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RLS-Partnertreffen in Paraguay setzt Zeichen. Von Niklas Franzen, São Paulo.

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Niklas Franzen,

«Das Schlimmste, was einer Gesellschaft passieren kann, ist, dass es keine Bewegung gibt. Nur wenn wir uns bewegen und Widerstand leisten, haben wir die Möglichkeit etwas zu verändern», sagt der uruguayische Autor und Aktivist Raúl Zibechi vor den versammelten Gästen im Casa de la Paz in Asunción. Das “Haus des Friedens» der Menschenrechtsorganisation Serpaj  war vom 11.–14. August 2014 Veranstaltungsort des PartnerInnentreffens des RLS-Regionalbüros São Paulo mit dem Titel «Agrobusiness im Cono Sur – Widerstand und Alternativen». Mitglieder sozialer Bewegungen und Einzelpersonen aus Brasilien, Argentinien, Chile, Uruguay und Mexiko waren der Einladung in die paraguayische Hauptstadt gefolgt, um über die Folgen des Extraktivismus in der Region zu diskutieren.

Nicht ohne Grund fand das Treffen in Paraguay statt. Die Landfrage hat im südwestlichen Nachbarland Brasiliens eine besondere Brisanz. Laut Inés Franceschelli von BASE-IS zerstört das Agrobusiness in vielen Teilen des Landes die Lebensgrundlage der armen Landbevölkerung. Neben der Erhöhung der Armut durch Verdrängung und Landraub wird die Umwelt durch Entwaldung und den Einsatz von Chemikalien vernichtet.

Paraguay ist mittlerweile der viertgrößte Sojaproduzent der Welt. Die Mehrheit der paraguayischen Bevölkerung profitiert davon jedoch in keiner Weise. So besitzen zwei Prozent der Landeigentürmer mehr als 80 Prozent des Landes. Ein großer Teil davon befindet sich in den Händen multinationaler Konzerne. Eine Studie von BASE-IS aus dem Jahre 2009 zeigt, dass 19,4% des paraguayischen Landes von ausländischen Unternehmen kontrolliert wird, 60% davon von brasilianischen Unternehmern, den sogenannten Brasiguayos.

ExpertInnen sprechen aus diesem Grund bereits von einem «neuen Imperialismus». Immer mehr Bauern und Bäuerinnen werden von ihrem Land vertrieben, oft auch mit Gewalt. Rund eine Million Menschen wurden allein in den letzten 10 Jahren «zwangsurbanisiert».

«Die Sojaunternehmen fallen mit Hilfe der Polizei und bezahlten Schlägertrupps in unsere Dörfer ein und zerstören alles. Die Repression ist stark», sagt Juan Amarilla am Rande einer Straßenblockade, rund 200 Kilometer von Asunción entfernt. Etwa 300 Bauern und Bäuerinnen haben sich hier versammelt, um gegen die Politik des rechtskonservativen Präsidenten Horacio Cartes zu demonstrieren. Unter einigen Bäumen haben die AktivistInnen ein Zeltlager aufgeschlagen. Der Geruch von Essen liegt in der Luft.

«Die neoliberale Politik führt zum Ausverkauf des Landes. Mittlerweile wird Paraguay von multinationalen Unternehmen kontrolliert», führt Amarilla aus. Laut Serpaj führt dies auch zur Stigmatisierung und Kriminalisierung jeglichen Widerstandes. So werden Bauernaktivisten im öffentlichen Diskurs häufig mit Terroristen gleichgesetzt. Neben Vertreibung, Repression und öffentlicher Brandmarkung hat der Einsatz von Pestiziden schwere Konsequenzen für Mensch und Natur.

Cinthia González von der Frauenorganisation Conamuri berichtet, dass vor allem indigene Gemeinden betroffen sind. «Die Verwendung von Pestiziden bedeutet den Verlust unserer ökonomischen, territorialen, kulturellen, ernährungspolitischen Souveränität», erklärt die junge Frau, die selbst aus seiner indigenen Gemeinde stammt. Spitzenreiter in der Produktion der giftigen Chemikalien ist der deutsche Pharmariese Bayer, gefolgt vom Schweizer Unternehmen Syngenta und dem deutschen Chemiekonzern BASF.

Nicht nur in Paraguay zeigt sich die Kehrseite des Agrobusiness. Die TeilnehmerInnen der Konferenz sind sich einig, dass dieses «keine Grenzen kenne» und fast überall in Lateinamerika seine schmutzigen Fußspuren hinterlasse. Laut Nilciney Toná von der Landlosenbewegung MST hat das Agrobusiness auch in Brasilien «die ökonomische, politische und ideologische Macht» mit weitreichenden Folgen für arme Bauern und Bäuerinnen.

Im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul kommt es seit Jahren zu Konflikten zwischen Agrarunternehmen und lokalen indigenen Gemeinden. Die Guaraní Kaiowá sind besonders stark betroffen. Clóvis Antonio Brighenti vom katholischen Indigenenmissionsrat CIMI berichtet von der verzweifelten Situation und der alltäglichen Gewalt gegen die Indigenen. In den letzten Jahren hat der Konflikt bereits hunderte Todesopfer gefordert, die meisten davon AktivistInnen, die sich gegen Projekte der Agrarunternehmen zur Wehr setzten. Zuletzt wurden am 19. August Josias Paulino de Castro, Präsident der Bauernvereinigung ASPRONUJ und seine Frau Ireni da Silva Castro kaltblütig ermordet.

Auch in Argentinien bedroht die Privatisierung des Saatgutes lokale Kleinbauern. «Die Kontrolle des Saatgutes bedeutet die Kontrolle über das Land», erklärt der Forscher Carlos Vicente der Organisation Grain bei einer Videoschaltung, auf der er über entsprechende Gesetzesentwürfe der Agrolobby berichtet.

Jedoch regt sich Widerstand. In ganz Lateinamerika kämpfen Menschen auf vielfältige Weise gegen die Folgen des extraktivistischen Modells, sowohl auf dem Land und als auch in der Stadt. Esther Quispe, Vertreterin der Asamblea Malvinas Argentinas, berichtet von den Erfahrungen im Kampf gegen US-Agrarkonzern Monsanto im argentinischen Córdoba. Mit Blockaden, Demonstrationen und einer breiten Öffentlichkeitarbeit konnte bislang der Bau einer Monsanto-Anlage für transgenes Mais-Saatgut verhindert werden.

Viele der AktivistInnen waren vorher nicht politisch organisiert. «Wir haben gelernt, Politik zu machen», erinnert sich Esther. Die Bauernorganisation Conamuri aus Paraguay verbindet feministische Kritik mit dem Kampf gegen Landraub. «Trotz der Gewalt der multinationalen Unternehmen haben wir angefangen, uns zu organisieren», erzählt Miguel Cruzabie.

Die Landlosenbewegung MST baut im Süden Brasiliens autonome Bildungszentren auf und betreibt alternative Landwirtschaft. So verzweifelt und ausweglos die Situation in vielen Regionen erscheint, umso mehr machen die Schilderungen des alltäglichen Kampfes der Compañer@s Mut.

Am vorletzten Tag reisten die TeilnehmerInnen des Treffens zu einem der traurigsten Orte der Geschichte Paraguays. In Curuguaty, im Nordosten des Landes, starben am 15. Juni 2012 nach einer Landbesetzung elf Bauern und sechs Polizisten.

Auf ihrem Landstück zwischen Orangenbäumen und einem kleinen Zuckerrohrfeld, keine drei Kilometer vom Ort des Massakers entfernt, berichtet die Familie Castro von ihrem Leid. Ein Sohn starb bei dem Massaker, zwei weitere landeten schwer verletzt im Gefängnis. Die Umstände der Schießerei sind bis heute ungeklärt.

Angehörigenverbände fragen deshalb weiterhin: «Was geschah in Curuguaty?». Néstor saß nach den Ereignissen mehrere Monate im Gefängnis. Erst nach zwei Hungerstreiks konnte er die Haftstrafe in Hausarrest umwandeln. Ein Polizeiauto steht Tag und Nacht vor dem Haus der Familie. Dem jungen Mann sind die Umstände anzumerken. «Es wird versucht, uns die Schuld zuzuschieben. Gegen die Polizei wird nicht ermittelt», sagt Néstor mit leiser, zittriger Stimme. Sein Blick ist auf den Boden gerichtet.

In der Tat wurden bislang weder Ermittlungen gegen die beteiligten Polizisten eingeleitet noch Verurteilungen ausgesprochen. Die Ereignisse in Curuguay nutzte die rechte Opposition als Vorwand zum parlamentarischen Putsch gegen den progressiven Präsidenten Fernando Lugo. Dieser hatte versucht, mit moderaten Reformen dem Agrobusiness Schranken aufzuzeigen.

Nach einjähriger Interimspräsidentschaft von Federico Franco von der Liberalen Partei trat am 15. August 2013 der Unternehmer und Multimillionär Horacio Cartes das Präsidentschaftsamt an. Seine rechtskonservative Colorado-Partei regierte Paraguay bis 2008 ununterbrochen für 61 Jahre, darunter 35 Jahre unter Diktator Alfredo Stroessner.

Zum einjährigen Amtsantritt versammelten sich Bauernverbände, linke Parteien und soziale Bewegungen aus dem ganzen Land in Zentrum von Asunción, um mit einem Marsch zum Parlament gegen die neoliberale Politik des Präsidenten zu demonstrieren. (amerika21 berichtete). «Die Politik Cartes’ dient nur den multinationalen Unternehmen und seine Gesetze zielen auf die totale Privatisierung Paraguays ab. Die Rechte der Bauern werden mit Füßen getreten», sagt der 86-jährige spanische Jesuit und Aktivist Paí Oliva, der seit Jahrzehnten in Paraguay lebt und sich im Land für soziale Belange einsetzt.

Die eindrucksvolle Demonstration war für die meisten TeilnehmerInnen zugleich Abschied aus Paraguay. Die letzten Tage hinterließen bei allen tiefe Eindrücke. Die Berichte der Compañer@s und die Besuche im Feld halfen die traurige Realität in weiten Teilen des Landes zu verstehen. Das mittlerweile in Lateinamerika auch über die Schattenseite wirtschaftlicher Entwicklung diskutiert wird, ist unter anderem Verdienst von sozialen Bewegungen und mutigen Einzelpersonen.

Aus diesem Grund ist die Zusammenarbeit mit Organisationen und Menschen, die dem Agrobusiness die Stirn bieten, doppelt wichtig. Die Hoffnung auf ein Wirtschaftsmodell, das nicht den Interessen der Menschen entgegensteht, darf nicht aufgeben werden. Wie es Raúl Zibechi treffend formulierte: «Nur wenn wir uns bewegen und Widerstand leisten, haben wir die Möglichkeit, etwas zu verändern».

Niklas Franzen, Praktikant im RLS-Regionalbüro São Paulo