Das Hochhaus 275 Madison Avenue in Midtown Manhattan lässt nichts, aber auch gar nichts erkennen, was an Rosa Luxemburg oder die gleichnamige Parteistiftung erinnert. Im Gegenteil. Vor uns auf 20 Metern Breitseite die Glasfassade einer Bank. Hinter uns ein McDonald's. Dazwischen eine vierspurige Avenue, auf der die berühmten gelben Taxis und Lieferlastwägen um die Wette hupen. Der Blick nach oben, die Wolkenkratzerfassade entlang, ergibt ebenfalls nur Fragezeichen. Es ist eines dieser typischen Rätsel des New Yorker Hochhausdschungels. Die Antwort liegt in der Seitenstraße, der 40th Street, wo sich eine Eingangshalle und ein «doorman» befinden. Suite 2114, sagt er freundlich, befinde sich im 21. Stockwerk. Dort oben prangt dann tatsächlich das ziemlich große Stiftungslogo an einer Doppeltür.
Sie ist unverschlossen – und offenbart die beiden Bürochefs mit Putzlappen und Wischtüchern. Albert Scharenberg und Stefanie Ehmsen wienern den Boden, wuchten herumstehende Stühle in die Kammer, sortieren Broschüren und Bücher. Ein wenig atemlos. Es ist frühmorgens am «Tag danach».
Feierliche Eröffnung mit 250 Gästen
Nachts zuvor war die feierliche Eröffnung des Büros glücklich zu Ende gegangen: mit 250 Gästen und hohem Besuch. Eine Viertelstunde vom Büro entfernt, in der wunderschönen Bibliothek der General Society of Mechanics and Tradesmen, hatte am 14. November 2012 ein siebenstündiges Programm in die Stiftungsarbeit eingeführt. Neben dem Leiter der Auslandsarbeit der Stiftung, Wilfried Telkämper, sprachen die Leiter der Auslandsbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau, Mexiko City, Johannesburg und Brüssel über internationale Politik. Gekommen waren aus der Bundestagsfraktion Cornelia Möhring und Stefan Liebich, und der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi hielt die Festrede. Auf Deutsch, mit Simultanübersetzung. Er sprach über das Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit als Hauptgrund für die Entstehung der historischen Linken. Die Obama-Regierung verdiene, um ihre Versprechen auf «hope» und «change» einzuhalten, gehörigen Druck von der US-amerikanischen Linken, so Gysi. Kultureller Höhepunkt und gelungener Ausklang des Abends waren Auszüge aus den Briefen von Rosa Luxemburg, gelesen von der bekannten Broadway- und TV-Serien-Schauspielerin Kathleen Chalfant.
Mitten drinnen in Süd-Manhattan
Es war höchste Zeit für das New Yorker Büro. Monatelang hatte sich die Eröffnung verzögert, weil die US-Stellen Scharenberg und Ehmsen das erforderliche Arbeitsvisum vorenthielten – keine politische Bösartigkeit, sondern ein bürokratischer Vorgang, wie sich später herausstellte. Scharenberg und Ehmsen sind auf jeden Fall heilfroh, dass sie sich in der Kürze der Zeit wenigstens halbwegs einfinden konnten. Das Büro ist nach dreimonatigen Renovierungsarbeiten in Top-Zustand. Die Sicht vom 21. Stockwerk aus auf das südliche Manhattan könnte für den Umzugsstress – sie haben zwei Kinder im Grundschulalter – entschädigen.
Aus einem der fünf Großraumfenster vom Eingangs- und Veranstaltungsraum aus in die Tiefe zu blicken, fühlt sich fast so an, als wäre man Captain Kirk auf der «Enterprise», wie bei Tageslicht auf einem Raumschiff. Das deutsche Konsulat, das zu allen deutschen Parteistiftungen gute Beziehungen pflegt, hat den Rosa-Luxemburgern bestätigt, mit der Büromiete im vergleichsweise unteren Bereich zu liegen. Albert Scharenberg führt die unmittelbaren Vorteile des Standorts an der Madison Avenue auf: «Ein paar Fußminuten vom Hauptbahnhof Grand Central entfernt, gleich in der Nähe mehrerer U-Bahn-Stationen sowie des zentralen Busbahnhofs Port Authority.»
Nicht nur eine räumliche Nähe zum UN-Hauptquartier
Die Location ist für die politische Stiftungsarbeit so oder so ein Muss: wegen der Nähe zum Hauptquartier der Vereinten Nationen und der daran lose angeschlossenen Organisationen. Das UNO-Gebäude am East River, das «Parlament der Menschheit», ist es vom Büro der Stiftung nicht weit entfernt. Scharenberg, Ehmsen und ihre Mitarbeiter werden mit den Geschäften der UNO – dem Umgang mit Krisen – alle Hände voll zu tun haben. Denn gerade von links aus stellt die Nähe zu den Hunderten von Gremien, die die Institution bietet, eine Herausforderung dar. Mit 193 Mitgliedsstaaten ist die UNO tatkräftiger Akteur wie auch Podium für die globale Politik.
Dass Scharenberg und Ehmsen nicht der Gefahr institutionalisierter Politik erliegen – und darin unsichtbar werden, dafür soll das zweite, wenn auch auf Grund der geringeren finanziellen Zuwendungen schwächere Standbein der Stiftung sorgen: die Nähe zur US-amerikanischen (und kanadischen) Zivilgesellschaft und ihrer Linken. Gerade in den US-Gewerkschaften, aber auch in den sozialen Bewegungen, Universitäten und NGOs, sieht Scharenberg Schnittstellen der Linken und deshalb wichtige Partner der Stiftung.