RAF - Terror im Südwesten“ heißt etwas reißerisch die Ausstellung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart, die noch bis zum 23. Februar 2014 zu sehen ist. Sie konnte in den ersten drei Monaten schon 20.000 Besucher_innen erreichen – und ist die erste historische Ausstellung zum Thema. Der gleichnamige Katalog war in der ersten Auflage bald ausverkauft. Er liegt nun in der zweiten vor und enthält neben vielen, in der Regel schwarz-weißen Fotos, inhaltliche Beiträge von Sabrina Müller und Rainer Schimpf, den beiden Kurator_innen der Ausstellung.
Anlass für die Ausstellung waren, so Thomas Schnabel, Leiter des Hauses der Geschichte, in seinem Vorwort, zwei Umstände. Zum einen, dass Taten nicht aufgeklärt, viele Täter nicht im Einzelnen bekannt seien – und zweitens dass den Opfern der Aktionen der RAF und deren Angehörigen damals fast keine und bis heute zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden sei.
Schaut man sich allerdings den Katalog an (und auch die anscheinend nach modernsten museumspädagogischen Prinzipien gestaltete Ausstellung, hier auf youtube ein kleiner Eindruck), so treten vielmehr andere Aspekte in den Vordergrund, vor allem die – im Titel der Ausstellung ja angeführte – regionale Betroffenheit des Landes Baden-Württemberg: Viele (führende) Angehörige der RAF, und viele Opfer stammen aus oder leb(t)en in Baden-Württemberg. Weiter haben viele juristische Organe ihren Sitz dort, und auch der berühmte sog. Stammheim-Prozess fand in diesem Bundesland statt.
Die elf Abschnitte des Kataloges sind um den Fokus des „Terrors“ gegliedert: Es geht um die Vorgeschichte der RAF-Protagonist_innen, dann um die Opfer und ihr Leben bis zur Gegenwart, um staatliche und individuelle Reaktionen. Dies wird für einen Ausstellungskatalog alles relativ detailliert ausgebreitet. So wird zum Beispiel das Leben des 1952 geborenen Christian Klar von der Provinz in Lörrach bis zum Einstieg ins RAF-Umfeld nachgezeichnet oder die Geschichte des Heidelberger Sozialistischen Patientenkollektives erzählt. Das Agieren von einzelnen „Liberalen“ wird gewürdigt: Der Stuttgarter Oberbürgermeisters Manfred Rommel ermöglicht den drei Stammheimer Toten, wie von ihnen gewünscht, ein gemeinsames Grab, oder Walter Scheel, der mit dem Satz „Wer Kritik am Staat hat, ist nicht automatisch Sympathisant“ zitiert wird. Ein Kapitel behandelt auch die verschiedenen Dialog-Initiativen von u.a. Antje Vollmer (1987) und die von Klaus Kinkel, die dann schlussendlich zur Einstellung der Kampfhandlungen der RAF im April 1992 und deren nachfolgendem innerem Zerfall führen. 1998 erklärt die RAF ihre Auflösung.
Insgesamt zeigt der Band, dass die Gesellschaft auf das Handeln einer kleinen, sehr entschlossenen Gruppe nicht vorbereitet war – und im und durch den Kampf gegen den „Terrorismus“ die gegenseitige Achtung vor dem politischen Gegner verlorenging. Real war der „Krieg“ der RAF einer um die Beherrschung der öffentliche Meinung, der sich schnell und ungewollt auf Bestrafungsaktionen gegen die Justiz und die Befreiung der Gefangenen verengte – und auf diesem militarisierten Terrain konnte die RAF nicht „gewinnen“.
Nicht zuletzt werfen die Ausstellung und der Band ein Licht auf den Umgang der Gesellschaft mit den Opfern dieser Konflikte. Die Hinterbliebenen der Aktionen der RAF erhoben ja erst in den letzten Jahren ihre Stimme. Nicht zu vergessen ist, dass sich zwischen 1970 und 1998, so die Zahlen im Buch, in der RAF kaum mehr als insgesamt 300 „Militante“ organisierten, die RAF 34 Morde verübte, davon acht an Polizisten, und selbst ungefähr 20 Tote, davon sieben durch Polizeikugeln, zu verzeichnen hatte. 25 Personen aus der RAF wurden zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.
Insgesamt ist das Buch in Anbetracht seines hochaufgeladenen Gegenstandes und seines institutionellen Entstehungskontextes vergleichsweise unaufgeregt und bietet auch chon informierten Leser_innen noch neues. Dass kaum über die Inhalte der RAF nicht berichtet wird, soll hier kein Kritikpunkt sein, oder ist vielleicht sogar besser so. Das Literaturverzeichnis ist allerdings miserabel. So fehlt zum Beispiel das wichtige Buch „Nach dem bewaffneten Kampf. Ehemalige Mitglieder der RAF und Bewegung 2. Juni sprechen mit Therapeuten über ihre Vergangenheit“ aus 2007; und auch „wir haben mehr fragen als antworten...“ das zweite Buch der Edition ID-Archiv, das 1995 erschien und (damals) wichtige Texte aus der Zeit 1992 bis 1994 im Nachgang zur Auflösungserklärung dokumentiert (u.a. hier als PDF).
RAF - Terror im Südwesten, Vorwort von Thomas Schnabel, Verlag Haus der Geschichte Baden-Württemberg, ISBN 978-3-933726-45-2; 158 S., 19,90 EUR
Umfangreiche Website zur Ausstellung: http://www.raf-ausstellung.de/, u.a. mit der umfangreichen Presseresonanz anlässlich der Eröffnung im Juni 2013 und interaktiven Elementen.
Lehrerhandreichung zur RAF-Ausstellung, 82 Seiten, open access (PDF)
http://www.rafinfo.de umfangreiche Seite zur RAF (wird seit Herbst 2009 nicht mehr aktualisiert)
Liste weiterer Links mit Webressourcen zur RAF (auf wikipedia)
Dossier zur RAF (mit Chronologie), bei der Bundeszentrale für politische Bildung