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Shipbuilding Industry and Globalization since 1950. Ein Tagungsbericht von Sarah Graber Majchrzak.

Am 22. und 23. Juni 2012 trafen sich an der Universität Leipzig rund 30 WissenschaftlerInnen aus unterschiedlichen Weltregionen, um gemeinsam über die Veränderung der Arbeitsverhältnisse in der Schiffbauindustrie in den letzten 60 Jahren zu diskutieren und somit die Realität der Globalisierung und deren Folgen für die Produktionsbedingungen zu untersuchen. Die Tagung fand mit finanzieller und organisatorischer Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Stiftung für Menschenwürde und Arbeitswelt und dem Centre for Area Studies Leipzig statt. Neben den ReferentInnen haben auch FachexpertInnen und Interessierte an der Tagung teilgenommen.


Die alte und sehr traditionelle Industriebranche des Schiffbaus machte in den meisten europäischen Ländern in den letzten 30 Jahren mehr negative als positive Schlagzeilen. Seit Ende der 1970er Jahre war die Branche im europäischen Raum geprägt von Umstrukturierungen, Massenentlassungen und Betriebsschließungen. Der internationale Konkurrenzdruck durch sich neu entwickelnde und billiger produzierende Schiffbaunationen, wie etwa Südkorea, Japan und Brasilien nahm zu. Gleichzeitig verringerte sich aufgrund der wirtschaftlichen Krise und der Ölpreisschocks der 1970er Jahre die Nachfrage nach Tankerschiffen erheblich. In den Sozialwissenschaften bezeichnete man die Schiffbauindustrie deswegen auch öfters als eine Declining Industry - als eine rückläufige Industriebranche.

Die Massenentlassungen und Betriebsschließungen waren immer wieder auch von Arbeitskämpfen begleitet. Die Streiks und Proteste der WerftarbeiterInnen in Spanien, Frankreich, Deutschland, England endeten meist über kurz oder lang in einer Niederlage und ließen zunehmend das Gefühl zurück, gegen eine zunehmend globalisierte Wirtschaft mit Protesten in den jeweiligen Produktionsländern wenig ausrichten zu können.

An der Tagung in Leipzig wurde diese europäische Perspektive um eine globalere Perspektive erweitert.

Dabei wurden unter anderem folgende Aspekte erörtert: Erstens wurde über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Widerstandspotential der ArbeiterInnen in einer global organisierten Industrie gesprochen.

Zweitens wurde diskutiert, dass die allgemein mit Globalisierung in Verbindung gebrachte Theorie einer Verschiebung der Produktionsstätten von Nord nach Süd und von West nach Ost gründlicher betrachtet werden muss. Hier geht es einerseits darum, die Einschätzung der Schiffbauindustrie in Europa als eine rückläufige Industriebranche zu differenzieren. Andererseits geht es darum, nicht nur allein die Produktionsstandortverschiebung in den Blick zu nehmen, sondern vor allem die damit verbundene Reorganisation der globalen Arbeitsverhältnisse zu untersuchen, welche unmittelbare Folgen für die Zusammensetzung und die Durchsetzungsmacht der Arbeiterschaft hat. Im Folgenden sollen diese beiden Punkte anhand von Länderbeispielen etwas näher erörtert werden.

Die Präsentation zur argentinischen Schiffbauindustrie von Juliana Frassa und Cintia Russo (Argentinien) demonstrierte die im ersten Punkt angesprochene mögliche Form von erfolgreichem ArbeiterInnenwiderstand. Die argentinischen WerftarbeiterInnen waren im Kampf gegen den Neoliberalismus im Gegensatz zu ihren europäischen KollegInnen mehrmals erfolgreich. Die beiden Referentinnen betonten in ihrem Beitrag die aktive Rolle der Arbeiterschaft bei der Rettung der Industriebranche nach der neoliberalen Wende in Argentinien in den 1990er Jahren. Durch massive Proteste gelang es etwa den ArbeiterInnen der Astilleros Rio Santiago ihre Werft vor einer Privatisierung und somit langsamen Zerstückelung und Stilllegung der Werft zu bewahren und mit finanzieller Unterstützung der Provinz Buenos Aires selbstverwaltet weiterzuführen. Wichtig für den Erfolg der Proteste waren die aktive Rolle der Gewerkschaften und eine breite regionale Solidarisierung über die jeweilige Branche hinweg. Gleichzeitig war es aber auch ein politisches Kalkül der argentinischen Regierung, die mit der Übergabe der Werft an die Provinzregierung die landesweiten Proteste pazifiziert und dadurch mit der Privatisierungspolitik bei anderen Unternehmen fortfahren konnte.

Auch die Rückverstaatlichung einer zweiten Großwerft in Argentinien – der Talleres Darsena Norte – im Jahr 2007 diente schlussendlich der Regierung und der von ihr vertretenen Wirtschaftsinteressen. Die Werft wurde Anfang der 1990er-Jahre privatisiert und ging 1999 Bankrott. Die WerftarbeiterInnen führten den Betrieb bis zu seiner Verstaatlichung 2007 selbstverwaltet weiter und sicherten damit die Fortführung des Betriebes. In Argentinien kommt der Werftindustrie nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine wichtige identitätsstiftende Bedeutung zu. Das Überleben der Branche wird gleichgesetzt mit der nationalen Unabhängigkeit des Landes. Die Rückverstaatlichung der Werft hatte deswegen auch einen propagandistischen Hintergrund. Es ging darum, die Regierung zu popularisieren und das nationale Zusammengehörigkeits-Gefühl zu stärken. Gleichzeitig verfolgte die Regierung auch ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen: Die Werft sollte besser mit der staatlichen Ölindustrie verbunden werden, um so die Hauptgeschäftspartner des Schiffbauunternehmens und daraus resultierende Kostenvorteile zu sichern.


Wie bereits im Punkt zwei angesprochen, deutet es sich an, dass die Werftindustrie keinenfalls, wie oft behauptet wird, aus Europa verschwunden ist, sondern im Gegenteil in einzelnen Regionen in neuer Form neu aufgebaut wird. Die stetig wachsende Werftindustrie in der Türkei ist dafür ein gutes Beispiel. Sie ist dabei aber ganz anders organisiert, als die traditionelle Werftenlandschaft in West- und Nordeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg.

Asli Odman (Türkei) erläuterte in ihrem Vortrag zwei Hauptprobleme der heutigen WerftarbeiterInnen in der Türkei: die Schwierigkeit der Organisierung der Arbeiterschaft aufgrund der Struktur der Beschäftigungsverhältnisse sowie der sehr schlechte Gesundheitsschutz und die vielen (z.T. tödlichen) Arbeitsunfälle auf den Werften.

In der Türkei haben sich heute über 70 kleinere und mittelgroße Werften südlich von Istanbul in der Region Tuzla und am Schwarzen Meer angesiedelt. Dabei sind 80 bis 90 Prozent der WerftarbeiterInnen Beschäftigte von Subunternehmen. Das heißt, dass über tausend Klein- und Kleinstunternehmen den Werften ihre Arbeitskräfte anbieten.

Diese Form von Beschäftigung ist, so hat z.B. Wonchul Shin (Südkorea) in seiner Präsentation belegt, nichts grundsätzlich Neues. In der südostasiatischen Werftindustrie ist das Subunternehmersystem bereits seit dem Zweiten Weltkrieg weit verbreitet und wird je nach Verhalten der Gewerkschaften von staatlicher Seite stärker reguliert oder auch liberalisiert.

Sowohl in Südostasien als auch in der Türkei zeichnet sich das Subunternehmen-System durch besonders prekäre Arbeitsverhältnisse und schlechte Organisierbarkeit der Arbeiterschaft aus, zudem gibt es wenig gesetzliche Regulierung und Kontrolle in diesem Bereich.

Die heutigen Arbeitskonflikte und Arbeitskämpfe der WerftarbeiterInnen in der Türkei und in Südkorea sind deswegen auch nur sehr bedingt mit den Kämpfen gegen Massenentlassung und Betriebsschließungen der SchiffbauerInnen in Westeuropa Anfang der 1980er Jahre zu vergleichen.


Ein Beispiel für die Reorganisation der Schiffbauindustrie, welche ebenfalls im zweiten Punkt angesprochen wurde ist die Schiffbauindustrie in Norwegen. Die Industrie hat sich nach einer Krise Ende der 1970er in den 1990er-Jahren neu konstituiert und ist nun zu einer sehr profitablen Hochtechnologie-Branche im Offshore Bereich geworden. Die einstige körperlich anstrengende, sehr arbeitsintensive Schiffbauindustrie kommt heute in Norwegen mit einer kleinen, hoch qualifizierten Facharbeiterschaft aus. Nicht nur die Produktionsbedingungen und die Zusammensetzung der Arbeiterschaft haben sich stark verändert, sondern auch die Form der Arbeitsbeziehungen. Diese sind in Norwegen weniger geprägt von Streiks und Arbeitskonflikten, als vielmehr vom Co-Management von Arbeitern und Unternehmen. Es scheint, dass die Bereitschaft zur Kooperation der ArbeiterInnen mit dem Unternehmen in der nordeuropäischen Schiffbauindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg stark zugenommen hat.


Ähnlich wie in Norwegen erfährt auch die Schiffbauindustrie in Brasilien nach einer Krise in den 1990er Jahren einen erneuten Boom. Dies zeigte der Beitrag von Elina Pessanha und Luisa Barbosa Pereira. Die Werften produzieren hier ebenso wie in Norwegen vor allem für die einheimische Ölindustrie, es werden aber hauptsächlich große Öltanker und Frachter in serieller Produktion hergestellt und weniger Offshore Produkte im Hochtechnologiebereich. Im Gegensatz zur Beschäftigungsstruktur in der norwegischen Schiffbauindustrie hat mit dem Wachstum der Industrie in Brasilien auch die Zahl der WerftarbeiterInnen stark zu genommen (von 2300 Beschäftigte (1999) auf 40‘000 Beschäftigte (2007)). Die Werftarbeiterschaft ist gut organisiert und verfügt über eine relativ gute Verhandlungsmacht. Sie setzen ihre Interessen einerseits durch traditionelle Arbeitskampfmittel wie Streiks und kurze Arbeitsniederlegungen durch, andererseits gehen die ArbeiterInnen mit Unterstützung von Gewerkschaften auch gerichtlich gegen Ungerechtigkeiten vor. Versuche von einzelnen Gewerkschaften und Werftunternehmen Anfang der 2000er Jahre, stärker miteinander zu kooperieren, scheiterten weil die Arbeiterschaft eine konfrontative Strategie bevorzugte, um ihre Interessen zu wahren.


Die einzelnen Präsentationen haben gezeigt, dass um die globale Entwicklung der Arbeitsverhältnisse in der Werftindustrie und die damit verbundenen Arbeitskonflikte und Widerstandspotentiale der WerftarbeiterInnen zu untersuchen, also nicht nur danach gefragt werden muss, wohin die Produktion von Schiffen verschoben wurde und welche Art der Produktion verschoben wurde, sondern auch welche Organisationsformen die Produktion in den einzelnen Ländern bestimmen.

An der Tagung kristallisierte sich ebenfalls heraus, dass bei aller Unterschiedlichkeit der Arbeits- und Konfliktsituationen in der sich die WerftarbeiterInnen auf der ganzen Welt befinden, das Verhalten von Staaten und Gewerkschaften einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Arbeitsbedingungen in der Schiffbauindustrie hat. Hier stellt sich die Frage, ob dies die Folge der starken Verknüpfung von Staat und Schiffbauindustrie ist, z.B. in Bezug auf die Rüstungsindustrie oder die Handelssouveränität eines Staates, und somit die Branche eine besondere Stellung in der ArbeiterInnenbewegung einnimmt, oder ob die Entwicklungstendenzen dieser Industrie paradigmatisch für die Entwicklung von Arbeitsverhältnissen in der gegenwärtigen Kapitalismusformation gedeutet werden können.


Neben einem ersten Erfahrungs- und Situationsaustausch zu den einzelnen Ländern hat die Tagung noch viele weitere Fragen aufgeworfen. Dies zeigt die Notwendigkeit eines weiteren intensiven Austauschs. Während der gesamten zwei Tage ging es immer wieder um die Frage der Vergleichbarkeit von Begriffen, Arbeitsbedingungen, Lebensstandards, Einkommen und Sozialleistungen, aber auch von Arbeitskonflikten. Es wurde beispielsweise diskutiert, wie Arbeitsproteststatistiken interpretiert werden können, wo auch andere Formen von Widerstand – z.B. gerichtliche Klagen gegen Unternehmen, kleinere Sabotageakte etc. – aufgenommen werden können und wie diese Widerstandsformen klassifiziert und untersucht werden können.

Die Tagung verdeutlichte die Herausforderungen, die sich mit einem globalen Forschungsprojekt verbinden und zeigte, wie wichtig und gleichzeitig kompliziert die Entwicklung gemeinsamer Fragestellungen im Rahmen der Global Labour History ist.


Mehr Informationen zum Forschungsprojekt: http://socialhistory.org/en/projects/global-shipbuilding


Sarah Graber Majchrzak ist Promotionsstipendiation der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Mitglied des Gesprächskreises Geschichte der RLS.

Veranstalter der Tagung war das Centre for Area Studies, Leipzig in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Stiftung für Menschenwürde und Arbeitswelt.

Organisatorinnen waren Johanna Wolf (Universität Leipzig) und Sarah Graber Majchrzak (Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam).