Mit «Bruderland ist abgebrannt» förderte die Rosa-Luxemburg-Stiftung und namentlich das Fachreferat Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit die Veranstaltungsreihe eines angesehenen Kooperationspartners, des Zentrums für Demokratie Treptow-Köpenick. Der staatsoffizielle «Antifaschismus» wurde dabei einer kritischen Ausleuchtung unterzogen, Formen des Rassismus in der DDR-Gesellschaft wurden ebenso wie Antisemitismus und das Auftreten von Neonazis thematisiert. Die Ausrichtung der Reihe und der Fokus auf kritikwürdige Erscheinungen in der DDR wurde von Teilen der linken Öffentlichkeit mit Irritation und Verärgerung aufgenommen, da sie positive Aspekte im sozialistischen Staat der Nachkriegszeit nicht würdige. Von einer «Delegitimierung» der DDR wurde gesprochen.
Die positiven Aspekte, seien es Formen gelebter «Internationaler Solidarität» oder etliche soziale Errungenschaften und bestimmte Vorteile des Bildungssystems der DDR, die viele im neoliberalen Wiedervereinigungsstaat schmerzlich vermissen, will niemand in Frage stellen. Doch muss 20 Jahre nach dem Verschwinden der DDR eine wissenschaftliche Aufarbeitung, eine notwendige Diskussion etwa von Rassismus gegenüber Vertragsarbeiter_innen und der Meinungsstreit über den «legitimen Versuch» DDR möglich sein, auch mit negativen Aspekten der Entwicklungen in Ostdeutschland seit 1945.
Impulse zur gesamten Reihe kamen vor allem von jüngeren Leuten, die die Wende als Kinder und Jugendliche erlebt haben und in deren Familien vielfach nicht oder aber sehr kontrovers über die DDR gestritten wird und allzu oft die Frage im Raume stehen bleibt, wie es denn nun wirklich gewesen ist. Man mag sich über bestimmte Darstellungsformen und Herangehensweisen, einzelne Aussagen in Ausstellung und Veranstaltungen aufregen und ärgern. Darüber reden wird man dennoch müssen, schon im Sinne einer selbstbestimmten Aufarbeitung dieser Vergangenheit(en) und jenseits von unzulässigen Pauschalurteilen und Generalisierungen. Man würde über das Kapitel «Gastarbeiter» in Westdeutschland ja auch schwerlich reden können, ohne den enormen Rassismus zu thematisieren, der den Italiener_innen, Spanier_innn, Portugies_innen, Türk_innen und Jugoslaw_innen dort entgegenschlug. Aber diesmal ging es nicht um die BRD, sondern um die DDR – und es gibt keine Veranlassung Dinge ruhen zu lassen, auszusparen oder zu beschönigen, die belegbar sind und in dieser Veranstaltungsreihe zur Diskussion gestellt wurden und werden. Wir wollen nicht abrücken davon, dass sie aufgegriffen, diskutiert und durchgestritten werden müssen, insbesondere auf Anregung und Nachfragen der jüngeren Generation – mit und ohne DDR-Sozialisation.
Gleichwohl wurde den Verantwortlichen bei der Stiftung und den Veranstalter_innen vom Zentrum für Demokratie Treptow-Köpenick im Laufe der Diskussionen in der Reihe klar, dass sie in manchen Formen der Präsentation und Zusammenstellung der Reihe «ungeerdet» zu Werke gegangen waren und dass der Eindruck einer «Generalabrechnung» mit der DDR entstanden war, was die Empfindlichkeiten vieler überwiegend älterer ehemaliger DDR-Bürger_innen treffen musste. Auch eine langjährige Diskussion und Auseinandersetzung über die Geschichte der DDR etwa innerhalb der Rosa-Luxemburg-Stiftung wurde zu wenig in die Überlegungen und Planungen einbezogen. Problematische Aspekte der DDR-Geschichte waren jedoch schon immer Thema der Stiftung und sind von ihr kritisch in Augenschein genommen worden.
Fritz Burschel, Fachreferat Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit
Differenziertes Bild
Rückblick und Kommentar zur Veranstaltungsreihe von Kevin Stützel
Mit einem Vortrag und einer Diskussionsrunde zum Thema «Mythos Antifaschismus» ist am 31. Oktober in Berlin die Reihe «Bruderland ist abgebrannt» zu Ende gegangen.
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Video- und Audiodokumentationen einzelner Veranstaltungen der Reihe:
3. September 2012 | 18 Uhr
Ausstellungseröffnung
Einführung von Tamara Hentschel (ehemalige Wohnheimbetreuerin, seit 1993 Geschäftsführerin des Vereins Reistrommel e.V.)
Die Ausstellung «Bruderland ist abgebrannt!» kann bis zum 3. November 2012 montags bis donnerstags (11–16 Uhr) sowie nach Voranmeldung besichtigt werden.
27. September 2012 | 19 Uhr
Neonazis in der DDR
Vortrag von David Begrich (Arbeitsstelle Rechtsextremismus, Miteinander e.V., Sachsen-Anhalt) zur Geschichte und zum gesellschaftlichen Kontext der Entstehung von Neonazismus in der DDR
11. Oktober 2012 | 19 Uhr
Antisemitismus in der DDR – ein aktuelles Thema?
Vortrag von Jan Riebe (Projektkoordinator bei der Amadeu Antonio Stiftung) zum Antisemitismus in der DDR und warum es auch für aktuelle Debatten notwendig ist, sich damit zu beschäftigen
17. Oktober 2012 | 19 Uhr
Fremde und Fremd-Sein in der DDR
Zu den historischen Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland
Vorträge von Dr. Patrice G. Poutrus (Lehrbeauftragter an der Professur für Zeitgeschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), Susanne Harmsen (Ausstellungsmacherin und freie Journalistin) und Angelika Nguyen (Filmwissenschaftlerin und Autorin)
31. Oktober 2012 | 19 Uhr
Mythos Antifaschismus
Die DDR und ihr «verordneter» Antifaschismus Podiumsdiskussion
Einführungsvortrag von Carl-Friedrich Höck (Historiker und Redakteur beim «Vorwärts»)
Es diskutieren: Gregor Gysi (Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag), Andrej Hermlin (Pianist und Bandleader) und Wolfgang Wippermann (Professor
für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin)
Es moderiert: Fritz Burschel (Referat Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung)
Kontakt
E-Mail: yves.mueller@offensiv91.de
Tel./Fax: 030 65487293
Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen.
Neues Deutschland:
- Raus aus der Defensive - in die Offensive! Mythos Antifaschismus? Verordnetes Erbe? - Notizen von einer Debatte (2.11.2012)
- Unzufriedene Vertragsarbeiter Eine Ausstellung in Berlin-Schöneweide hinterfragt die Behandlung der ausländischen Arbeiter in der DDR (25.10.2012)
- »Bruderland ist abgebrannt« Veranstaltungsreihe zu Fremdsein in der DDR sorgt für Diskussionen (20.10.2012)
- Von der DDR ausgenutzt? Tamara Hentschel vom Verein Reistrommel über die kontrovers diskutierte Ausstellung »Bruderland ist abgebrannt«, die sich den 94 000 Vertragsarbeiter in der DDR widmet. (12.09.2012)
junge welt:
- »Ungeerdet« – die Rosa Luxemburg Stiftung über Antifa und DDR (2.11.2012)
- Fragwürdiges Erinnern Rosa-Luxemburg-Stiftung und Zentrum für Demokratie Treptow-Köpenick eröffnen Ausstellung über DDR-Vertragsarbeiter. (5.9.2012)
- »Die DDR war für sie zweite Heimat« Über die Zeit mit vietnamesischen Vertragsarbeitern in der DDR. Ein Gespräch mit Bodo Quart (5.9.2012)
- Wühlen im Müllhaufen DDR (5.9.2012)
- Ungeliebt im Bruderland. Vertragsarbeiter als Teil der Fremdherrschaft: Eine Diskussionsrunde mit Gregor Gysi und Wolfgang Wippermann versuchte am Mittwoch, zu klären, wie der Rassismus im antifaschistischen Musterland DDR gedieh. (3.11.2012)
- "Wühlen im Müllhaufen DDR" Eine Veranstaltungsreihe der Rosa-Luxemburg-Stiftung setzt sich kritisch mit DDR-Geschichte auseinander. Das sorgt für Unmut bei alten Herren der Linkspartei. (27.9.2012)
- Fünf Quadratmeter fürs Wohnen Eine Ausstellung in Berlin-Marzahn dokumentiert das Leben der Vertragsarbeiter in der DDR. Und ihren Kampf um ein Bleiberecht im wiedervereinigten Deutschland. (Artikel über die Ausstellung von 2008)
- Abend der Versäumnisse. Zur Ausstellungseröffnung „Bruderland ist abgebrannt!“ – Einwanderung, Rassismus, Antisemitismus und Neonazismus in der DDR am 3. September 2012. Von Cornelia Siebeck.
taz:
Publikumsreaktionen:
- Auf dem Weg zum Einwanderungsland Standpunkte 16/2012 von Jörg Roesler
- Themenseite zur DDR-Geschichte Veranstaltungen, Dokumentationen und Publikationen
- Von Antifaschismus bis Wirtschaftstheorie. Publikationen zur DDR-Geschichte im Bestand des Archivs des demokratischen Sozialismus/Bibliothek.