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Interview mit Aktivistin Marielle Palau von der NGO Base-IS über den Kampf gegen die Agrarindustrie in Paraguay.

Palau vom RLS-Projektpartner Base-IS setzt sich in Paraguay für Landreformen und gegen den Anbau von Gensoja ein. Jüngst besuchte sie die Agrarkommune Bienenwerder und den Hof Apfeltraum in Brandenburg.

Marielle, du bist gemeinsam mit einer weiteren Projektpartnerin aus Argentinien im Dezember in Berlin und Brandenburg gewesen und hast dich mit Organisationen und Menschen hier vor Ort zu dem Thema Agrarindustrie und Bergbau ausgetauscht.

Was hast du von dem Austausch mit Aktivist_innen dieser Region mitgenommen?

Insgesamt wissen wir viel über die Auswirkungen der Agrarindustrie weltweit, gerade was die Konzentration des Reichtums auf immer weniger internationale Multis anbetrifft oder auch die Gesundheitsschäden, verursacht von der Nahrungsindustrie. Aber wir wissen wenig von dem Widerstand gegen dieses Modell, vor allem in Europa. In diesem Sinne war es unheimlich bereichernd die Erfahrungen der beiden agrarökologischen Initiativen kennenzulernen, die wir besuchen konnten, die Agrarkommune Bienenwerder und den Hof Apfeltraum.

Zu erfahren, dass in einem der «entwickelsten und reichsten» Länder Europas die Menschen ähnliche Probleme haben wie die im Süden war wirklich sehr interessant. Ich meine dabei Probleme des Landbesitzes und der Landnutzung im Rahmen einer Politik des Landgrabbing. Das auch in diesem Land Glyphosat Wälder vergiftet, und es Tagebau mit all dem was dazugehört gibt. Und das Wichtigste, dass es Widerstand gegen dieses hegemonische Modell gibt und Solidarität mit den Menschen im Süden.

Konntest du Gemeinsamkeiten feststellen zwischen der Vernetzung und dem Widerstand in Paraguay und Deutschland?

Eine wichtige Gemeinsamkeit ist die Kritik an diesem globalen Kapitalismus, der absolut alles als Ware betrachtet. Eine Kritik, die weit mehr als theoretisch ist und sich in neuen Lebens- und Widerstandsformen konkretisiert. So teilen wir Erfahrungen mit der agrarökologischen Produktion. Sie entstehen in kleinen Gruppen und Kollektiven die trotz Restriktionen, sich langsam ausbreiten und das Bewusstsein auch in der städtischen Bevölkerung verändern. Die Kämpfe selbst und der Widerstand haben andere Formen in Lateinamerika, aber sie zielen auf dasselbe ab.

Solidarität mit den Menschen im Süden zu erfahren war sehr bereichernd und ist etwas, was wir stärken sollten. Ein Großteil der gentechnischen Sojaproduktion in Paraguay ist für den europäischen Markt bestimmt, auch für Deutschland. Gemeinsame Aktionen von Organisationen beider Länder durchzuführen, ist eine spannende Herausforderung. Ein großartiger Erfolg wäre es, wenn wir eine gemeinsame Kampagne für den Boykott von Gensoja starten könnten.

Eine weitere Gemeinsamkeit sind die neoliberalen Regierungen, die sich völlig den Interessen des Kapitals unterworfen haben und die Begrenztheiten der linken Politik ein neues Modell zu entwerfen, jenseits des klassischen Entwicklungskonzeptes.

Was hat dich besonders überrascht?

Die größte Überraschung war es all die Gemeinsamkeiten zu erkennen, trotz der Unterschiede unserer Länder und die Bereitschaft solidarisch zu arbeiten.

Kannst du uns in wenigen Worten sagen, worin sich euer Kampf in Paraguay konzentriert?

In Paraguay gibt es zwei zentrale Probleme. Das eine ist die hohe Landkonzentration, da 85 Prozent des Bodens in Händen von 2,5 Prozent der Besitzenden sind. Die jetzige Regierung zeigt keinerlei Bereitschaft die Landreform anzugehen. Im Gegenteil: das ganze Land steht praktisch zum Verkauf. Hier liegt der wichtigste historische Kampf der Bauernbewegung.

Das andere ist die Agrarindustrie. Über 85 Prozent des bewirtschafteten Landes sind mit gentechnisch verändertem Soja bedeckt, wofür mehr als 30 Millionen Liter Gift jährlich vergossen werden. Der Kampf der letzten Monate richtet sich in erster Linie gegen das Versprühen des Giftes, das im Wissen der Polizei illegal geschieht.

Da die Aktionen auch immer wieder Erfolg haben, wurde jetzt eine große Repressionswelle losgetreten. Momentan laufen mehr als hundert Verfahren gegen Bauernaktivist_innen. Am 1. Februar wurde Nery Benítez ermordet von der nationalen Bauernvereinigung (Federación Nacional Campesina), eine der wichtigsten Organisationen. Nery hatte am Vortag seiner Ermordung gegen das Versprühen von Gift protestiert.

Für die nächsten Monate sind wichtige Proteste angekündigt, für März ein Generalstreik und diverse Arbeitsniederlegungen unter dem Motto die neoliberale Politik der aktuellen Regierung zu stoppen.

Und was habt Ihr konkret für Erfolge in der letzten Zeit gehabt bei eurem Protest gegen die Agrarindustrie und extraktivistische Großprojekte, in diesem Kampf zwischen David und Goliath?

Bis vor kurzem wurde das agrarindustrielle Modell als ein ausschließlich ländliches Problem wahrgenommen, ein Problem der bäuerlichen Gemeinden und der ländlichen indigenen Bevölkerung. Das hat sich mittlerweile geändert. Auch die städtische Bevölkerung hinterfragt nun dieses Modell und die Art der täglichen Ernährung, vor allem aufgrund der gesundheitlichen Folgen.

Die Kampane «Ñamoseke Monsanto» (Monsanto raus, auf Guaraní), die von Bauern- und städtischen Organisationen getragen wird, ist stärker geworden und hat die Kritik am vorherrschenden Entwicklungsmodell in den Mittelpunkt gestellt.

Vielen Dank Marielle!

Das Interview führte Verona Wunderlich, Projektmanagerin Lateinamerika im Januar 2014 per Email.