News | International / Transnational - Afrika - Parteien / Wahlanalysen Präsidentschaftswahlen in Senegal

Ein Kurzüberblick über den ersten Durchgang am 26.2.2012 von Ndongo Samba Sylla, Rosa-Luxemburg-Stiftung Dakar.

Senegal, ein kleines westafrikanisches Land, ist für seine demokratischen Errungenschaften bekannt. Von den etwas mehr als 13 Millionen Einwohnern Senegals sind mit einem Anteil von über 90 Prozent Muslime die dominierende Bevölkerungsgruppe. Das Land der Teranga („Gastfreundlichkeit“ auf Wolof) hat Traditionen der Toleranz, religiösen Vielfalt und des Friedens bewahrt.

1.    Art der Wahlen

Der erste Durchgang der zehnten Präsidentschaftswahlen in Senegal  – es handelt sich um die siebten seit Einführung des Mehrparteiensystems - fand am 26. Februar 2012 statt. Ein weiterer Durchgang wird wahrscheinlich notwendig sein, da nach vorläufigen Ergebnissen kein Kandidat die absolute Mehrheit auf sich vereinen konnte.

2.    Kurze Einschätzung der politischen Lage vor dem Hintergrund der Wahlen

Die Beobachtermission der Europäischen Union, die Beobachterkommission der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) sowie die zahlreichen Beobachter der afrikanischen und senegalesischen Zivilgesellschaft berichteten über einen regulären und transparenten Verlauf der Wahlen. Dieses Ergebnis ist angesichts des sehr angespannten Kontexts, der vor den Wahlen herrschte, sehr lobenswert. Als das Verfassungsgericht in seinem Urteil die Kandidatur des amtierenden Präsidenten Wade für rechtsgültig erklärte - entgegen dem Geist der senegalesischen Verfassung und obwohl Wade früher selbst erklärt hatte, dass er laut Verfassung kein drittes Mal für dieses Amt kandidieren dürfe -, organisierte ein zerstrittenes Oppositionsbündnis (M23 - „Bewegung vom 23. Juni“) zahlreiche Demonstrationen, um den Rückzug der Kandidatur Wades zu erreichen. Dabei starben sechs Menschen und es gab zahlreiche Verletzte. Nach überzogenen Berichten durch Presse und Medien, die einen sehr starken Anti-Wade-Kurs verfolgten, kam es zu Protesten dramatischen Ausmaßes. Nicht wenige waren der Meinung, dass bis zum Rückzug von Wade keine Wahlen stattfinden würden. Andere wiederum wiesen darauf hin, dass die Wahlen nicht transparent und regulär sein würden, selbst wenn sie stattfinden sollten. Es gab viele Verdächtigungen in Bezug auf mögliche Betrugsfälle vonseiten der Regierungspartei. Genährt wurden diese Vermutungen durch zahlreiche Aussagen und Gerüchte, wonach Wade die Präsidentschaftswahlen im ersten Durchgang für sich entscheiden wollte. Diese Befürchtungen erweisen sich rückblickend als ebenso unbegründet wie die Panik der Zivilgesellschaft und der Medien. Allem Anschein nach wird ein zweiter Durchgang durchgeführt. Die Ergebnisse des ersten Durchgangs wurden von vielen als Abstrafung Wades gewertet.

3.    Das Wahlergebnis im Überblick

Bis dato (29. Februar) liegen noch keine amtlichen Ergebnisse vonseiten der Behörden vor. Laut Wahlgesetz sind die offiziellen Ergebnisse spätestens am 2. März bekanntzugeben. Viele Tageszeitungen entschlossen sich aber, die allem Anschein nach endgültigen Ergebnisse zu veröffentlichen. Die Ergebnisse beruhen auf Dokumenten, die von den örtlichen Wahlkommissionen erstellt wurden, die für die Stimmenauszählung zuständig sind. Diese Dokumente wurden von den jeweiligen Bezirksgerichten bestätigt. Die hier erteilten Angaben sind vorläufiger Natur und beziehen sich auf einen Artikel in der senegalesischen Tageszeitung L’Observateur (29. Februar).

Demnach waren 5 100 989 Wählerinnen und Wähler registriert. Die eigentliche Wahlbeteiligung war ziemlich gering (51,9 %), da nur 2 645 328 Wahlberechtigte ihre Stimme abgaben (Diese Zahl berücksichtigt nicht die Stimmen der Angehörigen des Militärs und paramilitärischer Einheiten (203 000 registrierte Wahlberechtigte) sowie die der im Ausland lebenden Senegalesinnen und Senegalesen (200 000 registrierte Wahlberechtigte). Da die Wahlbeteiligung beider Gruppen relativ gering war und ihre Gesamtzahl im Vergleich zur Anzahl der Gesamtwähler nicht so erheblich ist, haben diese Wählerstimmen keinen entscheidenden Einfluss auf die endgültige Stimmenverteilung). Die Richtigkeit der Angaben vorausgesetzt, ist dies die zweitniedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte der Präsidentschaftswahlen in Senegal (etwas mehr als die Beteiligung von 51,5 % bei den Präsidentschaftswahlen von 1993). Im Vergleich zu den Präsidentschaftswahlen von 2000 ist dieser Rückgang relativ. Gegenüber den Präsidentschaftswahlen von 2007, als die Beteiligung bei 70 % lag, ist der Rückgang der Wahlbeteiligung dagegen absolut: dieses Mal nahmen mindestens 500 000 Wahlberechtigte weniger teil.

Erwähnenswert ist auch, dass sich die Anzahl der registrierten Wählerinnen und Wähler von 2000 bis 2012 nahezu verdoppelte. Diese Entwicklung führte erstaunlicherweise dazu, dass die „sozialistische Familie“ bei den Stimmrechtsanteilen weiter an Boden verlor, da es ihr nicht gelang, ein neues Konzept zu entwickeln, das junge Wählerinnen und Wähler anspricht und auch in den wachsenden Vorstädten Anklang findet. So enthielten sich vor allem junge Wählerinnen und Wähler (18- bis 23-Jährige) und Wahlberechtigte aus den Vorstädten der Stimme. Für diese Gruppen lässt sich eine starke Abneigung vom repräsentativen System erkennen. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Verteilung der Wahllokale Wahlberechtigte in den Vorstädten benachteiligt. Bei einem einzigen Wahllokal in Vorstädten wie Pikine and Guédiawaye sind in vielen Fällen rund 1 000 Wählerinnen und Wähler registriert. Auch nur der Hälfte der Wahlberechtigten dort die Stimmabgabe zu ermöglichen, lässt sich aufgrund der verfügbaren Mittel einfach nicht verwirklichen. 

Die ungültigen Stimmabgaben nicht mitgerechnet, beträgt die Anzahl der gültigen Wählerstimmen 2 624 888. Abdoulaye Wade und seine Koalition „Fal 2012“ (Fal bedeutet „Wählen“) vereinen insgesamt 34,97 % der abgegebenen Stimmen auf sich. Es folgt Macky Sall (26,21 %), ehemaliger Premierminister unter Wade, der 2008 seine eigene Partei - APR - „Alliance Pour la République“ - gründete. Diese beiden Kandidaten werden daher im zweiten Durchgang am 18. März 2012 gegeneinander antreten, soweit diese Ergebnisse am Freitag, den 2. März, offiziell bestätigt werden.
Auf die Kandidaten der „liberalen Familie“ folgen die beiden Kandidaten der „sozialistischen Familie“: Moustapha Niasse und seine Koalition Benno Siggil Senegal  (in etwa „Gemeinsam Senegal stark machen“) erzielten 13,2 % der Wählerstimmen, während Ousmane Tanor Dieng und sein Bündnis „Benno Ak Tanor“ („Gemeinsam mit Tanor“) 11,5 % der Stimmen für sich verbuchten. Idrissa Seck, Vorsitzender von „Rewmi“ („Republik“), ebenfalls früherer Premierminister unter Wade, schaffte es auf den fünften Platz (7,9 %), nachdem er fünf Jahre davor auf Platz zwei landete.
Dieser erste Durchgang bestätigte, dass die Politik Senegals von großen Parteien dominiert wird. Die Chancen für Erfolg versprechende oder neu entstehende Parteien, ein beachtliches Wahlergebnis zu erzielen, sind sehr begrenzt. Abgesehen von diesen fünf großen Kandidaten schafften neun weitere Kandidaten nicht die 5%-Hürde, die für die Rückerstattung der Wahlkaution notwendig ist (als Voraussetzung für ihre Zulassung müssen Kandidaten den Gegenwert von 100 000 Euro hinterlegen). Der bestplatzierte dieser Kandidatengruppe ist Cheikh Bamba Dièye, Bürgermeister von Saint-Louis (1,9 %). Mit 0,12 % der abgegebenen Stimmen belegte die Modeschöpferin Diouma Dieng Diakhaté, eine der beiden weiblichen Kandidaten, den letzten Platz (14.). 

Im ersten Durchgang wurde zudem sichtbar, dass die Wählerinnen und Wähler diejenigen Oppositionsführer der Bewegung M23 abstraften, die versuchten, in Dakar Stimmung gegen die Kandidatur von Wade zu machen, statt einen erfolgreichen Wahlkampf zu organisieren. Die Spitzenkandidaten, die diese Strategie verfolgten, stießen bei ihrer Wählerschaft auf Ablehnung. Besonders deutlich wurde dies für Idrissa Seck in Thiès und für Cheikh Bamba Dièye in Saint-Louis. Dagegen wurde Macky Sall dafür belohnt, dass er sich schon früher von der inkohärenten Strategie der M23 lossagte. Die Mitglieder der M23 kritisierten ihn schon einmal wegen seiner Taktik als „Trittbrettfahrer“. Die politische Strategie von Macky Sall ging schließlich auf, denn er profitierte davon, dass Wade durch die von der M23 geleistete Arbeit immer unpopulärer wurde. Schließlich führte er auch einen gelungenen Wahlkampf. Nach Berichten des Observateur vom 28. März besuchte Macky Sall während seines 21 Tage dauernden Wahlkampfs 115 Orte und organisierte 62 Veranstaltungen. Er profitierte dabei offenbar insbesondere von den Stimmen der Halpular oder Tukulor.
Der beunruhigendste Aspekt der senegalesischen Demokratie ist, dass die beherrschenden Wahlkampfthemen fast immer die Unzulässigkeit der Kandidatur von Wade zum Ziel hatten. Das Angebot an die Wählerinnen und Wähler glich daher einer Entscheidung nach persönlichem Beliebtheitsgrad. Eine Gegenüberstellung politischer Meinungen fand nicht statt. Die Organisation des Wahlkampfs war nicht geeignet, eine Debatte über Ideen und Vorschläge in Gang zu setzen. Die wichtigsten Kandidaten vermittelten weder einen Leitgedanken noch einen wegweisenden Vorschlag. Die Wählerinnen und Wähler entschieden sich für Wade oder Sall. Niemand kann aber vorhersagen, welches Programm sie für die nächsten Jahre aufstellen werden.

5.    Erste Schlussfolgerungen für die Linke

In der politischen Landschaft Senegals kann nicht ohne Weiteres zwischen „links“ und „rechts“ unterschieden werden. Die senegalesische Politik ist nicht nach klassischen europäischen Ideologien strukturiert. Parteinamen geben im Allgemeinen nur wenig Aufschluss über politische Meinungen oder Strategien. Das bedeutet aber nicht, dass es keine echten „Linken“ und „Rechten“ geben würde. Tatsache ist, dass das Politikgeschäft in Senegal stärker durch „taktische“ als ideologische Aspekte bestimmt wird. Moustapha Niasse, einst einflussreiches Mitglied der Sozialistischen Partei, beschloss im Jahr 2000, für Wade zu stimmen, der sich im zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen selbst als „liberal“ bezeichnet (im Sinne eines Verfechters der freien Marktwirtschaft). Ohne Niasses Beitrag wäre es Wade vermutlich nie gelungen, das Amt des Präsidenten der Republik zu bekleiden.

Dieses Mal hat es den Anschein, dass Moustapha Niasse und Ousmane Tanor Dieng, beide Mitglieder der „sozialistischen Familie“, das Zünglein an der Waage zwischen den beiden Kandidaten der „liberalen Familie“ sein werden. Die sozialistischen Wählerinnen und Wähler werden vor einer schwierigen Entscheidung stehen. Da alle Mitglieder der M23 versprachen, ihre Stimmen dem Kandidaten zu geben, der den zweiten Durchgang erreicht, sind sowohl Niasse als auch Dieng eigentlich an ihr Wahlversprechen gebunden.  Bisher blieben sie ihren Prinzipien treu, obwohl keiner der Spitzenkandidaten ausdrücklich erklärte, seine Wählerschaft zur Stimmabgabe für Sall aufzufordern. Dies könnte sich aber als sehr viel komplizierter als erwartet herausstellen. Die führenden Kräfte der M23 fühlen sich in gewisser Weise von Sall verraten, der am Widerstand gegen die Kandidatur Wades nicht weiter beteiligt war. Außerdem wird Sall, der in der liberalen Familie sehr einflussreich war, da er fast 8 Jahre die prestigeprächtigsten Ämter der Republik bekleidete, auch als verantwortlich dafür gesehen, was durch die liberale Regierung erreicht oder versäumt wurde. Sall zu wählen, wäre so, als würde man sich für „Wade ohne Wade“ entscheiden, um den namhaften senegalesischen Journalisten Abdou Latif Coulibaly zu zitieren.
Niasse und Dieng stehen daher vor einem besonders schwierigen Dilemma: Falls sie Sall ihre Stimme geben, werden sie aufgrund ihres Alters aus der politischen Landschaft verschwinden. Sall (50) ist relativ jung und - so die allgemeine Meinung - wenn er Wade im zweiten Durchgang schlägt, wird er für zwei Mandate, d. h. 14 Jahre, im Amt bleiben. Wenn sie sich für Sall aussprechen, würden Niasse (73 Jahre) und Dieng (65 Jahre) das Ende ihrer Karriere besiegeln und vermutlich ihre Partei zerstören (denn die Mitglieder würden scharenweise zu Sall überlaufen). Wenn sie sich aber für Wade aussprechen und Wade gewählt wird, bleibt für sie die Aussicht auf eine vorgezogene Präsidentschaftswahl bestehen, da nicht davon ausgegangen wird, dass der knapp 86-jährige Wade ein weiteres Mandat über sieben Jahre absolvieren können wird. Diese Option ist nicht folgenlos. Zunächst einmal erscheint es paradox, dass die beiden Wade im zweiten Durchgang unterstützen könnten, nachdem sie während des gesamten Wahlkampfs die Gültigkeit seiner Kandidatur angefochten hatten. Zweitens würde ein Entschluss von Niasse und Tanor, ihr Wahlversprechen zu brechen, von der senegalesischen Öffentlichkeit wahrscheinlich negativ aufgenommen.
Vor dem gleichen Dilemma wie Niasse und Tanor steht Idrissa Seck. Er ging nämlich das gleiche Wahlversprechen ein. In diesem Fall ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Seck sowohl mit Wade als auch mit Sall persönliche Probleme hat. Er machte Sall für all sein politisches Missgeschick verantwortlich. Als Sall Innenminister war, wurde er verhaftet, um später von Korruptionsvorwürfen freigesprochen zu werden. Als er die rechtliche Anerkennung seiner Partei anstrebte, wurde er von Sall offensichtlich blockiert. Falls sich Idrissa Seck und seine Anhänger dazu entschließen, für Sall zu stimmen, würde dies vermutlich ihren politischen Untergang bedeuten.
Die politische Lage ist also aufgrund der Eigenheiten der Hauptakteure und der dadurch bedingten erheblichen Konsequenzen ziemlich kompliziert. Das Ergebnis des zweiten Durchgangs wird jedenfalls von zwei grundlegenden Erwägungen bestimmt: Erstens die Wahlbeteiligung: Wird es zu einer Massenmobilisierung der Wählerinnen und Wähler an einem von manchen aus politischen Gründen als „Referendum gegen Wade“ bezeichneten zweiten Durchgang kommen? An diesem zweiten Durchgang kann sich mindestens eine Million weiterer Wählerinnen und Wähler beteiligen und dadurch wesentlichen Einfluss auf das Ergebnis nehmen. Zweitens das Wahlverhalten derer, die im ersten Durchgang nicht für Wade und Sall gestimmt haben: Falls Niasse, Dieng und Seck einen bestimmten Kandidaten unterstützen, wird ihnen dann ihre Stammwählerschaft folgen, das heißt die politisch nicht aktiven Wählerinnen und Wähler? Nichts ist gewiss, aber wir werden in Kürze Näheres erfahren.

Ndongo Samba Sylla, Rosa-Luxemburg-Stiftung Dakar
Dakar, 29. Februar 2012

Wahlbericht in englischer Sprache