Das kurze aber bewegte Leben Rosa Luxemburgs war geprägt vom Gedanken der Emanzipation. Die Verbindung von politischer und sozialer Freiheit mit Gleichheit war für Rosa Luxemburg ein wichtiger Bestandteil des Sozialismus. Theoretisch und praktisch involviert in sozialistischer Politik, blickte sie aber auch stets kritisch auf die Geschehnisse ihrer Zeit. So sprach sich Rosa Luxemburg für eine Revolution und Überwindung des Kapitalismus aus, lehnte dabei das Mittel des Terrors aber entschieden ab: Eine emanzipatorische Revolution müsse von breiten Massen getragen werden. Die historischen Entwicklungen im frühen 20. Jahrhundert bestärkten sie in der Annahme, dass sich durch individuellen Terror nur weiterer Staatsterror legitimiere, aber auch dass der kollektive Terror in einer Revolution nur dazu führe, dass eine kleine Gruppe von Revolutionären die Macht übernehme und damit die Revolution die Unterstützung durch die Massen verliere. Die Bolschewiki unter Lenin werden von Rosa Luxemburg in ihrer Schrift „Zur russischen Revolution“ als genau diese Machtgruppe beschrieben. Rosa Luxemburg lehnte deren Terror politisch, nicht nur moralisch ab: Die Herrschaft einer Minderheit durch Terror könne nie zum Sozialismus führen. Für Rosa Luxemburg beinhaltet ein Sozialismus Freiheit – und diese „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ (Luxemburg 1918). Anstelle des Terrors müsse vielmehr die Mehrheit wissen, was sie ablehne, aber eben auch, was sie will. Genau dafür bedarf es nach Luxemburg einer zweiten Aufklärung.
Die Auseinandersetzung mit Rosa Luxemburgs Gedanken zu Revolution und Terror, aber auch mit ihren historischen Erfahrungen, war das Thema des Rosa-Luxemburg-Seminars, das am 9. April 2014 an der Arab American University in Jenin und am 10. April 2014 an der Birzeit University in der Nähe von Ramallah stattfand. Eingeleitet wurde diese Veranstaltung durch die Performance einer Theatergruppe junger palästinensischer SchauspielerInnen, die auf kreative Weise zentrale Punkte des Lebens und der Person Rosa Luxemburg vermittelten. Daran anschließend referierte der Luxemburg-Experte Dr. Jörn Schütrumpf vom Dietz Verlag in Berlin zu Ideen und Gedanken von Rosa Luxemburg, welche dann von palästinensischen ProfessorInnen kontextualisiert wurden.
Das Interesse an dieser Thematik war groß und viele Studierende und Lehrende besuchten die Veranstaltung. Die vorgestellten Gedanken Rosa Luxemburgs riefen in der anschließenden Diskussion viele Fragen und Kommentare hervor. So wurde beispielsweise die Rolle von Gewalt und Terror in revolutionären Prozessen angesprochen, aber auch die Schaffung eines revolutionären Bewusstseins. Wie könne man etwa effektiv gegen eine Diktatur vorgehen und diese umstürzen? Brauche es direkte Gewalt oder aber Aufklärung zur Herausbildung eines revolutionären Bewusstseins? Konkret wurden in der Debatte auch Entwicklungen in Lateinamerika sowie die momentanen Geschehnisse in der MENA-Region aufgegriffen. So könne man etwa mit den Ansätzen Rosa Luxemburgs die aktuellen Entwicklungen in Ägypten analysieren und sehen, dass dort nach dem Umsturz einer Diktatur durch Massenproteste, diese Massen ihre Macht an kleine Gruppen verloren haben – seien es religiöse Gruppen oder aber das Militär. Neben diesen Fragen wurde auch über die Person Rosa Luxemburg, ihr emanzipatorisches Leben, ihr revolutionäres Potential sowie ihre Position zur Frauenfrage diskutiert.
Mit dem Rosa-Luxemburg-Seminar wurden Gedanken und Ansätze von Rosa Luxemburg angesprochen und zu einer Auseinandersetzung mit ihrem Werk angeregt. Dr. Jörn Schütrumpf arbeitet gegenwärtig an einem arabisch-sprachigen Sammelband ausgewählter Texte Rosa Luxemburgs, der im nächsten Jahr veröffentlicht und in Zusammenarbeit mit dem Palästina-Büro der Rosa Luxemburg Stiftung in den Palästinensischen Gebieten vorgestellt und diskutiert werden soll. Dieser Band wird unter anderem Schriften Rosa Luxemburgs zur Sozialdemokratie, zu Karl Marx, zur Akkumulationstheorie sowie das Werk „Zur Russischen Revolution“ enthalten. Damit soll die Rezeption der Ideen Rosa Luxemburgs in Palästina weiter unterstützt werden. Letztendlich kann Rosa Luxemburg aber, wie Dr. Jörn Schütrumpf in seinem Abschlussstatement festhielt, nicht als Problemlöserin angesehen werden. Durch ihre Analysen und ihr Querdenken kann sie wichtige Anregungen geben, konkrete Antworten auf aktuelle Fragen können jedoch nur von den Menschen vor Ort gefunden werden.
Zum Autor:
Christian Sowa hat einen B.A. in Politikwissenschaft. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Politische Theorie und Politik des Nahen Ostens. Zurzeit ist er Praktikant im Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Ramallah.