In der Woche von 21. bis 27. April 2013 organisierte das Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) Südostasien zusammen mit dem Tampadipa Institut, einer burmesischen Nicht-Regierungsorganisation, die sich v. a. für Trainings zum Kompetenzaufbau von Parlamentarier_innen und lokalen Organisationen sowie politischen Dialogveranstaltungen engagiert, eine Informationsreise für Abgeordnete des burmesischen Unter- und Oberhauses zum Thema „Armutsminderung/Sozialpolitik“ nach Hanoi, Vietnam. Neben mehreren bilateralen Gesprächen mit vietnamesischen Vertreter_innen aus staatlichen Institutionen und Zivilgesellschaft, sowie international arbeitenden Nicht-Regierungsorganisationen, stand auch die Teilnahme an einem internationalen RLS-Workshop zum Thema „Stärkung von Abgeordneten in der Einbringung eigener Gesetzesinitiativen“ zusammen mit dem Institut für legislative Studien (ILS) der vietnamesischen Nationalversammlung in Halong-Stadt auf dem Arbeitsprogramm. Die vier Delegationsteilnehmer wurden vom Direktor des Partnerinstituts, Dr. Khin Zaw Win, bewusst nach ihrer Parteizughörigkeit, ihrer regionalen Herkunft und ihrer ethnischen Zugehörigkeit ausgewählt. So spiegelte die kleine Gruppe auf eine gewisse Weise die heterogene Zusammensetzung der burmesischen Bevölkerung und der stark fragmentierten Parteienlandschaft wieder: drei verschiedene ethnische Minderheiten (Kachin, Shan und Rakhine) und vier verschiedene Parteien. Kachin State und Rakhine State stellen mit teilweise mehr als 70% der Bevölkerung die unterhalb der Armutsgrenze leben die Schlusslichter in der nationalen Statistik Myanmars dar. Deshalb war es für die Delegierten aus diesen Regionen besonders interessant, sich mit den vietnamesischen Gastgeber_innen über deren Erfahrungen auf dem Feld der Armutsminderung/Sozialpolitik auszutauschen.
Nachdem die Delegation am Sonntagabend in Hanoi angekommen war, ging es am Montag mit einer ersten Veranstaltung los. Das Regionalbüro der RLS hatte für den Vormittag drei vietnamesische Partnerorganisationen eingeladen, um den burmesischen Gästen ihre Arbeit vorzustellen. Die drei Partnerorganisationen engagieren sich auf unterschiedlichen Feldern, haben aber ein gemeinsames Ziel: die Lebensverhältnisse sozial benachteiligter und marginalisierter Gruppen zu verbessern. Nach der Begrüßung der Delegation durch die Direktorin des Regionalbüros, Frau Nadja Charaby und den Projektmanager zu Myanmar, Manuel Palz, folgten die Vorträge der vietnamesischen Partner. Die Mitarbeiter_innen des Research Center for Family Support and Community Development (CFSCD) verfügen über jahrelange Erfahrung bei der Arbeit zum Thema Geschlechtergleichheit. Sowohl in Vietnam als auch in Myanmar sind besonders Frauen von Armut betroffen, da gesellschaftliche Zwänge und Normen auch im 21. Jahrhundert den Alltag bestimmen. Im Anschluss stellte die Nicht-Regierungsorganisation Live&Learn ihre Arbeitsschwerpunkte vor. Live&Learn arbeitet hauptsächlich mit jungen Menschen zusammen und organisiert Veranstaltung die sich mit „hot topics“, wie z. B. Korruption, Nachhaltigkeit, Partizipationsmöglichkeiten etc., beschäftigen. Da auch in Vietnam gerade die ethnischen Minderheiten von Armut betroffen sind und dieses Bild so auch auf Myanmar übertragbar ist, ist auch die Arbeit mit diesen Gruppen besonders wichtig. Die NRO Center for Water Resources Conservation and Development (WARECOD) arbeitet mit Gemeinschaften ethnischer Minderheiten in den nördlichen Provinzen zusammen und untersucht die Auswirkungen des Klimawandels auf die betroffenen Gruppen. Nicht nur in den Küstenregionen stellt der Klimawandel eine Bedrohung für die Lebensumstände der ansässigen Bevölkerung dar, auch in den Bergen sind die Folgen des Klimawandels durch Erdrutsche, Überflutungen etc. schon sichtbar, wie es die Vertreter_in der Organisation erklärte.
Am Nachmittag reiste die Gruppe dann weiter nach Halong-Stadt, um am folgenden Dienstag und Mittwoch am von der RLS und dem ILS organisierten internationalen Workshop „Stärkung von Abgeordneten in der Einbringung eigener Gesetzesinitiativen“ teilzunehmen. Neben der burmesischen Delegation fanden sich eine Gruppe laotischer, kambodschanischer und vietnamesischer Abgeordneter, ein südkoreanischer und ein französischer Experte, sowie mit Steffen Bockhahn (Die Linke) ein Mitglied des Deutschen Bundestages in Halong-Stadt ein. An zwei Tagen diskutierten die Teilnehmer_innen die rechtlichen Voraussetzungen und die Bedeutung von Gesetzesinitiativen durch die Parlamentarier_innen.
Zurück in Hanoi setzte die Delegation ihre Gespräche zum Thema Armutsminderung fort. Mit der Hilfe des ILS konnte die RLS für den Donnerstag hochrangige vietnamesische Gesprächspartner_innen gewinnen. Im Gespräch der Vizeministerin des Ministeriums für Agrarwirtschaft und ländliche Entwicklung wurden zukünftige Gemeinschaftsprojekte besprochen, da auch von Seiten Vietnams ein großes Interesse besteht Myanmars Entwicklung zu fördern. Das Potential, so waren sich beide Seiten einig, das brachliegende Land zu bewirtschaften und somit die Lebensmittelknappheit in einigen Regionen Myanmars zu verringern, ist vorhanden und deshalb soll die bereits bestehende Kooperation in der Zukunft intensiviert werden. Im Anschluss an das Gespräch im Ministerium wurde die Delegation Ausschuss für soziale Fragen der Nationalversammlung empfangen. Gemeinsam analysierte man die Entwicklung der beiden Länder seit den beiden historischen Zäsuren von 1986 (Doi Moi in Vietnam) und 1988 (Studentenproteste in Myanmar). Dabei wurde deutlich, dass Vietnam und Myanmar sich in den letzten 25 Jahren in unterschiedliche Richtungen entwickelten. Während Vietnam den Sprung von einem Agrarstaat hin zu einem ‚middle income country‘ schaffte, verschlechterten sich die Lebensbedingungen der Burmes_innen und ihr Land gehört heute zu einem der ärmsten Länder der Welt. Dass es großer gemeinschaftlicher Anstrengungen von Regierung und Zivilgesellschaft bedarf, wurde dabei auch angesprochen. Gleichzeitig mahnten die Vertreter_innen des Ausschuss für soziale Fragen die Burmes_innen an, aus den Fehlern Vietnams zu lernen, den Modernisierungsprozess nachhaltiger zu gestalten und die Umwelt zu schützen. Für den Nachmittag stand ein Termin beim Ausschuss für ökonomische Angelegenheiten der Nationalversammlung auf der Agenda. Empfangen wurde die Delegation vom stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses. Zusammen diskutierten die Teilnehmer_innen über die Landrechtsfrage in Vietnam, da sich auch auf diesem Feld parallelen mit Myanmar diagnostizieren lassen. Vietnam ist gegenwärtig dabei, die Verfassung zu überarbeiten und die Landrechtsfrage ist dabei von großer Bedeutung. Immer häufiger kommt es zu Spannungen zwischen Bewohner_innen und Investore_innen. Demonstrationen gegen Zwangsenteignungen finden gerade während den Sitzungen der Nationalversammlung regelmäßig statt.
Im letzten Jahr hat die Nationalversammlung Vietnams 1,3 Millionen Beschwerden gegen unrechtmäßige Enteignungen gesammelt. In Myanmar stellt sich ein ähnliches Bild dar. Enteignungen und Proteste nehmen täglich zu und das in einem Staat, wo die Bevölkerung auf den Eigenanbau von Obst und Gemüse angewiesen ist. Der letzte Termin an diesem Tag fand mit Vertreter_innen des Ministeriums für Arbeit, Invaliden und Soziales und dem Ministerium zugehörigen Institut für Arbeit, Wissenschaft und Soziales statt. Neben den Vertreter_innen des Ministeriums und des Forschungsinstitutes nahmen auch zwei deutsche Expert_innen der GIZ und CIM an dem zweistündigen Gespräch teil. Die Vertreter_innen des Ministeriums führten aus, dass Vietnam seit 1993 nationale Programme zur Armutsminderung fährt und somit schon 20 Jahre Erfahrung auf diesem Feld existiert. Ging es anfänglich darum kurzfristigen Erfolg auf diesem Gebiet zu erzielen, hat sich die Wahrnehmung in den letzten Jahren verändert. Nicht mehr die Bekämpfung der akuten Armut steht auf der Zielliste, sondern die Schaffung nachhaltiger Strukturen, die ein Abrutschen in Armut verhindern. Ferner muss im 21. Jahrhundert der Begriff „Armut“ neu definiert werden. Da sich das Gesamtbild in Myanmar durch die jahrzehntelange Isolation deutlich schlechter darstellt, wird Myanmar sich um die Reduzierung akuter Armut bemühen müssen. Beide Seiten waren sich einig, dass Armut nicht nur in Regionen bekämpft werden kann, sondern ein nationales und umfangreiches Programm benötigt wird. Ein ganz entscheidender Faktor wird es sein, die Bildungssysteme in beiden Ländern zu verbessern, da eine starke Korrelation zwischen Armut und Ausbildungstand besteht. Einen schönen Ausklang fand dieser ereignisreiche Tag bei einem gemeinsamen Abendessen auf Einladung des Präsident des Institutes für legislative Studien (ILS) des Ständigen Ausschusses der Nationalversammlung Vietnams. In gemütlicher Atmosphäre verständigte man sich darauf, dass für kommenden August ein Besuch der vietnamesischen Partner nach Myanmar geplant wird.
Am Freitag standen zwei Gesprächstermine mit international arbeitenden Nicht-Regierungsorganisationen an. Am Vormittag wurde die Delegation von der Direktorin der NRO Action Aid empfangen. Action Aid arbeitet seit über 20 Jahren in Vietnam und war eine der ersten NROs die nach dem Ende der bipolaren Weltordnung in Vietnam ein Büro eröffneten. In den vergangenen Jahren hat sich die Arbeit von Action Aid verändert. Konzentrierte man sich anfänglich auf die Vergabe von Mikrokrediten, haben sich seit Vietnams Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) die Schwerpunkte verschoben. Für Vietnams Bevölkerung bedeutete der Beitritt zur WTO keine Verbesserung der Lebensverhältnisse. Das Gegenteil ist seit dem der Fall und die Armut, gerade in den Städten, steigt wieder an. Diese Gefahren lauern auch für ein globalisiertes Myanmar. Als letzter Gesprächstermin stand ein Besuch bei Brot für die Welt (BfdW) auf dem Programm. Das BfdW-Team begrüßte die burmesische Delegation in ihrem Büro und gab einen detaillierten und eindrucksvollen Einblick in ihre Arbeit. BfDW arbeitet in zwei besonders von Armut betroffenen Regionen Vietnams: den Bergregionen und dem Mekong Delta. Die Arbeit mit lokalen Partnerorganisationen ist elementarer Bestandteil der Arbeit von BfdW. Dabei fokussiert sich BfdW auf vier Hauptschwerpunkte: Hilfe im sanitären Bereich, Lebensmittelsicherung, häusliche Gewalt und HIV/AIDS-Aufklärung. Von burmesischer Seite wurde die Arbeit von BfdW sehr geschätzt und ein verstärktes Engagement in Myanmar würden sie zu schätzen wissen.
Zurück im RLS Büro erfolgte die Evaluierung der Informationsreise. Da es für einige Teilnehmer_innen die erste Auslandserfahrung bedeutete, waren die Eindrücke sehr ausgeprägt. Das Bild, das die Delegation von Vietnam aus burmesischen Zeitungen und Fernsehen übermittelt bekamen, spiegelte nicht die Erfahrungen der Gruppe vor Ort wieder. Neben der imposanten Dynamik, nicht nur auf den Straßen Hanois, hinterließen die vielen positiven Gespräche einen bleibenden Eindruck bei der burmesischen Delegation. Jedoch kritisierte die Gruppe auch die Menschenrechtslage in Vietnam und unterstrichen, dass Myanmar im Bereich der Wirtschaftsreformen zu Vietnam aufschaue, aber das Myanmar für Vietnam auch als Vorbild für politische und persönliche Freiheit dienen kann. Die Delegation war der Meinung, dass sie sehr von der Informationsreise profitiert habe und für die Zukunft mehr solcher Veranstaltungen zum interregionalen Dialog durchgeführt werden sollte. Nur wenn die Länder der Region die Sorgen und Nöte ihrer Nachbarn verstehen und teilen, kann sich die gesamte Region friedlich und prosperierend entwickeln.