Jan-Holger Kirsch und Achim Saupe interviewen Foschepoth in Zeitgeschichte-online, Juni 2013
,,Prof. Dr. Josef Foschepoth vom Historischen Seminar der Universität Freiburg hat eine vielbeachtete Studie veröffentlicht: „Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik“ . Die Monographie erschien im Herbst 2012 bei Vandenhoeck & Ruprecht und liegt inzwischen in 2. Auflage vor.http://www.zeitgeschichte-online.de/interview/je-tiefer-man-diesen-forschungsbereich-einsteigt-umso-groesser-wird-er#_ftn1 Dieses Buch kann den Blick auf die west- und die gesamtdeutsche Zeitgeschichte in mehrfacher Hinsicht verändern – wir wollten gern mehr darüber erfahren. Das Interview führten Jan-Holger Kirsch (JHK) und Achim Saupe (AS) am 9. April 2013 in der Humboldt-Universität zu Berlin.
-------------
JHK: Das enorme Ausmaß der millionenfachen Post- und Telefonüberwachung, das Sie in Ihrem Buch beschreiben, war bisher nicht bekannt. Im Grundgesetz wird das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis als „unverletzlich“ bezeichnet (Artikel 10). Am Beginn Ihrer Monographie sprechen Sie vom „Staunen“ darüber, welche Dokumente der Überwachung Sie in den Archiven dennoch gefunden haben. Vielleicht können Sie zum Einstieg kurz skizzieren, wie Sie auf das Thema gestoßen sind.
Foschepoth: Frei nach Aristoteles ist das Staunen darüber, dass die Dinge so sind, wie sie sind, der Anfang jeder wissenschaftlichen Erkenntnis. Bei meinen Forschungen kam mir dieser Satz immer wieder in den Sinn. Er bringt den Reiz wissenschaftlichen Arbeitens sehr schön auf den Punkt. Offenheit für die Dinge, wie sie sind, versetzt einen ins Staunen. Staunen erzeugt Fragen. Ohne neue Fragen keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse! In meinem Fall war das eine Akte im Bundesarchiv, die einen überraschenden Titel trug: „Postzensur“. Natürlich dachte ich gleich: „Aha, eine Akte über die Vorgänge in der DDR. Mal sehen, was die Bundesregierung darüber wusste.“ Umso größer war das Erstaunen, als die Akte das Protokoll einer Besprechung von Spitzenbeamten aus dem Bundeskanzleramt, Auswärtigen Amt, Postministerium, Finanzministerium und Ministerium für gesamtdeutsche Fragen enthielt. Die Beamten machten sich Gedanken darüber, wie mit der wachsenden Menge von Postsendungen aus der DDR umzugehen sei, die offenbar Propagandamaterial enthielt. Im Ergebnis sollte die Polizei „ohne Verursachung weiterer Kosten das angefallene Propagandamaterial an Ort und Stelle durch Verbrennung vernichten“.http://www.zeitgeschichte-online.de/interview/je-tiefer-man-diesen-forschungsbereich-einsteigt-umso-groesser-wird-er#_ftn2 Das war so klar und deutlich formuliert, dass es für mich der entscheidende Impuls war, mich mit der Frage der Postzensur, genauer der Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs in der Bundesrepublik, zu beschäftigen. So eröffnete sich ein neues Forschungsfeld, das mich immer wieder ins Staunen versetzte.
JHK: Sie haben rasch gemerkt, dass der Anfangsfund kein Einzelfall war?
Foschepoth: Richtig. Ich hatte immer geglaubt: „Jetzt liest du weiter, irgendwann muss die Geschichte doch zu Ende sein. Das könnte ein schönes Histörchen werden, vielleicht für einen kleinen Aufsatz oder so.“ Aber nein, es ging weiter und weiter: 1955, 1968, 1989 und 1990. Dann habe ich aufgehört – auch wenn es im Grunde eine unendliche Geschichte ist.
Die Überwachungsmaßnahmen umfassten eine Größenordnung, die man sich kaum vorstellen kann – und die vor allem mit dem Grundgesetz (GG) nicht vereinbar war. Schließlich heißt es in Artikel 10: „Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden.“http://www.zeitgeschichte-online.de/interview/je-tiefer-man-diesen-forschungsbereich-einsteigt-umso-groesser-wird-er#_ftn3