, moralisch ungebrochen
Nachruf von Michael Brumlik in «Jüdische Allgemeine», 8.3.2012

Eine kleine Handreichung als Postskriptum:

Was bleibt? Es bleibt die Erinnerung an den aufrechten Gang eines linken Sozialisten und Gewerkschafter. Und es bleiben seine Bücher, Texte und Kolumnen. Einen Eindruck vom ersten bietet das Film-Interview von Juri Hälker: Jakob Moneta: Jude – Gewerkschafter – Sozialist, 84 min, Hamburg: VSA-Verlag 2006, das sich auch online findet unter http://de.labournet.tv/video/5994/jakob-moneta-jude-gewerkschafter-sozialist. Monetas Bücher, Texte und Kolumnen sind allerdings entweder vergriffen oder in Bibliotheken und Archiven verstreut (ein kleiner Überblick findet sich unter http://www.trotskyana.net/Trotskyists/Bio-Bibliographies/bio-bibl_moneta.pdf). Besonders zu nennen wäre hier sein Band Mehr Macht für die Ohnmächtigen. Reden und Aufsätze, Frankfurt/M.: ISP-Verlag 1991, 154 Seiten, sowie Jürgen Hinzer/Helmut Schauer/Franz Segbers (Hrsg.): Perspektiven der Linken. Ein kämpferisches Leben im Zeitalter der Extreme, Hamburg: VSA-Verlag 2000, 132 Seiten. Noch zu beziehen ist dagegen eine kleine Sammlung von Kolumnen aus den 1980er, 1990 und 2000er Jahren, die auch biografische Würdigungen enthält, u.a. von Ernest Mandel und Winfried Wolf, Gregor Gysi und Lothar Bisky, Gerhard Zwerenz und Georg Fülberth. Die Broschüre Jakob Moneta: Solidarität im Zeitalter des Skeptizismus. Kommentare aus drei Jahrzehnten, Köln: SoZ-Verlag 2004, 76 Seiten, ist für drei Euro zu beziehen über: SoZ-Verlag, Regentenstr.57-59, 51063 Köln, redaktion@soz-verlag.de.