News | Seeck: Das Begehren anders zu sein. Politische und kulturelle Dissidenz von 68 bis zum Scheitern der DDR; Münster 2012

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Bernd Hüttner,

Das hier anzuzeigende Buch enthält 20 Artikel und Interviews. Die Autorinnen und Autoren stammen fast alle aus der DDR-Opposition und dort aus ihrem sich damals freiheitlich-sozialistisch definierenden Flügel; bzw. gehören zu denjenigen, die sich auch heute (noch) als Opposition gegen die neuen Verhältnisse verstehen und engagieren: Bürgerbewegung in Abgrenzung zu Bürgerrechtlern also. Der Band ist in vier Abschnitte gegliedert: Politische Dissidenz, kulturelle Dissidenz, Eigensinn in der Arbeitswelt und schließlich ein kurzer über die Erfahrungen von „ausländischen“ VertragsarbeiterInnen.

Jenseits des konkreten Gegenstandes lassen sich in den Beiträgen drei Haltungen oder Herangehensweisen unterscheiden. Da sind zum einen Artikel zu Themen, die bislang relativ unterbelichtet waren und sind. Dirk Moldt berichtet etwa über selbstbestimmte Arbeitsbiografien in der DDR, also Menschen, die sich als im weitesten Sinne „kulturelle KleinstproduzentInnen“ dem Normierungsdruck der arbeiterlichen Gesellschaft verweigerten. Der Jurist und Historiker Sven Korzilius schildert, wie Oppositionelle mit dem sog. Asozialenparagraph verfolgt wurden, der Arbeitsverweigerung unter Strafandrohung stellte. Renate Hürtgen und Bernd Gehrke stellen vor, wie die soziale Zusammensetzung der Demonstrationen des Herbstes 1989 aussah: Die Köpfe, die auch die mediale Wahrnehmung prägten, stammten zwar aus einem sozialen Milieu das im Westen als jenes der neuen sozialen Bewegungen bezeichnet wurde, die Menge bestand aber aus ArbeiterInnen und Angestellten – und nur dies kann die Geschwindigkeit wie das Ausmaß der Proteste erklären. Die beiden haben errechnet, dass die Anzahl von Protesten pro Einwohner in kleineren Städten weit höher war, als in größeren. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dann später die von unten entstehenden betrieblichen Interessensvertretungen einen Streik, der die Machtfrage hätte stellen können, nicht auf die Beine bekommen. Mehrere Beiträge widmen sich dissidenten Jugendkulturen, etwa Punks, oder den Bluesmessen, die in Berlin von 1979 bis 1986 unter dem Dach der Kirche stattfinden und jedes Mal mehrere tausend TeilnehmerInnen anziehen.

Ein zweiter Blickwinkel sind bereits, auch von Liberalen oder Konservativen gut erforschte Themenstellungen, die hier aus einem „linkssozialistischen“ oder „kulturell-dissidenten“ Blickwinkel betrachtet werden. Die Herausgeberin Anne Seeck thematisiert „Alltag und Repression in der DDR“ und musste sich in der Tageszeitung junge welt in einer schlechten Rezension des Buches dafür kritisieren lassen, dass sie aus einem Buch von Mitarbeitern des Forschungsverbundes SED-Staat zitiert. Seeck schildert die DDR als militarisierte, kulturell kleinkarierte und strukturell stark verstaatlichte Gesellschaft, mit Arbeitspflicht und ohne Meinungsfreiheit. Gerade diese Umstände stießen aber die Subkultur und andere Oppositionelle ab. Der Beitrag von Thomas Klein hat „Die Opposition in der DDR während der achtziger Jahre“ zum Thema. Er weist nach, dass viele oppositionelle Gruppen einen freiheitlichen Sozialismus anstrebten, und gerade deswegen so stark verfolgt wurden. Sein Beitrag illustriert die These, es sei die SED gewesen, die zustande gebracht habe, was dem Kapitalismus nie gelungen sei: Durch ihren Anspruch, nur sie könne und werde definieren, was Sozialismus sei und durch die Umsetzung dieses Anspruches in einer „Behördendiktatur“ die Idee des Sozialismus in der DDR völlig zu ruinieren. Bernd Gehrke berichtet schließlich über die 1968er Proteste in der DDR, hier vor allem über die Proteste gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings. Aus etlichen Beiträgen wird im Vergleich deutlich - und einige AutorInnen merken das auch an - dass eine Kooperation zwischen den dissidenten und minoritären Jugendkulturen und den Resten der Arbeiterbewegung nicht zustande kam. Dies hätte womöglich eine Wirkung gehabt, über die heute nur spekuliert werden kann.

„Das Begehren anders zu sein“ ist ein dichtes, lesenswertes Buch, das einen sympathisch-widerständigen Blick auf die Vergangenheit wirft. Es deckt ein breites Themenspektrum ab, bietet viele neue Informationen und weist darauf hin, dass es auch die SED war, die durch ihre Politik dazu beitrug, die Idee des Sozialismus gründlich zu diskreditieren. Es wendet sich implizit gegen eine Re-Idealisierung der DDR, wie sie generationenübergreifend in der Linken vor dem Hintergrund der derzeitigen immensen sozialen Spaltung und Krisenhaftigkeit des Kapitalismus wieder vermehrt zu beobachten ist.

Anne Seeck: Das Begehren anders zu sein. Politische und kulturelle Dissidenz von 68 bis zum Scheitern der DDR; unrast Verlag, Münster 2012, 304 Seiten, 18 EUR