News | Parteien / Wahlanalysen - Staat / Demokratie Die Präsidentschaftswahlen in Zypern 2013

Am 17. und 24.Februar 2013 fanden auf Zypern Präsidentschaftswahlen statt, aus denen Nikos Anastasiades im zweiten Wahlgang als Sieger hervorging. Analyse von Julian Marioulas.

Information

1. Art der Wahlen

Zypern ist eine Präsidialdemokratie, dementsprechend sind die alle fünf Jahre stattfindenden Wahlen des Staatsoberhaupts von hoher Bedeutung. Es handelt sich um eine Direktwahl durch alle Wahlberechtigten, wobei nominell Wahlpflicht besteht. Ein Kandidat muss 50%+1 der Stimmen auf sich vereinigen, um gewählt zu werden. Gelingt dies nicht im ersten Wahlgang, so erfolgt eine Woche später eine Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten.

2. Einschätzung der politischen Situation vor den Wahlen

2.1. Die Präsidentschaft von Dimitris Christofias

Dimitris Christofias war der erste von der AKEL gestellte Präsident der Republik Zypern. Diesem historischen Wahlerfolg der Kommunisten im Februar 2008 folgte eine Präsidentschaft, deren zentrales Projekt die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit der türkisch-zypriotischen Seite war.

Zum Ende des ersten Jahres der Präsidentschaft Christofias' hin war die Bilanz der Regierung positiv. Sie hatte in Bezug auf die Innen- und Sozialpolitik einen Kurs moderater Reformen eingeschlagen, und energisch Verhandlungen mit dem Inselnorden begonnen. Die Zustimmung zur Regierungspolitik befand sich seinerzeit auf hohem Niveau.

Schwieriger wurde die Situation im Jahr 2009, als der Schatten der Finanzkrise zu einem Konjunktureinbruch führte.  Nach anfänglichen Fortschritten in den Verhandlungen mit dem Inselnorden folgte im April 2010 ein schwerer Rückschlag, als die Wahlen auf türkischer Seite zum Sieg des Nationalisten Derviş Eroğlu führten. Anstelle von Mehmet Ali Talat, einem persönlichen Bekannten von Christofias, trat ein Mann, dessen Sieg jede Aussicht auf eine mittelfristige Vereinbarung zunichte machte. Ende 2012 erreichte auch auf griechischer Seite die potentielle Zustimmung zu einem Referendum über die Wiedervereinigung der Insel ein Allzeit-Tief.[1]

Der AKEL gelang es, die Parlamentswahlen im Mai 2011 mit Stimmengewinnen abzuschließen. Sie musste sich dennoch der konservativen Opposition geschlagen geben und blieb nach Ausscheiden der Koalitionspartner als Minderheitsregierung im Amt. Kurz darauf geriet Christofias selbst zunehmend in Bedrängnis. Am 11. Juli 2011 explodierten 85 Waffencontainer auf der Evangelos Florakis-Marinebasis in direkter Nähe des größten Energiekraftwerks der Insel, wobei 13 Menschen starben und die Energieversorgung des Landes stark getroffen wurde. Der Schaden betrug rund 10% des jährlichen BIPs der Insel. Die Container enthielten konfiszierte Waffen, die zwei Jahre zuvor auf dem Weg von Iran nach Syrien abgefangen worden waren. Christofias selbst hatte, dem öffentlichen Untersuchungsbericht zufolge, dem syrischen Präsident al-Assad die Aufbewahrung der Waffen versprochen, und war über die möglichen Gefahren informiert gewesen. Während der Außen- und Verteidigungsminister infolge der Katastrophe zurücktraten, bestritt der Präsident jede persönliche Verantwortung.

Infolge des Schuldenschnitts für Griechenland gerieten die zyprischen Banken als Gläubiger eines Teils der griechischen Staatsanleihen in den vergangenen zwei Jahren in eine finanzielle Notlage. Die makroökonomischen Entscheidungen der Regierung waren in diesem Zusammenhang nicht die förderlichsten, und auch in diesem Sektor kam Christofias aufgrund seiner von Amts wegen großen Machtfülle der größte Teil der Schuldzuweisungen entgegen.[2]

Infolge der auf Zypern übergreifenden Rezession war die Bilanz der Regierung auf dem Arbeitsmarkt nach fünf Jahren desaströs. Anfang Februar 2013 erreichte die Arbeitslosenquote 14,7%, verglichen mit 4% zur gleichen Zeit im Jahr 2009. Im Mai 2012 kündigte Christofias an, nicht erneut als Kandidat seiner Partei für die Präsidentschaftswahlen anzutreten. Als Grund nannte das Scheitern der Verhandlungslösung im Zypern-Konflikt, dem Kernprojekt seiner Präsidentschaft. Diese hatte er bereits zu Amtsantritt als Voraussetzung für eine erneute Kandidatur genannt. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch ohnehin klar, dass eine Wiederwahl außer frage stand, bewegte sich die Zustimmung zum Präsidenten doch bei gerade einmal 20%. Die AKEL stellte im Juli 2012 den parteilosen Gesundheitsminister Stavros Malas als ihren Kandidaten auf.

2013 war die erste Wahl seit über einem Jahrzehnt, in der Wirtschaftsfragen anstelle des Zypern-Konflikts im Vordergrund standen. Als größte Errungenschaft seiner Präsidentschaft nannte Christofias bei seiner Abschiedsansprache im Fernsehen wohl auch daher die Entdeckung von Gasfeldern in der AWZ vor der zyprischen Küste. Die Gasförderung verspricht Zypern in den nächsten Jahrzehnten eine neue Einnahmequelle.

2.2 Wahlbündnisse

In einem Klima wachsender Unzufriedenheit mit der Regierung und insbesondere mit der Person des Präsidenten, kam es unter den Parteien, die Christofias bei seiner Wahl noch unterstützt hatten, namentlich der zentristischen DIKO und sozialdemoratischen EDEK, zur Kandidatensuche und Auslotung neuer Bündnisoptionen. Das Exekutivbüro der DIKO, der drittstärksten Partei auf Zypern und bis 2011 Koalitionspartner der AKEL, gab im September 2012 der Kandidatur von Anastasiades ihre Unterstützung. Ein daraufhin einberufener Parteikongress bestätigte dies, wenn auch nur mit einer Zustimmung von 81,9%. Die Sozialdemokraten der EDEK versuchten erfolglos, ein Bündnis mit der „Europapartei“ EVROKO und den Grünen einzugehen, und sprachen sich schließlich für den unabhängigen Kandidaten Jorgos Lillikas aus.

Die EVROKO gab schließlich Anastasiades ihre mehrheitliche Unterstützung, während eine Minderheit für Lillikas stimmte. Die Grünen waren ebenfalls zwischen diesen beiden Kandidaten gespalten, sprachen jedoch keine Empfehlung aus.

Erstaunlicherweise gab die Partei Europäischer Sozialisten PES vor der zweiten Runde eine Wahlempfehlung für Malas ab, während die EDEK ihm trotz Mitgliedschaft in eben dieser europäischen Partei ihre Unterstützung verweigerte. Unter den Wählern von Lilikas konnte er dennoch eine Mehrheit für sich gewinnen.

2.3 Die Kandidaten des zweiten Wahlgangs

Nikos Anastasiades hat als Kandidat der konservativen Partei DISY die Wahlen gewonnen. Geboren wurde er1946 in Pera Pedi auf Zypern, er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Anastasides ist Beruf Rechtsanwalt und in Limassol tätig. Seit Gründung der DISY im Jahr 1976 in der Partei aktiv, stieg er im Laufe der Jahrzehnte in ihren Rängen auf. Seit 1981 war er ununterbrochen Mitglied des zyprischen Parlaments für Limassol und zeitweise Fraktionsvorsitzender. Zudem übte er verschiedene Funktionen in diversen Parlamentsgremien aus. Seit 1997 ist er auch Parteivorsitzender der DISY.

Anastasiades ist ein typischer Parteipolitiker, gut vernetzt und ein großer Befürworter der gegenwärtigen EU-Politik. Trotz mehrheitlicher Ablehnung innerhalb seiner Partei sprach er sich 2002 für den Annan-Plan aus. Sein Programm für die Präsidentschaft stellt ökonomische Reformen in den Vordergrund, zu denen aufgrund der unmittelbaren die Verhandlungen über einen Bailout für die Banken auch Austeritätsmaßnahmen zu zählen sind. Weiterhin soll der staatliche Sektor evaluiert und einige Unternehmen privatisiert werden. Außenpolitisch wird Zypern unter ihm eine rasche Aufnahme in die NATO-“Partnerschaft für den Frieden“ anstreben.

Kandidat der AKEL in diesen Präsidentschaftwahlen war Stavros Malas. Er wurde 1967 in Famagusta geboren, ist verheiratet und hat vier Kinder. Von Beruf ist er Arzt und hat zudem Lehrtätigkeiten am Imperial College London und der Universität Nikosia inne. Malas, der keiner Partei angehört, wurde 2011 als Gesundheitsminister in das Kabinett von Christofias aufgenommen. Außerhalb von der Mitarbeit in verschiedenen Gremien der Europäischen Kommission zur Gesundheitspolitik verfügte er bis dahin über keine politische Erfahrung. Dies kam im als Kandidat zugute, da er nicht als zum Machtzirkel des Präsidenten zugehörig wahrgenommen wurde.

Neben einem zu erwartenden Fokus auf das Gesundheitswesen stand natürlich auch die Wirtschaft im Zentrum von Malas' Wahlprogramm. Zur Überwindung der Krise wurden darin ausländische Investitionen, die Konsolidierung des Bankensektors sowie des Haushalts als zentrale Ziele benannt. Nachhaltiges Wirtschaften und Abkehr vom Wachstumsgedanken sollten langfristige Richtlinien für das ökonomische Handeln begründen. Das Memorandum wurde von seiner Seite nicht abgelehnt, die damit einhergehenden Maßnahmen und Einschnitte sollten jedoch möglichst schnell überwunden werden.

3. Übersicht des Wahlergebnisses

In den Umfragen vor den Wahlen führte Anastasiades in allen Kompetenzbereichen, wobei sich die statische Abweichung von der Personenpräferenz in Grenzen hielt. So hielten ihn zu Beginn 2013 41,3% der Befragten für den besten Kandidaten in Wirtschaftsfragen (Malas 16,6%, Lilikas 18,1%), und 41,2 für den besten Kandidaten in der Innenpolitik (Malas 17,7%, Lilikas 16,6%).

Unter den Anhängern seiner eigenen Partei erreichte Anastasiades ebenfalls die größte Zustimmung. 90% der DISY-Stammwähler waren vor der Wahl entschlossen, für ihren Kandidaten zu stimmen, während dies unter den  AKEL-Stammwählern nur 70% waren. 6% von ihnen neigten Anastasiades zu, 12% hingegen Lillikas.

Ergebnis der ersten Wahlgangs

KandidatParteiunterstützung Ergebnis in Stimmen/Prozent
Nikos AnastasiadesDISY/DIKO200.591/45.46%
Stavros MalasAKEL118.755/26.91%
Jorgos LillikasEDEK  109.996/24.93%
Jorgos CharalambousELAM3.899/0.88%
Praxoula Antoniadou EDI 2.678/0.61%
Makaria-Andri StylianouUnabhängig1.898/0.43%
Lakis IoannouLASOK1.278/0.29%
Vier weitere Kandidaten jeweils unter 1.000 Stimmen   
   
Gültige Stimmen 441,212
λευκό (kein Kreuz)   4,460
Ungültige Stimmen 7,826 
Abgegebene Stimmen insgesamt 453,498
Wahlbeteiligung 83,1%

Ergebnis des zweiten Wahlgangs

Kandidat   Parteiunterstützung Ergebnis in Stimmen/Prozent
Nikos AnastasiadesDISY 236.965/57.48%
Stavros MalasAKEL175.267/42.52%
   
Gültige Stimmen 412.232
λευκό (kein Kreuz) 18.030
Ungültige Stimmen 14.747
Abgegebene Stimmen insgesamt 445.489
Wahlbeteiligung  81,6% 

                                                                    


In der ersten Runde und zweiten Runde erreichte Anastasiades in allen 5 Regionen des Inselsüdens eine Mehrheit. In der zweiten Runde schnitt Malas am stärksten in Larnaka, Paphos und unter den Auslandswählern am stärksten ab, wo er jeweils um die 45% erreichte. Sein schwächstes Ergebnis erhielt er in der Region von Ammochostos[3] mit nur 36%. Mit Ausnahme einer leichten Tendenz zugunsten von Anastasiades, dessen Ergebnis auf durchschnittlich 48% geschätzt wurde, nahmen die Umfragen in den Monaten vor der Wahl das Ergebnis der ersten Runde vorweg. Seine Wahl  zum Präsidenten in der zweiten Runde war ebenfalls erwartet worden, wobei Malas besser als erwartet abschnit

Laut einer Analyse des Wahlinstituts Sigma kam es in der Stichwahl unter Rücksichtnahme der Parteipräferenz unter den Wählern der einzelnen Parteien zu folgendem Ergebnis:

  • DISY-Wähler (die Partei erreichte in den Parlamentswahlen 2011 ein Ergebnis von 34,3%) 98% Anastasiades 2% Malas
  • AKEL-Wähler (32,7%): 95% Malas, 5% Anastasiades
  • DIKO-Wähler (15,8%): 66% Anastasiades, 34% Malas
  • EDEK-Wähler (8,9%) 56% Malas, 46% Anastasiades
  • EUROKO-Wähler (3,9%): 92% Anastasiades, 8% Malas

Unter den Wählern von Lillikas in der ersten Runde erreichte Malas mit 39% gegenüber Anastasiades mit 37% in der Stichwahl eine größere Zustimmung. Insgesamt viel die Wahlbeteiligung vergleichsweise gering aus, 2008 hatte sie noch 90% erreicht. Die Zahl der ungültigen Stimmen verdeutlicht ebenfalls eine nicht zu missachtende Unzufriedenheit unter vielen Wahlberechtigten gegenüber den Kandidaten der beiden großen Parteien.

Professor Jiannis Mavris von der Universität Athen zufolge wird das Ergebnis Auswirkungen auf die Parteilandschaft Zyperns haben. Dies sei vor allem eine  Austeritätspolitik, die wie in Griechenland auch in Zypern zu längerfristiger Arbeitslosigkeit und Verarmung führen könnte. Dieses Phänomen führe zu einer Entstehung neuer Gesellschaftsschichten, die andere Erwartungen an die Politik stellen werden. Eine Erschütterung der Parteien werde jedoch nicht in dem Ausmaße stattfinden, wie es in Griechenland passierte, da die politische Kultur auf Zypern stärker auf Ausgleich zwischen den Parteien ausgerichtet ist und diese weniger mit den Ursachen der Krise in Verbindung gebracht werden. Insgesamt herrscht in Zypern eine Befürwortung für ein mögliches Memorandum vor, während der Euro als Währung eher abgelegt wird. Damit ist die Situation im Vergleich zu Griechenland umgekehrt, wo eine große Mehrheit der Bevölkerung die fortwährenden Memoranden von Beginn an ablehnte, jedoch einen Verbleib in der Eurozone wünscht.

4. Erste Schlussfolgerungen für die Linken

Dank des knappen Vorsprungs im ersten Wahlgang ist ein befürchtetes Debakel für die zyprische Linke ausgeblieben. Tatsächlich lag auch das Ergebnis des zweiten Wahlgangs über den Erwartungen, zumal Malas sich größeren Zuspruchs durch die Wähler der EDEK und DIKO erfreuen konnten als sein Kontrahent. So ist die Partei für die nächsten Jahre mit einem soliden Oppositionsmandat ausgestattet, welches ihr erlauben sollte, konstruktiv in dem schweren Prozess mitzuwirken, der durch die Implementierung kommender Memoranden zu erwarten ist.

Dieser Prozess wird auch die Partei selbst erfassen müssen, denn eine angemessene Reaktion auf die Krise des eigenen Bankensektors und die extrem gestiegene Arbeitslosigkeit ließ die Regierung Christofias vermissen. Die Konzepte der AKEL bewährten sich solang, als die Insel abseits der globalen Aufmerksamkeit sich nicht ihre Rolle Zentrum von Offshore-Banking stellen musste. Dies war auch einen Auseinandersetzung, vor der die Partei sich stets sträubte, zumal Wirtschaftsfragen bisher elegant umgangen werden konnten. Da nun eben die ökonomische Vitalisierung und nicht die Zypernfrage das beherrschende Thema der Inselpolitik ist, wird auch die AKEL ihre eigene Rolle überdenken, und wichtiger noch, versuchen müssen, eine linke Antwort auf die Einsicht zu finden, dass Zypern Teil der globalisierten Welt ist.

Julian Marioulas

Der Autor ist Ortslektor an der Universität für Wissenschaft und Technik Qingdao in China. Sein Studienfeld ist Parteienanalyse mit regionalem Schwerpunkt Griechenland und Zypern.


[1]    Zum derzeitigen Sachverhalt und Aussichten in der Zypernfrage vgl. Cyprus 2015, www.cyprus2015.org

[2]    Vgl. dazu www.guardian.co.uk/commentisfree/2012/dec/19/demetris-christofias-cyprus-sorry-state

[3]    Englischer Name Famagusta, die Stadt selbst steht unter türkischer Besatzung