News | Geschichte - Parteien- / Bewegungsgeschichte - GK Geschichte Kämpfende Kumpel

Mit Ausständen im Bergbau begann vor 65 Jahren der Generalstreik in der amerikanischen und britischen Besatzungszone. Er blieb der einzige in der Geschichte der Bundesrepublik. Von Jörg Rösler.

Am Abend des 11. November 1948 schauten die Linken auf das Ruhrgebiet, von den Mitgliedern des Bizonen-Gewerkschaftsrats, der am Tag zuvor zum Generalstreik aufgerufen hatten, bis zu Angehörigen der KPD, die in Nordrhein-Westfallen zahlreicher als in anderen Ländern der Bizone waren. Nach Schichtwechsel um 22 Uhr sollten die Bergarbeiter dort mit der Arbeitsniederlegung beginnen. Die Kumpel hielten sich an den Streikbeschluss ihrer Gewerkschaften. Nicht nur sie. Von 3.000 Betrieben standen in Nordrhein-Westfalen 2.100 vollständig still. Nur in 300 Betriebe wurde regulär gearbeitet. Im Durchschnitt lag die Streikbeteiligung bei 80 Prozent. In den übrigen zur Bizone gehörigen Ländern (in der Französischen Besatzungszone war er verboten worden) wurde der Aufruf zum Generalstreik ebenfalls im hohen Maße befolgt. Die Gewerkschaften berichteten von 9,25  Millionen Teilnehmern am Ausstand. Bezogen auf die 11,7 Millionen Beschäftigten in der Bizone ergab das eine Streikbeteiligung von 79 Prozent.

Der Streik vom 12. November 1948 war der größte, seitdem die deutschen Gewerkschaften im März 1920 zum Generalstreik aufgerufen hatten, um dem Kappputsch ein Ende zu setzen. Es war wie jener ein politischer Streik besonderer Art mit stark wirtschafts- und sozialpolitischen Akzenten. Die Gewerkschaften wollten die Wirtschaftsentwicklung nicht, wie Erhard anlässlich der Währungsreform für die Westzonen knapp vier Monate zuvor verkündet hatte, allein den Marktgesetzen überlassen. Hatte doch die Preisfreigabe für fast alle Waren, Lebensmittel eingeschlossen, zu außerordentlichen Preissteigerungen geführt, dem kein Zugewinn beim Lohn gegenüber stand. Die Grundstoffindustrie und die Banken, hieß es weiter im Streikaufruf, sollten in Gemeineigentum überführt, die Wirtschaft demokratisiert, d.h. die Mitbestimmung der Belegschaften in den Betrieben und „allen Organen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung“ gesetzlich verankert werden.

Diese auf grundsätzliche Veränderungen im Wirtschaftssystem hinzielenden Forderungen waren im Aufruf mit anderen verknüpft, die sich gegen die Teuerung richteten. Im Streikaufruf forderten die Gewerkschaften zur Absicherung des Grundbedarfs bei einigen in der Kriegs- bzw. Nachkriegszeit schwer erschwinglichen Gütern wie Textilien und Schuhen ein als „Jedermann-Programm“ bezeichnetes ausreichendes Konsumgüterangebot zu niedrigen Festpreisen zu schaffen.

Gegen den Generalstreikbeschluss hetzten die Medien. Die Frankfurter „Abendpost“ verkündete: „Es besteht der dringende Verdacht, dass die Gewerkschaften infolge ihrer einseitigen kommunistisch-marxistischen Durchdringung … dazu übergehen, die Demokratie zu bekämpfen.“ Am Tage vor dem Streik verteilte die CDU-Landesorganisation Hamburg rund 250.000 Flugblätter, in denen die Arbeiter aufgefordert wurden, „den Streikparolen nicht zu folgen.“

Hatte der Generalstreik die von den Organisatoren und Teilnehmern gewünschten Folgen? Bei Erhards Zurückweisung aller auf die Umgestaltung des Wirtschaftssystems zielenden Forderungen blieb es. Wohl aber war er im Bereich der Versorgung zu Konzessionen, ja auch zum Verzicht auf „Marktfreiheit“ der Unternehmer in bestimmten Bereichen bereit. Das „Jedermann- Programm“ wurde, wie es im Streikaufruf von den Gewerkschaften gefordert worden war, ausgeweitet. Es umfasste ab Dezember 1948 70 bis 80 Prozent des Angebots von Textilien, bei Schuhen waren es 60 Prozent. Die werktätigen Schichten buchten dies als Erfolg ihres Streiks. Die Gewerkschaftsführer wie auch die KPD waren enttäuscht: Ihre weiter reichenden Forderungen hatten sie nicht durchsetzen können.

Der Gewerkschaftsrat der Westzonen – der DGB wurde erst 1949 gegründet – hatte sich zum Generalstreik erst nach längerem Zögern und nach internen Auseinandersetzungen entschlossen. Aufrufe aus Reihen der Gewerkschaftsführung, Läden bzw. Stände auf Straßenmärkten, die besonders hohe Preise verlangten, zu boykottieren und so die Preistreiber auf die Knie zu zwingen, hatten sich angesichts der noch immer andauernden Ernährungsmisere als weltfremd erwiesen. Es half auch nicht viel, dass sich Hausfrauen über erhöhte Preise spontan Luft machten, in dem sie, wie z. B. beim „Eierkrieg“ auf dem Münchener Viktualienmarkt, Stände umstürzten. Gegen die Preistreiber gab es im September und Oktober 1948 zahlreiche spontane Protestaktionen vor den Rathäusern und von örtlichen Gewerkschaftsführern organisierte Protestkundgebungen, an denen Massen – in Stuttgart am 28. Oktober z.B. 30.000 Beschäftigte aus den umliegenden Großbetrieben – teilnahmen.

Im Gewerkschaftsrat mehrten sich die Stimmen derjenigen, die gegen die Preistreiberei zentral organisierte Gegenmaßnahmen forderten. Es bestehe die Gefahr – argumentierten sie –- dass die Protestaktionen außer Kontrolle gerieten wie in Stuttgart, als in der Hauptgeschäftsstraße Läden, die durch besonders hohe Preise auffielen, gestürmt worden waren. Oder dass der Einfluss der Kommunisten, die im Ruhrgebiet besonders stark waren und die zusätzlich Lohnerhöhungen forderten, in den Gewerkschaftsorganisationen rasch zunehmen würde. Zudem fühlte man sich im Gewerkschaftsrat durch Erhard provoziert, der dessen Mitglieder in seinen Radioansprachen als „Bonzokratie“ beschimpfte. Am 10. November, als der Wirtschaftsrat, die Wirtschaftsregierung der Bizone, Erhard als seinen Direktor ausdrücklich im Amt bestätigte und gleichzeitig das 10-Punkte-Programm der Gewerkschaften verwarf, fasste der Gewerkschaftsrat den Generalstreikbeschluss für den 12. November. Es sollte sich um eine auf zwei Tage befristete Demonstration des Gewerkschaftswillens, um einen „Demonstrationsstreik“ handeln.

Bereits einige Tage zuvor hatten sich die Besatzungsmächte eingemischt. Die französische verbot für ihre Zone eine „Willenskundgebung“ der Gewerkschaften von vornherein. Die Vertreter der britischen und amerikanischen Militärregierung machten Auflagen: Der Streik müsse auf einen Tag beschränkt bleiben. Die Arbeitsniederlegungen dürften nicht von Kundgebungen und Demonstrationen begleitet sein, nicht einmal Streikposten an den Betriebstoren wurden erlaubt. Man merkte den Militärs an, dass sie eine Wiederholung der „Stuttgarter Vorfälle“ unbedingt verhindern wollten.

Hatte der Generalstreik die von den Organisatoren und Teilnehmern gewünschten Folgen? Bei Erhards Zurückweisung aller auf die Umgestaltung des Wirtschaftssystems zielenden Forderungen im 10-Punkte-Programm der Gewerkschaften blieb es. Wohl aber war er – unter dem Druck des cleveren Politikers Konrad Adenauer – im Bereich der Versorgung zu Konzessionen, ja auch zum Verzicht auf „Marktfreiheit“ der Unternehmer in bestimmten Bereichen bereit. Das „Jedermann- Programm“ wurde, wie es im Streikaufruf von den Gewerkschaften gefordert worden war, ausgeweitet. Es umfasste ab Dezember 1948 70 bis 80 Prozent des Angebots von Textilien, bei Schuhen waren es 60 Prozent. Im seinem Rahmen wurden im IV. Quartal 1948 u.a. 250.000 Schlosseranzüge, 500.000 Meter Schürzenstoffe und 100.000 Kindermäntel bereit gestellt. Die werktätigen Schichten buchten dies als Erfolg ihres Streiks, ebenso wie das etwas später verkündete „Konsumbrotprogramm“, das die Regierung ermächtigte, den „Preis für Mehl, Brot und Kleingebäck“ festzulegen, „soweit dies zur Sicherung der Brotversorgung der Bevölkerung oder eines volkwirtschaftlich gerechtfertigten Brotpreises erforderlich ist.“ Dieses Brot gab es bis Anfang 1953. Mit der auf diese und ähnliche Zugeständnisse an den Lebensstandard der Werktätigen bezogenen Losung der „sozialen Marktwirtschaft“ gewann die CDU im August 1949 (knapp) die Wahlen zum ersten Bundestag.

 

Prof. Dr. Jörg Roesler

Prof. Dr. Roesler, geb. 1940, ist Mitglied der Rosa Luxemburg Stiftung.