News | Marg/Walter: Betrachtungen zur 150-jährigen Geschichte von Arbeiterbewegung, Linksintellektuellen und sozialer Demokratie; Göttingen 2012

Nils Markwardt rezenisert auf www.freitag.de

Franz Walter, Stine Marg: Von der Emanzipation zur Meritokratie. Betrachtungen zur 150-jährigen Geschichte von Arbeiterbewegung, Linksintellektuellen und sozialer Demokratie; Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2012, 160 S., 19,90 EUR.

Peer Steinbrück hat die mächtige Zahl bereits auf seiner Parteitagsrede beschworen. Im kommenden Frühjahr wird man sie noch öfter hören. Denn am 23. Mai 1863 hob Ferdinand Lassalle den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) aus der Taufe 2013 feiert die deutsche Sozialdemokratie damit ihren 150. Geburtstag. Angesichts des anstehenden Bundestagswahlkampfs wird die SPD, die 1875 aus dem ADAV hervorging, dabei nicht mit dem nötigen Pathos geizen.

Indessen haben Franz Walter, Direktor des Göttinger Instituts für Demokratieforschung (und regelmäßiger Autor des Freitag), und seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Stine Marg schon jetzt ein überaus lesenswertes Buch vorgelegt, das anlässlich dieses Jubiläums einen Rückblick auf eineinhalb Jahrhunderte Arbeiterbewegung wirft. Unter dem etwas sperrigen Titel Von der Emanzipation zur Meritokratie versammeln die beiden Autoren eine Reihe pointierter Betrachtungen zur Geschichte von Arbeiterbewegung, Linksintellektuellen und sozialer Demokratie, die gleichermaßen würdigend wie kritisch mit den Genossen zu Gericht sitzen.

Der 160 Seiten schmale Band kann zwar notwendigerweise nur einige Fragmente der sozialdemokratischen Biografie kolorieren, spannt dabei aber dennoch ein weites Themenfeld auf, das von den erfolglosen Anfängen des ADAV über die Massendemonstrationen der Weimarer Republik bis zum „neoliberal turn“ der Agenda 2010 reicht. Die Klammer ist der große sozialdemokratische Paradigmenwechsel: die Ablösung kollektiver Emanzipationskämpfe zugunsten eines meritokratischen Individualismus. Anders gesagt: der Weg vom demokratischen Sozialismus zum Mantra der „Chancengleichheit“.