„1900-1914 - Expedition ins Glück“ nimmt die kulturellen Entwicklungen in den Jahren vor 1914 in den Blick, den Umbruch und die damit einhergehende Überforderung. Das großformatige Buch ist die Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung im Schweizerischen Nationalmuseum in Zürich.
Freuds Werk über die Traumdeutung wird zwar 1899 gedruckt, Freud hat es aber auf 1900 vordatieren lassen. 1900 findet die Weltausstellung in Paris statt und läutet ein neues Jahrhundert ein. 1901 bekommt Henri Dunant, der Begründer des Roten Kreuzes, den erstmals vergebenen Friedensnobelpreis, 1905 bekommt ihn Bertha von Suttner. Erfindungen und Entdeckungen beschleunigen den Gang der Ereignisse enorm, zumindest kommt es den Menschen so vor. Aber welche Prozesse sind nun vorherrschend: Die Beschleunigung, die Machbarkeit, Wohlstand und die Zuversicht in Zukunft, Wissenschaft und Demokratie? Oder doch Angst und Schwindel, die durch Psychoanalyse und Physik (Einstein!) ausgelöste Debatte darüber, dass der Mensch nicht (mehr) Herr seines Schicksals und in gewisser Weise entthront ist. Gleichzeitig verändert sich die Ökonomie gewaltig, gibt es bereits erste Formen von globalisierten Märkten; die durch Landflucht in die schnell wachsenden Städte kommenden Menschen müssen sich dort zurechtfinden und vergesellschaften.
Künstlerische Avantgarden wie Expressionismus oder Dadaismus, aber auch die Anthroposophie und andere Reformbewegungen versuchen diese Spannung am Beginn des nervösen Zeitalters zu bearbeiten. Im April 1912 sinkt schließlich die Titanic im Nordatlantik. Geht 1914 also eine Ära der Demokratie, der Erfindungen und der Avantgarde in der Kunst zu Ende oder war Verunsicherung das prägnante Merkmal in der noch weitgehend von Militarismus und Monarchie geprägten deutschen Gesellschaft?
„1900-1914 - Expedition ins Glück“ gibt darauf keine eindeutige Antwort, ja im Vorwort von Andreas Spillmann und im ersten Artikel (aus dem Buch „Der taumelnde Kontinent“ von Philipp Blom 2009) sogar eine konträre. Mit seinen Wortspielen, seinen vielen Illustrationen (einige Eindrücke hier), den Ausrissen aus literarischen Werken von Mann, Musil, Mühsam, Kafka und anderen, mit Fragmenten von Hobsbawm, Freud, Benjamin zeichnet es aber ein Panorama dieser Jahre. Die Texte sind, gerade in ihrer Kombination und Vielfalt, aber nicht immer ganz einfach zugänglich.
Den Schluss des hochwertig ausgestatten Bandes bildet eine umfangreiche Chronik „Wichtiger Ereignissen aus Politik, Kultur und Wissenschaft 1900-1914“. Die Ausstellung ist in Zürich noch bis 13. Juli 2014 zu sehen.
Juri Steiner, Stefan Zweifel (Hrsg.): 1900-1914 - Expedition ins Glück, mit 169 farbigen und 99 s-w Abbildungen; Verlag Scheidegger & Spies, Zürich 2014, 208 S., 38 EUR