News | Deutsche / Europäische Geschichte - GK Geschichte Emanuely: Avantgarde I, Stuttgart 2015

".... leider ein Ärgernis."

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Bernd Hüttner,

In der Reihe „theorie.org“ des Stuttgarter Schmetterling Verlages erscheinen „Einführungen“ in verschiedene Themen, Bewegungen und politische Theorien. Einführungen, die sich an die radikale Linke adressieren und in der Regel recht lesenswert sind, oder gar wie jene zu „Arbeiterbewegung“ von Ralf Hoffrogge (2011) als Standardwerke gelten können.

Die neuste Ausgabe mit dem höchst spannenden Titel „Avantgarde“ ist aber leider ein Ärgernis. Avantgardistische Kunst und Kultur sind heute in der undogmatischen Linken vermutlich relativ unbekannt. Das akademische Standardwerk zur Bohème-Forschung ist heute immer noch die 1968 erstmals aufgelegte, und seitdem zweimal mehr oder minder unverändert nachgedruckte Habilitationsschrift Die Boheme. Analyse und Dokumentation der intellektuellen Subkultur vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart von Helmut Kreuzer. Allein diese zwei Beispiele zeigen deutlich die potentielle Marktlücke, in der so ein Buch gut einen Platz hätte finden können.

Die Leserin findet aber ein unübersichtliches Werk vor, das jenseits des letzten Abschnittes zu DADA, ausufernd und chaotisch wirkt. Durch die ausführlichen Schilderungen des Paris des 19. Jahrhunderts wird zwar ein guter Eindruck vom Leben der Bohème gegeben. Nahezu die Hälfte des Buches geht es um Félix Fénéon, einen Anarchisten und Kunstkritiker. Warum und wieso gerade er ausgesucht wird, bleibt unklar. Im Viereck von Intellektuellen, Kunst, Anarchismus und Revolution hätte es sicher noch drei Dutzend weitere Personen gegeben, die in Frage gekommen wären. Nirgends wird z.B. die Bedeutung von Netzwerken für die Existenz und Entwicklung der Avantgarden oder überhaupt des transnationalen Austausches angemessen erwähnt oder gar untersucht. Stattdessen finden sich ausufernd vom Autor übersetzte Zitate und Literaturverweise, die, um dies noch zu steigern, in den Fußnoten im (französischen) Original zitiert werden. Dies ist für einen Einführungsband völlig unangemessen.

Für Autor Alexander Emanuely zählen Dada, Surrealismus und Lettrismus (aus dem dann die die Situationisten entstehen) zur Avantgarde, der Expressionismus, Kubismus und Futurismus hingegen nicht. Diese Sichtweise ist legitim. Sie sollte dann aber besser begründet werden – und darauf hingewiesen werden, dass andere Autor_innen dies zu recht anders definieren oder einordnen.

Struktur ist, wie gesagt, nicht die Stärke des Buches. Band 2 soll noch im Frühjahr 2016 erscheinen, ist hoffentlich klarer aufgebaut und wird, so die Auskunft des Verlages, mit Kurzporträts der zentralen Figuren und deren Einordnung in den geschichtlichen Zusammenhang mittels einer Chronologie hoffentlich einiges zur Aufhellung beitragen. Es empfiehlt sich zusätzlich der Griff zum ganz preiswerten Metzler Lexikon Avantgarde, das 2009 von Hubert van den Berg und Walter Fähnders herausgegeben wurde. Dieses bietet einen besseren und zugänglicheren Überblick über dieses wichtige Thema!

Alexander Emanuely: Avantgarde I. Von den anarchistischen Anfängen bis Dada oder wider eine begriffliche Beliebigkeit, Reihe theorie.org, Schmetterling Verlag, Stuttgart 2015, 201 S., 10 EUR