News | Besetzt! Kampf um Freiräume seit den 70ern (Wien Museum, Karlsplatz Wien)

Die Revolte landet (vorerst) im Museum - von Christoph Laimer

Wien hat nicht gerade den Ruf, eine Stadt der Hausbesetzungen zu sein und käme in einem Ranking wohl weit hinter Berlin, Amsterdam, Hamburg, Zürich, Barcelona und zahlreichen anderen Städten. Die bekannte Konfliktscheue und Untertänigkeit plus eine ordentliche Portion Gemütlichkeit des Homo Austriacus passen einfach nicht zur offenen und radikalen Austragung von gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen. So zumindest das Bild, das gerne gezeichnet wird und bis zu einem gewissen Grad wohl auch stimmt. Aber eben nur bis zu einem gewissen Grad.

Das Wien Museum rückt dieses Bild nun mit der Ausstellung Besetzt! Kampf um die Freiräume seit den 70ern zurecht. Der Zeitpunkt der Ausstellung ist scheinbar zufällig. Nicht einmal ein rundes Jubiläum der Arena-Besetzung, das sonst regelmäßig Anlass für nostalgische Rückblicke bietet, ist zu feiern. Der Zufall ist aber tatsächlich nur scheinbar. Zu sehr häufen sich in letzter Zeit sowohl theoretische Auseinandersetzungen mit dem Thema als auch praktische Interventionen. Es liegt etwas in der Luft, das einen spüren lässt, dass die Ausstellung vielleicht aktueller ist, als selbst die KuratorInnen glauben. Das Thema städtischen Aktivismus und urbanen Handelns ist derzeit so präsent wie schon lange nicht mehr, und das spiegelt sich auch in Ausstellungen, Publikationen, Kongressen etc. wieder. Die Ausstellung Hands-On Urbanism im Architekturzentrum Wien, Making City als Thema der Rotterdam Biennale und Active Urbanism als Motto des INURA-Kongresses sind nur einige Beispiele. Auch das dérive-eigene Festival urbanize! wird im Oktober seinen Beitrag leisten und verschreibt sich dem Thema Stadt-selber-machen.

Dass die Revolte im Museum gelandet ist, ist einerseits möglicherweise das Ende einer Phase, andererseits aber vielleicht auch der Beginn von etwas Neuem. Die Ausstellung konzentriert sich trotz der vielen aktuellen Anlässe auf die bekannten, historischen Beispiele, aber das ist ja wohl auch die Aufgabe eines Museums. Im Ausstellungsraum sind die Ereignisse chronologisch angeordnet, und jeder Besetzung ist ein eigener Bereich gewidmet. Diese Struktur macht es leicht, sich die einzelnen Aktionen und Projekte sehr detailliert anzusehen, das thematisch Verbindende kommt dabei allerdings ein wenig zu kurz. Die einführenden Texte im Katalog leisten diese Arbeit zumindest insofern, als sie das gesellschaftspolitische und kulturelle Klima der 1960er und 1970er in Wien zeichnen.

Die Besetzung der Arena ist das wohl auch international bekannteste Beispiel, das in der Ausstellung zu sehen ist und sehr ausführlich dargestellt wird. Besonders interessant sind dabei die Dokumentationen, die in der damaligen ORF-Jugendsendung Ohne Maulkorb gelaufen sind. Interessant einerseits natürlich wegen des Inhalts, aber ganz einfach auch deswegen, weil man schon fast vergessen hatte, dass es solche Formate einmal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gegeben hat. Kritisch, gut recherchiert und ausführlich wurden mehrere Sendungen über die Besetzung des Auslandsschlachthofes gemacht. Dass solche Sendungen heute entstehen könnten, scheint einem fast unmöglich – und wenn, würden sie zu irgendeiner unmöglichen Sendezeit ausgestrahlt werden.

Medienpolitisch ist aber auch interessant, dass die Arena-Bewegung Startschuss für zahlreiche Initiativen im Film-, Video- und Zeitschriftenbereich war, wie Vrääth Öhner in einem Artikel im Katalog schreibt, womit ein eklatanter Mangel behoben wurde. Einige dieser Initiativen – wie beispielsweise die Wochenzeitung Falter – existieren bis heute.

Obwohl es ja auch ein wenig nervig ist, dass die Arena stets im Zentrum der Aufmerksamkeit steht und alle fünf Jahre – so hat man zumindest den Eindruck – die Veteranen der Bewegung von der guten alten Zeit erzählen, vermitteln einem die in der Ausstellung gezeigten Dokumente dann doch den Eindruck, dass die zugeschriebene Bedeutung nicht ganz ungerecht ist. Es war mehr als eine normale Besetzung. Es waren nicht nur – wie in späteren Jahren – die üblichen Verdächtigen, die sich daran Beteiligten, man bekommt den Eindruck, dass das Ereignis an niemandem in der Stadt vorbei ging. Es gab in den Anfangstagen eine breite Sympathie für die Besetzung, sowohl von Seiten der Medien als auch von Herrn und Frau Österreicher, die sich nicht scheuten, am Wochenende einen kleinen Ausflug in die Arena zu machen. Vielleicht lässt sich die Arena-Besetzung von der Bedeutung und Atmosphäre her mit der Besetzung des Gängeviertels 2009 in Hamburg vergleichen. Auch hier beteiligte sich eine breite Bewegung, die Öffentlichkeit reagierte weitgehend positiv und die politischen Auswirkungen sind nachhaltig. Das Hamburger Netzwerk Recht auf Stadt ist ein heterogener, äußerst aktiver Zusammenschluss von Gruppen und AktivistInnen, die für eine andere Stadtpolitik kämpfen.

Verstört, überrascht und am falschen Fuß erwischt zeigten sich durch die Arena-Besetzung Teile der sozialdemokratischen Stadtregierung inklusive der parteieigenen Arbeiterzeitung. Die politischen Forderungen der BesetzerInnen und ihre Aktionen erschienen „einer tief an Modernisierung und soziale Steuerung glaubenden Politik als purer Undank und Frevel als ,radikaldemokratische Phrase‘ und ‚fragwürdige Demokratievorstellung‘“ (Siegfried Mattl in seinem Text für den Katalog mit Zitaten aus der Arbeiterzeitung vom 23. 10. 1979 anlässlich der Besetzung der Phorushalle). Leider waren diejenigen innerhalb der sozialistischen Partei, die damals erkannten, dass die Anliegen der Arena-Bewegung nicht nur berechtigt waren, sondern deren Umsetzung auch eine Chance auf eine lebenswertere und offenere Stadt versprochen hätte, in der Minderheit bzw. nicht mächtig genug.

Die Rolle der SPÖ, die in Wien seit 1945 stärkste Partei ist und den Bürgermeister stellt, blieb auch in den folgenden Jahren bestenfalls zwiespältig. Einzelne Vertreter und Vertreterinnen zeigten durchaus immer wieder Sympathien und Unterstützung, andere – und die hatten zumeist den größeren Einfluss – forcierten eine harte Linie. Die Räumungen der besetzten Häuser in der Gassergasse (1983) und der Ägidigasse (1988) zeichneten sich durch brutale Polizeieinsätze aus.

In den 2000er Jahren gab es zahlreiche meist sehr kurzfristige Besetzungen, die in er breiteren Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurden. Der Gruppe Pankahyttn gelang es 2007, nach jahrelangen Aktivitäten von der Stadt Wien ein Haus zu bekommen. Ein drohendes Ende des Ernst-Kirchweger-Hauses (EKH) – die KPÖ hatte das Haus an einen Rechtsextremen verkauft – wurde durch eine Initiative der Stadt schlussendlich doch abgewehrt. Auch im Fall EKH hat sich wieder gezeigt, dass die Stadtregierung in der Regel nicht aus einer stadtpolitischen Strategie oder einer politischen Grundhaltung heraus aktiv wird, sondern aus Angst vor Eskalation (oder – in anderen Fällen – dem Verlust von Wählerstimmen).

Die letztjährige Besetzung eines Hauses im 7. Bezirk, des so genannten Epizentrums – die Besetzung wird in der Ausstellung kurz erwähnt – war aus mehreren Gründen besonders und deutet vielleicht in eine neue Richtung: Die Besetzung dauerte erstens überraschend lange, nämlich mehrere Monate. Die öffentliche Wahrnehmung war groß und nicht ausschließlich negativ, in manchen Teilöffentlichkeiten gab es große Sympathie und hohe Solidarität, und die Wahl des Objektes war insofern gut, als sich an ihm aktuelle stadtpolitische Probleme gut aufzeigen ließen. Die hohe Aufmerksamkeit für Fragen des städtischen Lebens sowie der Wunsch, den urbanen Lebensraum aktiver zu gestalten und zu nutzen, die durch die ökonomischen Verwerfungen verbreitete Suche nach neuen Strukturen und Gesellschaftsmodellen, die Bereitschaft für neue Kooperationen sind Anzeichen dafür, dass uns das Thema der Ausstellung in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen wird. Also schauen Sie sich die Ausstellung an und kaufen Sie sich den Katalog!

Besetzt! Kampf um Freiräume seit den 70ern

Wien Museum, Karlsplatz, nur noch bis 12. August 2012

Der gleichnamige Katalog zur Ausstellungist im Czernin Verlag erschienen (256 Seiten, 24 Euro).

Christoph Laimer ist Gründer und Herausgeber von dérive, Zeitschrift für Stadtforschung. Wir danken für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.