News | GK Geschichte Als die Kunden noch „Nutzer“ waren. Zur Geschichte des linken Buchhandels

Vortrag von Uwe Sonnenberg am 26. September 2013 in der Geschichtswerkstatt Eimsbüttel in Hamburg

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Bernd Hüttner,

Auf Einladung der Geschichtswerkstatt Eimsbüttel/ Galerie Morgenland referierte Uwe Sonnenberg in deren Reihe „Studentenbewegung und Folgen“ über seine kurz vor dem Abschluss stehende Dissertation zur Geschichte des linken Buchhandels im Westdeutschland der 1970er Jahre.http://www.zzf-pdm.de/site/622/default.aspx

Sonnenberg, der auch Promotionsstipendiat der Rosa Luxemburg Stiftung war, spannte zu Beginn einen weiten historischen Bogen. Den Zeitpunkt, ab dem von einem „linken Buchhandel“ gesprochen werden könne, setzte er auf den Zeitraum um 1870 an. 1881 wurde etwa der Dietz Verlag gegründet. Diese Buchhandlungen standen im engen Bezug, wenn nicht im Eigentum einer Partei, zuerst der SPD, dann der KPD bzw. der SPD. Nach 1945 ist die der Weimarer Zeit Vorbild für den Neuaufbau des Buchhandels in Ost und West.

1969 gründet sich eine Arbeitsgemeinschaft der der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) nahestehenden Buchläden, die wiederum enge Verbindung zu den einschlägigen Verlagen (Pahl Rugenstein, Marxistische Blätter, Röderberg, etc) haben. Dieser „Arbeitsgemeinschaft sozialistischer und demokratischer Verleger und Buchhändler“ werden in den 1970er Jahren über 37 Buchhandlungen (der sogenannten collectiv-Kette) angehören.

Im Nachklang zu „1968“ entfaltet sich dann ein parteiunabhängiger „Bewegungsbuchhandel“, der teilweise aus Mensa-Büchertischen entsteht, die sich zunächst meist über Raubdrucke finanziert hatte. Gleichwohl gibt es vor 1968 schon „linke“ Verlage: Beispiele sind TRIKONT in München, neue kritik in Frankfurt und Karin Kramer (offiziell gegründet 1970) und der Oberbaum-Verlag in Westberlin. Mit den linken Buchläden, in denen per Definition sich als links verstehende Akteur_innen linke Literatur zur Verfügung stellen, wollen jene auch dem „Linksgewinnlertum“ entgegentreten, das sich auch bei etablierten Verlagen gezeigt habe, die den lukrativen „Markt für Marx“ mittlerweile aktiv zu bedienen begannen.

Am Rande der Frankfurter Buchmesse wird 1970 von 19 Buchläden der Verband linker Buchhändler (VLB) gegründet. Ein Jahr später, im Herbst 1971, sind bereits 80 Projekte mit dabei, auch Verlage und Buchvertriebe. Einig sind sie sich vor allem in der Ablehnung (des Reformismus und Revisionismus ) von DKP und SPD. Darüber ob und inwieweit man sich unter die Kontrolle einer politischen Organisation stellt, kommt es bald zu internen Differenzen. Ein Großteil der auf maoistische Weise parteifixierten Buchhandlungen und Verlage verlassen 1972/73 den VLB. Anfang der 1970er Jahre werden aus dem Entmischungsprozess der Studierendenbewegung von 1968 weitere linke Verlage gegründet: Roter Stern, Olle und Wolter, VSA, Merve.

Im VLB gewinnen nun die sogenannten Spontis die politisch-kulturelle Hegemonie, auf dessen Einkaufstüten ist nun nicht mehr Karl Marx, sondern ein subversiver Maulwurf abgebildet. Sonnenberg schätzt, dass in den 1970er Jahren mindestens 150 Projekte mit dem VLB assoziiert waren. 1981 sind auf der schon erwähnten Tüte sogar 131 Adressen von Buchhandlungen abgedruckt. Aus einer Reihe von Gründen, von denen Differenzen im Umgang mit den Geschlechterwidersprüchen und im Verhältnis zum bewaffneten Kampf nur zwei sind, gerät der VLB ab 1977 in eine Krise. 1978 und 1979 findet nur noch ein jährliches Treffen statt, 1980 dann in Westberlin das letzte…. der VLB war sanft entschlafen.

Sonnenberg ging im letzten Teil seines spannenden, eher struktur- und organisationsgeschichtlich angelegten Referates noch auf die lokale Hamburger Bewegungsgeschichte ein. Just im Mai 1968 wurde der spartacus Buchladen gegründet. Dieser war aber nicht erste in der Bundesrepublik. Interessanterweise waren in der baden-württembergischen Provinz (in Heidelberg und Freiburg) schon kurz vorher linke Buchhandlungen etabliert worden. Aus dem Spartakus Buchladen entsteht dann durch eine Abspaltung der dem Kommunistischen Bund (KB) nahestehende Buchladen „Arbeiterbuch“, der ab 1981/1982 unter dem Namen „Gegenwind“ firmiert. Der Spartakus Vertrieb wiederum beteiligt sich 1971 auch an der Gründung des Manifest Buchladens.

In der Diskussion spielten Fragen nach der Bedeutung von linken Zeitschriften (für die linke Szene, für die Verlage und für die Buchläden) und die nach der lebensweltlichen Bedeutung der Buchhandlungen eine Rolle.

Die große Wichtigkeit der im VLB und andernorts geführten Debatte um das Selbstverständnis der linken Buchläden wurde von Sonnenberg nur gestreift. Es ist zu hoffen, dass die Debatte darum, ob die Buchläden in erster Linie Mittel zum politisch gesetzten Zweck oder Ort der Einkommenssicherung der in ihnen arbeitenden sind, die ja in den 1970er und 1980 teilweise zentrifugale Kraft entfaltete, in der Dissertation dann genauer nachskizziert werden kann. Die in den 1980ern in allen „Alternativprojekten“ geführte Debatte um „Professionalisierung“ liegt ja wiederum quer zu dieser Frage - und allein zeitlich gesehen „nach dem VLB“. Die vielfältige Diffusion und Transformation der Milieus, die die Buchläden trugen, in der Diskussion ebenfalls kurz angesprochen, wäre ein weiteres Desiderat der Forschung. Dazu wird dann hoffentlich in der Buchpublikation der Dissertation von Sonnenberg ebenfalls viel Neues zu lesen sein….

 

Bernd Hüttner

 

Literatur

Arndt Neumann: Kleine geile Firmen. Alternativprojekte zwischen Revolte und Management, Hamburg 2008 (mehr)

Adelheid von Saldern: „Markt für Marx. Literaturbetrieb und Lesebewegungen in der Bundesrepublik in den Sechziger- und Siebzigerjahren“, in: Archiv für Sozialgeschichte, Heft 44/2004, S. 149-180 (PDF)

Uwe Sonnenberg: Agitation und Aufklärung – Zur Geschichte linker Buchläden seit „1968“, in: Marcel Bois und Bernd Hüttner (Hg.): Beiträge zur Geschichte einer pluralen Linken, Heft 2: Theorien und Bewegungen nach 1968, Berlin 2010, S. 16-19.

Ders.: Marginalien? Drei Blicke auf den westdeutschen linken Buchhandel (VLB) und die DDR in den 1970er-Jahren, in: Deutschland Archiv 3 (2012), S. 484-493 (online)

 

Die Ankündigung der Veranstaltung

Spartakus, Manifest und Association - die neue Kritik

Zur Geschichte des linken Buchhandels in Westdeutschland

 

Die Revolten der 1968er Jahre setzten auch im westdeutschen Buchhandel eine breite sozialistische Bewegung in Gang. In der gesamten Bundesrepublik wurden linke Verlage und Buchläden gegründet. In Hamburg-Eimsbüttel florierten diese Projekte inmitten des Universitätsviertels. Viele von ihnen waren in einem Verband des linken Buchhandels (VLB) organisiert. Uwe Sonnenberg ordnet die Entwicklung des VLB in die Geschichte der westdeutschen politischen Linken ein und wird über eines ihrer wenigen bundesweit funktionierenden Netzwerke der 1970er Jahre berichteten.

 

 

Zum Autor

Bernd Hüttner, geboren 1966, ist Referent für Zeitgeschichte der RLS. Er betrat Anfang 1983 zum ersten Mal einen linken Buchladen, ein Ereignis, das ihn bis heute geprägt hat. Diesen Buchladen gibt es noch heute, seine Veränderung ist auf seiner Website nachzuvollziehen.