News | Stadt / Kommune / Region "Einsparziele wurden nicht erreicht"

INTERVIEW Experte über die Effekte von Gebietsreformen und die öffentliche Daseinsvorsorge in Zeiten knapper Kommunalfinanzen

Michael Schäfer, Professor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE), hat im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung und von drei Landtagsfraktionen der LINKEN kommunalwirtschaftliche Fragen untersucht. Die Studie «Daseinsvorsorge – Oberstes Gebot für jede Kommunalreform» wird am 19. Juni der Presse vorgestellt.

Welchen konkreten Forschungsansatz verfolgen Sie?

Schäfer: Die Kommunalverfassungen der Länder definieren relativ übereinstimmend jene Felder, in denen Kommunen Pflichtaufgaben im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung oder als übertragene Aufgaben erfüllen müssen. Außerdem gibt es «freiwillige Leistungen». In diesem Gesamtkanon spielt nach meinem Verständnis die Daseinsvorsorge eine herausgehobene Rolle. Hier geht es um die Befriedigung existenzieller Bedürfnisse – und zwar nicht nur im materiellen Bereich. Auch Bildung und Kultur gehören zu den elementaren Angeboten. Unstrittig ist, dass die Kommunalwirtschaft einen Großteil dieser Leistungen erbringen muss. Ob dafür heute, vor allem aber auch morgen und übermorgen auf kommunaler Ebene Strukturen existieren, die diese Aufgabe bewältigen können, ist die zentrale Fragestellung der Studie.

Lassen sich bei den Kommunalreformen in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen seit 1990 positive Effekte erkennen?

Schäfer: In den genannten Ländern ging es vor allem um Veränderungen bei Gemeinden und Kreisen, die in erster Linie die Größe und Einwohnerzahlen betrafen, den Zusammenhang von Aufgaben und Strukturen aber weniger im Blick hatten. Nach meiner Auffassung ist aber die Daseinsvorsorge die kommunale Aufgabe mit der höchsten Priorität. Ergo muss jede Reform das Ziel haben, Strukturen zu etablieren, die dieser Priorität gerecht werden. Diesen für mich zwingenden Ansatz kann ich bei bisherigen Reformen kaum erkennen. Ob andere positive Effekte eingetreten sind, ist nicht Gegenstand meiner Studie. Ich kenne allerdings keine belastbaren Bestandsaufnahmen, die nachweisen, dass nach Gebietsreformen die angestrebten Ziele – im Vorfeld ist vor allem von Einsparungen bei den Verwaltungskosten die Rede – tatsächlich erreicht wurden.

Einerseits sollen die Kommunen die öffentliche Daseinsvorsorge garantieren, andererseits klagen sie über leere Kassen. Was können die Kommunen in dieser Situation überhaupt tun?

Schäfer: Die Erfüllung dieser Aufgabe wird schwieriger. Darauf müssen künftige kommunale Reformen eingehen. Sie müssen sich fragen: Wie befördere ich interkommunale Kooperationen? Muss jede Kommune wirklich alles von A–Z leisten, oder können wir uns regionale Differenzierungen vorstellen? Mehr Effizienz bei der Erledigung der Aufgaben ist ein wichtiger Aspekt. Das Problem der strukturellen Unterfinanzierung der Kommunen lässt sich damit aber nicht lösen.

Welche Bedeutung hat die kommunale Ebene gegenüber der Landes- und der Bundesebene für die BürgerInnen?

Schäfer: Ich sage: Die Kommune ist deine Heimat. Dort wird alles, was für dich wichtig, ja lebenswichtig ist, erbracht. Wenn du darauf Einfluss nehmen willst, dann nutze die vielen demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten an der kommunalen Basis und kämpfe dafür, dass die grundrechtlich verbriefte Selbstverwaltung nicht ausgehöhlt, sondern gestärkt wird.

Fragen: Axel Krumrey

Der Beitrag ist Teil eines Blickpunkts zu kommunalpolitischen Fragen in der Ausgabe 1-2014 des Stiftungsjournals RosaLux.