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ANALYSE Die Rolle der Europäischen Zentralbank in der Finanzkrise

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Wim Zimmer,

Seit die Europäische Zentralbank (EZB) im Jahr 2012 erklärte, notfalls die Staatsanleihen kriselnder Eurostaaten aufzukaufen, hat sich die Lage der europäischen Staatsfinanzen beruhigt. Doch vor allem aus Deutschland kommt Kritik an der Maßnahme. Was steckt hinter dem Streit um die EZB?

Die Eurokrise ist vorüber, heißt es. Stimmt das? Nicht ganz. 20 Millionen offiziell Arbeitslose gibt es in der Eurozone, insbesondere in Südeuropa nimmt die Armut weiter zu, ebenso die Staatsschulden. «Vorbei» ist die Krise nur in einem Sinne: Die Zinsen für Staatsanleihen sind gesunken. Länder wie Spanien können wieder Kredite aufnehmen und sind nicht akut von Pleite bedroht. Dieser Erfolg ist nicht das Verdienst der harten Spar- und Kürzungspolitik, sondern der EZB. Gegen ihre Politik wird in Deutschland jedoch geklagt. Der Fall liegt nun vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Er zeigt exemplarisch den Widerspruch des gesamten Euro-Konstrukts. Dieser Widerspruch lebt weiter – und kann jederzeit in eine neue Krise führen.

Ein Blick zurück: Nach dem Schuldenerlass für Griechenland 2011 flammte die Eurokrise erneut auf und griff auf Spanien über. Sie verlangten höhere Risikoprämien für Kredite an Madrid. Die spanische Regierung musste für frisches Geld immer mehr Zinsen bezahlen – was sie aus Sicht der Finanzanleger noch weniger kreditwürdig machte. So stiegen die Zinsen weiter, ein sich selbst verstärkender Zirkel. Zwar gab es inzwischen den Euro-Rettungsschirm ESM, von dem sich Madrid zur Not Geld hätte leihen können. In diesem Falle allerdings wären die Mittel des ESM weitgehend ausgeschöpft gewesen. Ein Land wie Italien mit knapp 2.000 Milliarden Euro Staatsschulden hätte er nicht mehr stützen können. Deshalb ereilte das «Misstrauen der Märkte» Rom, die Zinsen stiegen auch für Italien. Es drohte die Pleite des Landes und damit das Auseinanderbrechen der Eurozone. Dann griff die EZB ein. Am 26. Juli 2012 sprach ihr Chef Mario Draghi die magischen Worte: «Wir werden alles tun, um den Euro als stabile Währung zu erhalten – und glauben Sie mir, es wird genug sein.» Die Folge: Die Zinsen sanken, die Eurokrise war vorerst beendet.

Draghi hatte den Anlegern ein großes Versprechen gegeben: Im Notfall kauft die EZB Staatsanleihen von Euro-Krisenstaaten. Anders gesagt: Jeder Anleger kann beruhigt Rom oder Madrid Geld leihen und dafür eine Anleihe erwerben. Denn notfalls kann er diese Anleihe an die EZB verkaufen. Anfang September 2012 präsentierte die EZB offiziell ihr Programm OMT («Outright Monetary Transaction») zum Kauf der Anleihen. Damit ersetzte sie das verlorene Vertrauen in die Kreditwürdigkeit der Regierungen durch ihre Garantie. Denn die EZB kann nach eigenem Ermessen Geld produzieren, ist also immer zahlungsfähig. Kaum hatte sich die Krise beruhigt, wurde Kritik laut, vor allem in Deutschland. Sie mündete in eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Zu den Klägern gehört unter anderem der CSU-Politiker Peter Gauweiler. Auch die Bundesbank trat als «Zeugin» gegen die EZB auf. Im Kern argumentiert die Bundesbank so: Durch ihre Garantie senkt die EZB die Zinslast für die Krisenstaaten, spart ihnen damit Geld. Das ist eine Form der «monetären Staatsfinanzierung». Die aber ist der EZB verboten.

Das Gegenargument der EZB geht so: Um die Krise zu bekämpfen, hatte die EZB zunächst die Leitzinsen für die Eurozone gesenkt. Diese Zinssenkung kam insbesondere in Südeuropa aber nicht an. Warum? Weil an den Märkten eine irrationale Angst vor dem Auseinanderbrechen der Eurozone umging, die die Zinsen in die Höhe trieb. Mit ihrer Garantie habe die EZB diese Angst beschwichtigt. So können «die Märkte» wieder richtig funktionieren, und die Leitzinssenkungen der EZB wieder wirken. Der «Transmissionsmechanismus», die Wirksamkeit der Geldpolitik der Zentralbank, sei wieder hergestellt. Dagegen erheben die EZB-KritikerInnen wiederum einen Einwand: Es sei zwar richtig, dass die Zinsen in Südeuropa sehr hoch waren – doch dies sei lediglich die Reaktion der Anleger auf die unsolide Haushaltspolitik der Krisenstaaten. Und das sei gut so. Denn über hohe Zinsen übten die Märkte Druck auf Länder aus, zu sparen und wettbewerbsfähig zu werden. Anleihekäufe im großen Umfang unterliefen die disziplinierende Wirkung der Finanzmärkte.

Vor Gericht liegt also eine Frage, die niemals beantwortet werden kann: War 2012 der Zinsanstieg wegen der unsoliden Finanzpolitik der südeuropäischen Staaten gerechtfertigt und damit rational, wie die Bundesbank meint? Oder war er einer ungerechtfertigten Panik vor dem Auseinanderbrechen der Eurozone geschuldet und daher irrational, wie die EZB argumentiert? Das BVerfG hat Anfang Februar geurteilt, dass es sich wahrscheinlich um einen Fall der verbotenen Staatsfinanzierung durch die EZB gehandelt habe. Das Urteil ist jedoch widersprüchlich. Denn zum einen stellt das Gericht fest: «Nach der überzeugenden Expertise der Bundesbank spiegeln solche Zinsaufschläge … nur die Skepsis der Marktteilnehmer wider, dass einzelne Mitgliedstaaten eine hinreichende Haushaltsdisziplin einhalten können.» Gleichzeitig widerspricht sich das BVerfG selbst, indem es konstatiert: «Jedenfalls lassen sich nach den Ausführungen der Bundesbank Zinsaufschläge in der Praxis nicht in einen rationalen und einen irrationalen Teil trennen.» Nun liegt der Fall vor dem EuGH.

Hinter dem juristischen Streit steht eine grundsätzliche politische Differenz in der Eurozone. Ein Gläubigerland beklagt sich darüber, dass mit seinem Geld und seinem Kredit die Schuldnerländer gestützt worden sind. Die zerstörerische Haltung ist: Die Gewinner finanzieren nicht die Verlierer! Die kapitalistische Konkurrenz produziert aber immer Gewinner und Verlierer. Deshalb braucht es einen Ausgleichsmechanismus, der die Verlierer geschäftsfähig hält. Da Finanztransfers zwischen Eurostaaten kaum vorhanden sind, muss die EZB diese Funktion nun übernehmen. Die EZB vertritt damit das Euro-Gesamtinteresse am Zusammenhalt einer Währungsunion, in der die einen Länder profitieren und die anderen verlieren, was dank der EZB aber nicht zum Zusammenbruch führt – was ja auch die Wirtschaft der Gewinnerstaaten schädigen würde. Die EZB schützt damit den deutschen Erfolg vor der deutschen Kritik.

Der Beitrag ist auch erschienen in der Ausgabe 1-2014 des Stiftungsjournals RosaLux

Linke Kritik an deutschen Euro-Plänen standen zudem im Mittelpunkt der Reihe «Die Krise hat Europa gestärkt». Die Veranstaltungen sind hier dokumentiert.