News | Geschichtsbilder und Zeitzeugen. Zur Darstellung des Nationalsozialismus im bundesdeutschen Fernsehen; Münster 200

Frank Bösch, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Gießen
rezensiert für H-Soz-u-Kult:

Keilbach, Judith: Geschichtsbilder und Zeitzeugen. Zur Darstellung des
Nationalsozialismus im bundesdeutschen Fernsehen (= Medien'welten).
Münster: LIT Verlag 2008; 300 S., EUR 19,90.

Im Zuge des “Memory Booms” häufen sich in jüngster Zeit Studien zur Geschichtsdarstellung in Spielfilmen. Das gilt gerade für die Darstellung des Nationalsozialismus. Weniger erforscht ist dagegen die Geschichtsdarstellung in fiktionalen und dokumentarischen Fernsehsendungen, obwohl deren Reichweite die der Kinos deutlich übersteigt und ihre Entstehung, Inhalte und Rezeption erhebliche Differenzen aufweisen. Vermutlich schreckte bislang der schwierige und für Historiker ungewohnte Umgang mit Rundfunkarchiven davor ab. Die
Medienwissenschaftlerin Judith Keilbach gehört dabei sicherlich zu den besten Kennern des Themas und ist bereits durch zahlreiche innovative Aufsätze in den letzten Jahren aufgefallen. (...)
Die große Stärke von Keilbachs Buch liegt in einer Fülle von guten Einzelbeobachtungen entlang einzelner Sendungen. Was man bei der Lektüre
vermissen mag, ist der Mut zur Synthese und Ergebnisbildung. Dass ein Fazit fehlt, ist vielleicht charakteristisch für den mosaikartigen Charakter des Buches. Aus Sicht des Historikers wird man zudem vor allem drei Punkte vermissen, die bei künftigen Studien zu diesem Thema zu berücksichtigen wären: Erstens verzichtet das Buch fast auf jegliche Form der Kontextualisierung. Wer welche Dokumentationen wann und warum produziert hat und wie sie rezipiert und diskutiert wurden, wird selbst dort ausgeblendet, wo dies aus der Literatur heraus bekannt ist. Ähnliches gilt für die zeitliche Einordnung: der Verzicht auf eine diachrone Anordnung oder Analysen führt dazu, dass kaum zeitspezifische
Erklärungen zu finden sind. Zweitens fehlen Bezüge zur historischen Wissensbildung oder zur Geschichtswissenschaft, auch wenn sie offen ausgeklammert wurden. Mit Ausnahme von abschließenden Verweisen auf die
Oral History scheint hierdurch relativ egal, in welcher Beziehung die Sendungen zum jeweiligen historischen Wissen und der Geschichtswissenschaft standen. Drittens bauen zahlreiche Thesen auf der Spezifik des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Bundesrepublik auf, der sich in den 1980er-Jahren unter dem Druck der Kommerzialisierung veränderte. (...)