News | GK Geschichte Unsere Täterinnen, unsere Täter.

Johannes Spohr kritisiert den ZDF-Mehrteiler "Unsere Mütter, unsere Väter"

And we breathe it in
There is no need to forgive
Breathe it in, there is no need to forgive
(again)

 And we know who you are
And we know where you live
And we know there’s no need to forgive

Nick Cave – We No Who U R (2013)

Man könnte sich wünschen, Nick Cave meine mit seinem neuen Song die deutschen Nazis und ihre Nachfahren. 15 Jahre nach der öffentlichen Diskussion um die Rolle der Wehrmacht im Vernichtungskrieg erlaubt sich die deutsche Öffentlichkeit eine Debatte darüber, ob „unsere Mütter, unsere Väter“ wirklich so grausam waren. Die Unbefangenheit, mit der man sich nun dem „dunklen Kapitel“ deutscher Geschichte auch in den Familien widmen könne, wird als letzter Tabubruch begrüßt. Die BILD-Zeitung fragt, „Wie bringe ich Opa zum Reden“? Die Frage, die gestellt wird, scheint in momentanen Fahrwasser allerdings nicht mehr zu sein, „War Opa ein Nazi?“, sondern „Hat Opa auch gelitten?“. Über das Schweigen wird geschrieben, sogar über posttraumatische Belastungsstörungen, kurzum: über das Leiden der Täter.

Dies steht auch im Mittelpunkt des dreiteiligen TV-Epos „Unsere Mütter, unsere Väter“ und der zugehörigen Begleitdokumentation. Produzent Nico Hofmann, Fachmann für Banalisierung des Nationalsozialismus wie auch für Überdramatisierung in Filmen wie Dresden oder Die Flucht, hat eine ganze Schar hochrangiger Schauspieler_innen für die 14 Millionen-Produktion aufgetrieben. Historiker wie Sönke Neitzel verleihen ihm zudem durch ihre Mitarbeit eine besondere Authentizität. Am Sonntagabend schaut man sich ohnehin melodramatische, deutsche Auftritte auf der Mattscheibe an. Kommt dann der Betroffenheitskitsch noch als „Aufarbeitung der Nazizeit“ daher, schaut es sich umso besser. Man könnte meinen, die über sieben Millionen Zuschauer_innen bräuchten Nerven aus Kruppstahl, um die insgesamt 240 Minuten der Dreiteilers voller Kontraste und trauriger Klassik zu überstehen. Wer das ZDF-Abendprogramm gewöhnt ist, mag hier einen Vorteil besitzen. Abseits dessen handelt es sich schlichtweg um einen Kriegsfilm, bei dem es eben um einen beliebigen Krieg gehen könnte, in dem Menschen töten und dabei auch mal über die Stränge schlagen.

In die begleitende Dokumentation fließen immer wieder Elemente des Films ein, sie vermischen sich mit Originalaufnahmen aus der NS-Zeit. Hier wird von „verbrecherischen Befehlen“ der Wehrmacht gesprochen, um dann in der nächsten Sequenz wieder einen ehemaligen Ausführenden dieser Befehle unter Tränen gerührt über den Feindkontakt berichten zu lassen.

 

„Am Anfang war man ein Held, jetzt nur noch ein Scheißkerl“ (O-Ton UMUV)

 

Wir sind die fünf Freunde

Unter fünf Freund_innen, deren Geschichten erzählt werden, gibt es keine einzige Person, die deutlich als Täter_in zu identifizieren sein soll. Auch wenn sie sich vereinzelt schuldig machen – sie eint der Zweifel am Nationalsozialismus und das Zögern, als habe es genau jenen Referenzrahmen nicht seit 1933 gegeben. Ein Deserteur, eine Judenretterin, ein Jude, der sich den Partisanen anschließt, eine Krankenschwester, die zunächst eine Jüdin verrät, dann jedoch ein gutes Verhältnis zur polnischen Zwangsarbeiterin aufbaut. Selbst der zunächst überzeugt kämpfende Friedhelm erschießt schließlich einen SD-Offizier statt seinen jüdischen Freund. Es handelt sich ohne Ausnahme um Identifikationsfiguren, denen man gern vergibt und die sich am Ende sogar einander vergeben. Wer Opfer und wer Täter ist, spielt im Grunde keine Rolle. Es soll schließlich veranschaulicht werden, wie alle Beteiligten in das „Grauen des Krieges“ „hineingerutscht“ sind. Wirklich grausam handeln tun aber immer die Anderen und dort, wo es die Protagonist_innen selbst tun, erscheint es irgendwie verständlich. Die Shoah und der Vernichtungskrieg der Deutschen aber waren geplante und vorab festgelegte Kriegsziele. Ohne Wehrmacht keine Shoah. Das Problem war nicht, dass irgendjemand irgendwo reingerutscht ist, sondern dass es genauso gedacht und gewollt war. Das Ganze war kein – und auch das ließe sich aus dem Film folgern – Versehen. Erklärungsbedürftig ist bis heute die große Zustimmung, die der Nationalsozialismus unter den Deutschen genoss. Sie kommt in diesem Film nicht vor, es gibt nicht einen „waschechten“ Täter, der näher eingeführt würde. Der Film beinhaltet Charaktere, so wie die Deutschen von heute sie gern gehabt hätten, ambivalent und kritisch. Er gibt also eher Auskunft darüber, wie die Deutschen sich gefallen hätten als über historische Zusammenhänge.

Man könnte meinen, es handele sich um einen Fortschritt, wenn die Wehrmacht im Mittelpunkt der Kriegsdarstellung steht. Doch über den eigentlichen Charakter des Krieges und die Rolle, die die Wehrmacht darin spielt, erfährt man quasi nichts. Einsatzgruppen, SS und SD treten nur dann auf, wenn es um ihre Abgrenzung von der Wehrmacht geht. Das oft reibungslose Zusammenspiel im Vernichtungskrieg wird ausgeblendet. Stattdessen tötet ein SS-Mann ein jüdisches Mädchen vor den Augen der Wehrmacht-Soldaten, die sie eigentlich verschonen wollten. Auch wenn es derlei Szenen gegeben hat: Wer an dieser Stelle die Ausnahme statt der Regel inszeniert, relativiert die Verbrechen der Wehrmacht und ihre meist reibungslose Beteiligung an der Vernichtung. Es stimmt, dass einige der Bilder im Film noch in den 1990er Jahren Empörung hervorgerufen hätten. Die Art und Weise der Inszenierung dieser Bilder ist jedoch ein Rück- kein Fortschritt. Hier findet ein Rückgriff auf die in den Nachkriegsjahrzehnten beliebte Dämonisierung der SS und der Gestapo zugunsten der Wehrmacht statt.

Das Grauen braucht nicht bebildert zu werden, um es zu umschreiben. In Unsere Mütter – unsere Väter wird jedoch der Anschein von Authentizität geübt und so getan, als seien mit dem Bebilderten alle Aspekte des Nationalsozialismus beleuchtet worden, als handele es sich um ein facettenreiches Abbild der NS-Gesellschaft. Der Prozess der Vernichtung, die Entwicklung der Direktmorde durch Einsatzgruppen und teilweise der Wehrmacht hin zu den Vernichtungslagern, er wird gar nicht erst benannt. Die Vernichtungslager werden im Film komplett ausgespart, als seien sie nicht elementarer Teil des deutschen Krieges gewesen. In einer Szene greifen Partisan_innen der polnischen Heimatarmee „Armia Krajowa“ einen deutschen Zug an. Als sie feststellen, dass sich jüdische KZ-Insass_innen in den Waggons befinden, wollen sie sie zunächst in den Waggons und damit sterben lassen. Der Hinweis auf Antisemitismus unter den Partisan_innen ist nicht grundlegend falsch, aber hier so inszeniert, dass es dem Publikum im Opfertaumel gefällt: „Seht her, die haben doch auch...“.

Als schlimmste Konsequenz des Nationalsozialismus erscheint das, selbstverständlich mit klassischer Musik unterlegte, zerstörte Berlin. Das Böse, das ist „der Krieg“ als solcher und um den geht es auch in den auf den Film folgenden Debatten. Die Sorge, die sich Jugendliche nun machen sollen, ist die um das psychische Wohlergehen ihrer Vorfahren. Im Film wird es dann auch besonders grausam, wenn Deutsche leiden. Dass all dies Leid lange Zeit unterdrückt wurde, das ist es, was die junge Generation nun in einen neuen, endlich von der Anklage befreiten Aufarbeitungsschub treiben soll. Hier geht es nicht um die Opfer und die Überlebenden: es geht um jene phantasierte nationale Gemeinschaft, die aufgrund ihres gemeinsamen Schicksals, zu dem auch der Zweite Weltkrieg gehört, zusammen hält. Dass jüdische Menschen von der nationalen Erinnerungsgemeinschaft nicht mehr ausgeschlossen werden, wie es Martin Walser noch in den 1990er Jahren tat, passt in die allgemeine Eingemeindung aller vom „Schrecken des 20. Jahrhunderts“ betroffen. Seien es nun Überlebende der Shoah, der Bombardierung Dresdens oder „betrogener“ Wehrmachtssoldaten. Am Ende des Films kommen die drei noch lebenden der ehemals fünf Freund_innen in einer zertrümmerten Berliner Kneipe zusammen und trinken Schnaps auf die zwei toten Freund_innen. Für Anklagen aller Art ist hier kein Platz, es ist schließlich alles schon schlimm genug gewesen. Der große Trog schließt sich. 15 Jahre nach der Wehrmachtausstellung fragen die Deutschen: „Waren unsere Vorfahren wirklich so grausam?“. Auch die alten Nazis dürfen nochmal mit Tränen in den Augen vor die Kamera. Das war eben alles nicht so einfach damals, auch für uns nicht.

 

Hurra, wir arbeiten auf.

In den Wochen nach der Erstausstrahlung folgte in den deutschsprachigen Medien vor allem wohlwollende Zustimmung, vereinzelt regte sich mit leichter Verspätung Kritik in bestimmten publizistischen Nischen, teilweise in größere Printmedien.

Der Spiegel widmete sich in seiner aktuellen Ausgabe dem „ewigen Trauma“ der Deutschen. Auf dem Titelbild sind ein junger, mitleidserweckender Kriegsteilnehmer, ein deutscher Flüchtlingstreck vor dem Brandenburger Tor, sowie Bundeswehrsoldaten in Afghanistan und in Farbe abgebildet. Alles Opfer, nicht nur damals, so wird uns mitgeteilt.

Im Gespräch bei Günther Jauch durften Zeitzeug_innen der „NS-Erlebnisgeneration“ nochmal zu Wort kommen. Unter anderem funkelten hier die Augen eines Angehörigen der Wehrmacht-Division „Hermann Göring“ auf. Neun Angehörige dieser Einheit wurden 2011 im italienischen Verona verurteilt, weil sie an Massakern in Norditalien im Frühjahr 1944 beteiligt waren, bei denen rund 400 Menschen ermordet wurden. Davon fällt in dieser Runde selbstverständlich kein Wort, stattdessen geht es um „schlimme Kopfschmerzen“, Dunkelheit und darum, dass es „auch Schönes“ gegeben habe, so die ehemalige Sanitäterin. Sie weiß außerdem zu berichten, es habe im Krieg Verwundete und Tote gegeben. Wirklich schlimm war für sie, beim Vorgesetzten eine halbe Stunde nicht anklopfen zu können.

Empörung hingegen in Polen: Die Darstellung der „Armia Krajowa“ in „Unsere Mütter, unsere Väter“ führt zu vehementer Kritik seitens der polnischen Medien und Politik. Sie wird allgemein nicht nur als falsch, sondern auch als verletzend empfunden. Die konservative polnische Zeitschrift „Uwazam Rze“ zeigt Angela Merkel mit Kopftuch und KZ-Häftlingskleidung. Eine deutliche Absage an die „Geschichtsverfälschung“, durch die sich Deutsche zu Opfern machen wollten.

Als nächstes soll der Film nun in den USA gezeigt werden. Unter dem Titel „Generation War“ soll der Dreiteiler zunächst in Kinos der größten amerikanischen Städte, darunter Los Angeles und New York, zu sehen sein. Es ist zu befürchten, dass dazu hierzulande ein wohlwollendes „Jetzt seit ihr aber dran mit der Aufarbeitung“ formuliert wird.

Wer geglaubt hat, beim Schauen von ZDF-Melodramen etwas über den Nationalsozialismus lernen zu können, lag schon immer daneben. Sollten durch den Film tatsächlich Gespräche in der Familie angeregt werden, sind es vielleicht einfach diejenigen, auf die sich auch Täter_innen einlassen können. Schließlich geht es um ihr Leid und eine zur Schau gestellte Sympathie ihnen gegenüber. Passend schreibt Kia Vahland in der Süddeutschen Zeitung zuversichtlich, die Diskussion um die deutsche NS-Vergangenheit sei zu lange geprägt gewesen vom Bedürfnis der Abgrenzung von den Tätern (Link zum Artikel). Die dritte und vierte Generation darf sich also kurz vor deren Ableben, befreit von ihrer Abgrenzung, die Geschichten anhören, die ihnen die Großmütter- und Väter schon immer erzählen wollten.

Johannes Spohr ist Historiker und freier Journalist und lebt in Berlin. Sein Blog ist preposition.de.