News | Nordafrika Lernen für eine andere Gesellschaft

Internationaler Bildungsworkshop, veranstaltet vom Regionalbüro Palästina der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Beit Jala, 25. – 29. August 2014.

Emanzipatorische Bildung, so hieß es in unserem Einladungsschreiben, ist ein Anspruch, der die sozio-ökonomischen Verhältnisse, die wir vorfinden, in Frage stellt und Alternativen in den Blick nimmt. Emanzipatorische Bildung ist keine theoretische Übung, sondern muss in unsere tägliche politische Praxis eingebettet werden. Was ist emanzipatorische, kritische linke Bildung oder was macht Bildungsansätze emanzipatorisch? Wie muss Bildung konzipiert, organisiert und vermittelt werden, um emanzipatorisch wirken zu können? Wie muss sich die Rolle des Bildners, der Bildnerin, verändern und wie müssen Setting und Methoden gestaltet sein, um zu verhindern, dass Strukturen und Elemente von Hierarchie und Dominanz reproduziert werden? Welche Art von Bildung ist nötig, um Menschen zu ermutigen, für sozialen und politischen Wandel einzutreten?

Diesen und vielen anderen Fragen sind Bildner_innen aus Palästina, Argentinien, Mexiko, El Salvador, Senegal und Deutschland auf dem Bildungsworkshop „Emanzipatorische Bildung“, veranstaltet vom Regionalbüro Palästina der Rosa Luxemburg Stiftung, mehrere Tage lang gemeinsam nachgegangen. Die Rosa Luxemburg Stiftung fördert seit der Aufnahme ihrer Arbeit in der Region im Jahr 2000 Projekte in diesem Bereich. Das Stiftungsbüro ist aktuell dabei, einen Themenschwerpunkt „Emanzipatorische Bildung“ aufzubauen. Gerade in Palästina ist dies – im Kontext von Besatzung, einem enormen ökonomischen und sozialen Wandel der Gesellschaft einerseits und traditionellen und hierarchischen Vorstellungen von Lernen andererseits – eine große Herausforderung. Die Beschäftigung mit und der Austausch von alternativen Bildungsmethoden stehen nicht sehr weit oben auf der Agenda der Linken. Nichtsdestotrotz – eine wachsende Zahl von Akteur_innen klagen einen diesbezüglichen Wechsel ein. Dieses internationale Praxisseminar mit Fachleuten aus vier Kontinenten sollte dazu einen kreativen und inspirierenden Auftakt geben. 

Trainer_innen aus den Bereichen Forum Theater, Debattentraining, Konfliktbearbeitung, Schulsozialarbeit, Educación Popular und Kreatives Schreiben stellten ihre Methoden und Projekte vor und erprobten bei gemeinsamen Übungen neue Ansätze. Besonders spannend waren die Momente, in denen sich inhaltliche Bezüge zwischen den unterschiedlichen Projekten und Kontexten herstellen ließen: Wie geeignet ist beispielweise der Ansatz des alternativen Stadttourismus aus Berlin, bei dem Menschen aus dem Stadtteil Besucher_innen ihre Lebenswelten zeigen, für die Antirassismus-Arbeit? Inwieweit werden dadurch ungewollt nicht doch Vorurteile und Stereotypen reproduziert? Und geschieht ähnliches nicht auch bei Führungen durch palästinensische Flüchtlingslager? Eine Frage, die bei einem späteren Besuch eines Flüchtlingslagers in Bethlehem wieder aufkam, verbunden mit Fragen von Präsentation und Repräsentation, von Macht und Ohnmacht.

Der gesamte Workshop war so aufgebaut, dass alle Teilnehmenden gleichzeitig Lernende und Lehrende waren, ein Austausch  zwischen erfahrenen Bildner_innen und gleichzeitig offen für den gemeinsamen Lernprozess. Für Alicia Garcia von der Organisation El Equipo Maiz (http://www.equipomaiz.org.sv/) in El Salvador war dies eines der zentralsten Erlebnisse des Workshops: „Einer der größten Eindrücke, die ich aus diesem Workshop mitnehme, ist das Teilen von Erfahrungen mit so vielen Menschen aus so vielen verschiedenen Kulturen und dass unsere Anliegen in Bezug auf Bildung, Ausbildung, Bewusstsein und Sensibilisierung übereinstimmen. Die Methoden, die Techniken, die wir hier erlebt haben, werden mir helfen für meine Arbeit mit Gruppen in El Salvador, ich werde sie nur etwas an den dortigen Kontext anpassen.“

Zu erleben, dass sich Bildner_innen aus vielen verschiedenen Ländern und Kontexten für ein „Lernen für eine andere Gesellschaft“ engagieren, hat viele Teilnehmenden in ihrem eigenem Selbstverständnis, in ihrer eigenen Arbeit bestärkt, wie Edward Muallem vom Ashtar-Theater in Ramallah erklärte: „Mich hat dieser Workshop darin bestätigt, dass das, was wir machen, nämlich mit dem Theater der Unterdrückten als einer Methode für Wandel zu arbeiten, sehr wichtig ist. Alle hier glauben an Ansätze wie Theater, kreatives Schreiben und Übungen als sehr wichtige Methoden für sozialen Wandel und für Frieden zwischen den Gesellschaften. Ich bin mir jetzt sehr sicher, dass das, was ich mache, richtig ist.“

Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Sprachen der Teilnehmenden war es vor allem die Theater- und Körperarbeit, die das Seminar getragen hat. Silke Veth, Mitarbeiterin in der Akademie für Politische Bildung der Rosa Luxemburg Stiftung Berlin beschreibt das folgendermaßen: „Ich habe zum ersten Mal erlebt, dass es quer über vier Kontinente einen Austausch über politische emanzipatorische Bildung gab, dass ein Teil der vielen guten Projekte, mit denen wir international zusammen arbeiten und die bisher noch in keinem Austausch miteinander standen, nach Palästina gekommen sind. Dieser Austausch war am Anfang schwierig, aber wir haben eine gemeinsame Sprache gefunden. Das war meine wichtigste Erfahrung, dass das nicht nur über die Sprache, die wir kennen, passierte, sondern ganz viel auch über Körpersprache.“

Dass der Bildungsworkshop (zu einem Teil) während des Krieges in Gaza stattfand, hat nicht nur die Organisator_innen im Vorfeld umgetrieben. Die ohnehin starke Verzahnung von Bildungsinhalten mit politischer Information durch Vorträge, politische Touren, Besuche bei NGOs und viele Gespräche wurde durch den starken Bezug einiger Beiträge auf die Situation in Gaza weiter unterstrichen: Bei der Übung zum kreativen Schreiben verfassten die Teilnehmenden eine Assoziation zum Bild eines Jungen, der inmitten von Ruinen eines zerstörten Hauses in Gaza steht. Beim Debattentraining debattierten sie über bewaffneten Widerstand, und bei einer Skulpturenübung bildeten sie mit ihren Körpern Bilder von Unterdrückung, Widerstand und Emanzipation. Das Interesse an der politischen Lage, das hohe Maß an Solidarität der internationalen Besucher_innen sowie ihre eigenen Erfahrungen mit Konflikt, Unterdrückung und Emanzipation machten den Workshop auch auf dieser Ebene zu einer starken emanzipativen Erfahrung. Claudia Korol von der Organisation Panuelos en Rebeldia (www.panuelosenrebeldia.org) in Buenos Aires und langjährige Projektpartnerin der Stiftung drückt ihr Erleben dieser Situation folgendermaßen aus: „In den Tagen seit meiner Ankunft hier konnte ich durch Gespräche und Aktivitäten etwas von der Realität, die die Menschen in Palästina erleiden, fühlen, kennenlernen, beklagen und erleben (…). Ich konnte mehr von den Menschen, von ihren Kämpfen, ihrem Widerstand, ihren Debatten, ihren Diskussionen und ihren Träumen erfahren. Ja, ich nehme eine Menge Vorstellungen, Worte, Gefühle, Schmerzen und auch Hoffnungen des Widerstandes und der Rebellion mit.“

 

Katja Hermann, Büroleiterin des Regionalbüros Palästina