News | International / Transnational - Afrika Wahlen in Kenia: Die Rechnung des 'Westens' geht nicht auf

Die Warnungen westlicher Länder, den vom ICC angeklagten Uhuru Kenyatta zu wählen, wirkten tatsächlich als Mobilisierungshilfe. Wahlanalyse von Siegfried Schröder.

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Am 4. März 2013 fanden in Kenia zum ersten Mal nach der Verabschiedung der neuen Verfassung im Jahr 2010 Wahlen statt. Da ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden aussichtsreichsten Kandidaten vorausgesagt wurde, konzentrierte sich das Interesse der nationalen und internationalen Öffentlichkeit auf die Wahl des Präsidenten. Aber auch die Wahlen zu den neugeschaffenen Gremien des Senats, der regionalen Vertreterversammlungen und die Wahl der Gouverneure waren für die Umsetzung der neuen Verfassung von großer Bedeutung.

Am 9. März wurde Uhuru Kenyatta nach einem langwierigen und von einigen technischen Schwierigkeiten begleiteten Auszählungsprozess vom Vorsitzenden der Wahlkommission mit dem denkbar knappen Resultat von 50,07 Prozent der abgegebenen Stimmen im ersten Wahlgang zum neu gewählten Präsidenten Kenias erklärt. Kenyatta lag damit nur 4.100 Stimmen über der 50-Prozentmarke. Sein Gegenspieler Raila Odinga (43,31 Prozent) kündigte umgehend an, das Wahlergebnis gerichtlich anzufechten.

Während bei allen Wahlen, außer denen für das Präsidentenamt, das einfache Mehrheitswahlrecht angewandt wurde, bei dem der Kandidat bzw. die Kandidatin mit den meisten Stimmen das entsprechende Mandat zugesprochen bekam, galten für die Präsidentschaft andere Regeln. Im ersten Wahlgang konnte ein/e KandidatIn nur dann gewinnen, wenn er oder sie 50 Prozent der abgegebenen Stimmen plus eine Stimme auf sich vereinen konnte. Zusätzlich musste der/die KandidatIn in mindestens 24 der 47 Counties einen Stimmenanteil von 25 Prozent erreichen. Diese Regelung war ins Wahlgesetz aufgenommen worden, um zu verhindern, dass sich die KandidatInnen bereits während des Wahlkampfes ausschließlich auf bestimmte Regionen und „ihre“ Ethnien konzentrieren. Da im ersten Wahlgang die absolute und entsprechend der genannten Bestimmungen qualifizierte Mehrheit erreicht wurde, wird es – vorbehaltlich einer gerichtlichen Entscheidung – keinen zweiten Wahlgang geben.

Der neue Präsident entstammt einer Familie, die mit Jomo Kenyatta den Unabhängigkeitspräsidenten stellte und die als größter privater Landbesitzer in Kenia über immensen Reichtum verfügt.

Ende 2010 hat der Internationale Strafgerichtshofs in Den Haag (ICC) entschieden, ein Verfahren gegen zunächst sechs kenianische Staatsbürger wegen der Gewaltexzesse 2007/2008 zu eröffnen. Den Angeklagten wird Anstiftung zu Mord, Vertreibung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Da unter den mittlerweile nur noch vier Anklagten auch Uhuru Kenyatta und sein Vize-Präsidentschaftskandidat William Ruto sind, war die Anklage des ICC auch Wahlkampfthema und trug zur angespannten Vorwahlstimmung bei. Die ICC-Entscheidung dürfte auch großen Einfluss bei der Gründung des Jubilee-Wahlbündnisses gehabt haben, dass die einstigen Rivalen Kenyatta und Ruto aus taktischen Gründen schmiedeten.

Ein weiteres beherrschendes Wahlkampthema war die Landfrage. Die Landwirtschaft ist der wichtigste Wirtschaftszweig Kenias, von ihr leben 70 Prozent der Bevölkerung. Die Hauptexportgüter Kenias sind Schnittblumen, Tee und Kaffee. Knapp 60 Prozent der Bevölkerung leben heute unter der offiziellen Armutsgrenze, etwa 15 Prozent sind offiziell arbeitslos. Über 40 Prozent der KenianerInnen haben keinen direkten Zugang zu sauberem Trinkwasser und mehr als die Hälfte haben keinen zufriedenstellenden Zugang zu sanitären Anlagen. Das kenianische Gesundheitssystem ist völlig unzureichend, Mütter- und Säuglingssterblichkeit sind hoch. Die staatlichen Schulen sind stark unterfinanziert und in vielen Gemeinden gibt es keinerlei weiterführende oder berufsbildende Schulen. Die Zahl der arbeitlosen Jugendlichen steigt stetig.

Um den Anforderungen der neuen Verfassung nachzukommen, nach denen eine Stimmenmehrheit und ein 25-Prozent-Quorum in mindestens der Hälfte der Counties für den Wahlerfolg notwendig waren, wurden vor allem in der zweiten Jahreshälfte 2012 neue Parteien gegründet und Wahlkoalitionen gebildet. Dabei wurden Bündnisse geschlossen, für deren Zustandekommen ausschließlich regional-ethnische Gesichtspunkte ausschlaggebend waren. Politische Programme spielten keine Rolle. Unter solchen Voraussetzungen verwundert es nicht, dass die Gegner von 2007, der Führer der National Alliance (TNA) Uhuru Kenyatta (Kikuyu) und William Ruto (Kalenjin) von der United Republic Party (URP) als Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidaten gemeinsam antraten.

Geleitet von ähnlichen Überlegungen versammelte Raila Odinga (Luo), bisheriger Premierminister sowie Chef des Orange Democratic Movement (ODM), mehrere Parteien unter dem Schirm der Coalition of Reforms and Democracy (CORD).

Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus erreichten und unter Einbeziehung der zusätzlichen Frauensitze Jubilee 158 und CORD 138 Sitze (Sonstige 38 Sitze), d.h. weder das Jubilee-Bündnis noch die CORD-Allianz haben eine Mehrheit.

Die Vertretung der Counties auf nationaler Ebene, der Senat, setzt sich aus 47 direkt gewählten Senatoren, 16 nach Parteienproporz ausgewählten, zusätzlichen Senatorinnen und je zwei VertreterInnen (männlich/weiblich) der Jugend und von Menschen mit Behinderungen zusammen. Bei den direkt gewählten 47 Senatoren gibt es einen Gleichstand von CORD und Jubilee.

Auf der County-Ebene wird die regionale Verwaltung durch den gewählten Gouverneur (nebst ebenfalls gewählter Stellvertretung) geführt. Die Wahl ergab dass CORD mehr Gouverneure unter seinem Bündnis vereinen kann als die Jubilee Alliance.

Auf die Zusammensetzung der legislativen Versammlungen auf County-Ebene, insgesamt 1.470 Mandate, kann hier noch nicht eingegangen werden, da bisher (11.03.2013) noch keine detaillierten Auszählungsergebnisse vorliegen.

Es wurde keine Frau zur Senatorin und keine Frau zur Gouverneurin gewählt. Von den 290 Mitgliedern (außer den separat besetzten 47 Frauenplätzen) des nationalen Parlaments sind voraussichtlich nur noch 14 Frauen, noch weniger als im letzten Parlament (22). Über die Geschlechterverteilung in den County Assemblies liegen noch keine Angaben vor.

Zusammenfassend kann eingeschätzt werden, dass vielen Befürchtungen zum Trotz die Wahlen weitestgehend friedlich verlaufen sind. Maßgeblich dazu beigetragen haben wiederholte Aufrufe aus der Politik, den Medien und der Zivilgesellschaft, den Wahltag friedlich zu begehen und bei Zweifeln oder Kritik die entsprechenden Gremien, also die Wahlkommission und die Gerichte anzurufen. Zudem standen alle Wahlstationen unter dem Schutz von nahezu 100.000 PolizistInnen und anderen Sicherheitskräften.

Die Gerichte sind während des Auszählungsprozesses mehrfach angerufen worden, sowohl durch politische Parteien als auch durch zivilgesellschaftliche Organisationen. Ihre jeweiligen Entscheidungen zur Nicht-Unterbrechung des Auszählungsprozesses oder zur Einbeziehung der ungültigen Stimmen in die für die Prozentberechnung zugrunde zu legenden Gesamtzahl der zu berücksichtigenden Stimmen wurden akzeptiert.

Innenpolitisch ist im Moment die entscheidende Frage, wie das entlang der Wahlkoalitionen und damit auch entlang der großen Ethnien, die durch diese Koalitionen repräsentiert wurden, gespaltene Land zur politischen Normalität zurückkehren kann.

Gerade weil die politische Dezentralisierung mit den damit verbundenen Hoffnungen auf mehr Teilhabe bei der Bevölkerung und mehr Gestaltungsspielraum bei den PolitikerInnen auf County-Ebene für die demokratische Entwicklung von unschätzbarer Bedeutung ist, muss es sowohl bei der schnellen Umsetzung des Prozesses der Aufgabenübertragung an und Mittelbereitstellung für diese Ebene Einigkeit zwischen Regierung, Abgeordnetenhaus, Senat, den Gouverneuren und den County Assemblies geben, unabhängig von den jeweiligen Mehrheiten oder Parteizugehörigkeiten. Da viele politische Abläufe in Kenia von Klientelismus und Patronage beherrscht werden, und hier die ethnisch-regionalen Bindungen die wichtigste Orientierung für entsprechende Entscheidungen darstellen, besteht allerdings die große Gefahr, dass durch die Schaffung einer zusätzlichen Regierungsebene mit County Assemblies, Gouverneuren und County Executive Committees nicht etwa mehr Demokratie, Transparenz und Beteiligung, sondern ein Mehr des zur Genüge bekannten politischen Spiels um Macht und Bereicherung generiert wird.

Großbritannien, die EU, die USA und andere Akteure im ‚Westen‘ haben im Vorfeld der Wahlen vor den Konsequenzen gewarnt, die die Wahl eines vor dem ICC angeklagten Präsidentschaftskandidaten haben kann. Jetzt müssen sich die Regierungen des ‚Westens‘ damit auseinandersetzen, dass ihre Intervention zum Gegenteil geführt haben: Kenyatta und sein Vizepräsident Ruto haben die Einmischung am Ende des Wahlkampfes als Mobilisierungsinstrument benutzt und die nationale Karte gespielt, mit einigem Erfolg, wie das Ergebnis zeigt. Ob und wie es mit dem Verfahrung vor dem ICC und der Haltung des ‚Westens‘ weitergeht bleibt freilich abzuwarten.

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