Ingrid und Herbert Wils sitzen in ihrem Wohnzimmer in Hagen. Er erzählt von gemeinsamen Aktivitäten in der KPD, für die er 1957 inhaftiert wurde. Fünfeinhalb Jahre hat er wegen kommunistischer »Staatsgefährdung« im Gefängnis verbracht. Eine Zeit lang sitzt seine Frau stumm daneben, so daß der Eindruck eines klassisch patriachalischen Verhältnisses aufkommen kann, doch dann beginnt Ingrid Wils, die selbst neun Monate Haft überstanden und weitere acht Jahre in der Illegalität gelebt hat, von der Organisierung internationaler Solidarität für die Gefangenen zu berichten. Die Entfremdung des Paares durch den Strafvollzug deutet sie in einer Nebenbemerkung an, auch das hat Platz in ihrer anrührenden Erinnerung. Die Überzeugungen der beiden sind ungebrochen.
Daß die DDR mit ihren Kritikern nicht zimperlich umgegangen ist, gehört zum Allgemeingut. Täglich wird es von einem Netzwerk aus Vereinen und Stiftungen auf allen Kanälen in die Hirne gehämmert. Der Kontrast zur blütenweißen Weste der Demokratie in der Bundesrepublik kann nicht groß genug sein; Historie wird zurechtgetrimmt, zensiert, verschwiegen. Einer der so hergestellten blinden Flecken der BRD ist die Verfolgung von Kommunisten und Antimilitaristen wenige Jahre nach der Befreiung vom Faschismus. 1951 erwies sich der Staat mit der Änderung des Strafrechts durch »Blitzgesetze« als besonders wehrhaft gegenüber Antifaschisten, die er als »Gefährder« einsperrte, observierte, mit Berufs- und Auftrittsverboten belegte. »Mehr als eine halbe Million Menschen waren von diesen Maßnahmen betroffen«, sagt im Dokfilm »Verboten – Verfolgt – Vergessen« der Anwalt und Publizist Rolf Gössner. Er hat im Jahr 2000 mit seinem Buch »Die vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges. Verdrängung im Westen – Abrechnung im Osten« Licht ins Dunkel dieses düsteren Kapitels gebracht. Ein Gössner-Zitat ist dem Film auch vorangestellt: »Zwischen 1951 und 1968 wurden etwa 200000 Menschen durch Polizei und Staatsanwalt verfolgt und etwa 10000 von ihnen zu teils langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Oftmals wurde die Existenz dieser Menschen zerstört.«
Die zügige Einbindung der Westzonen ins antisowjetische Bündnis hatte Konrad Adenauer nach dem Krieg ausreichend Gelegenheit geboten, altgedientes Personal an den Schaltstellen in Richterschaft und Polizei zu rehabilitieren oder installieren. In bekannter Manier lebten diese Herrschaften ihren Antikommunismus nun eben für den neuen Staat aus. In ihr Visier gerieten alle, die nach furchtbaren Erfahrungen im Hitler-Deutschland den Buchenwald-Schwur »Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg« umzusetzen gedachten, konsequent gegen Wiederbewaffnung eintraten; für ein vereintes, entmilitarisiertes Deutschland. In der Strafverfolgung schlugen sich »mentale Kontinuitäten« nieder, erklärt im Film Till Kössler, der an der Ruhr-Universität in Essen zur Arbeiterbewegung forscht. »So wurden Taten, die für den normalen Bürger nicht strafbar waren, strafbar, wenn sie von einem Kommunisten ausgeführt wurden.«
Die Repression richtete sich auch gegen Mitglieder der Friedensbewegung und schloß den Schußwaffengebrauch ein. Am 11. Mai 1952 wurde der 21jährige Arbeiter Philipp Müller, Mitglied der verbotenen Freien Deutschen Jugend, auf einer Demonstration gegen die Wiederbewaffnung in Essen von der Polizei erschossen. Der Film macht die Gründungsgewalt der BRD mit Originalaufnahmen anschaulich, zeigt aber auch eine Philipp-Müller-Gedenkdemonstration vom vergangenen Mai. Leute wie das Ehepaar Wils sind nicht unterzukriegen, sondern bis heute etwa auf Ostermärschen zu finden, wie »Verboten – Verfolgt – Vergessen« von Daniel Burkholz und Sybille Fezer beweist. Rosemarie Stiffel und Günter Bennhardt aus Dortmund sowie der Essener Gerd Deumlich kommen als weitere Helden der Arbeiterklasse zu Wort. Vielen dürfte das Zeitpanorama, das so entsteht, völlig unbekannt sein.
»Verboten – Verfolgt – Vergessen«, Regie: Daniel Burkholz, D 2012, 57 min, nächste Vorführungen: 8.11. Hagen, 15.11. Witten, 19.11. Dortmund.