News | GK Geschichte Bley: Bebel und die Strategie der Kriegsverhütung 1904-1913, Hannover 2014

Von sozialdemokratischer Geheimdiplomatie -

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Florian Grams,

In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg stand August Bebel - der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands - in regem Austausch mit dem britischen Generalkonsul in Zürich. Gegenstände der Erörterung waren in erster Linie die militärische Stärke des Deutschen Reiches und die Perspektiven der Außenpolitik des Reiches. Erörtert wurden aber auch die Möglichkeiten der Sozialdemokratie, dem aggressiven deutschen Militarismus Einhalt zu gebieten. Dem erfahrenen Sozialisten war dabei stets bewusst, dass seine in Gesprächen und Briefen an Generalkonsul Heinrich Angst formulierten Einschätzungen und Analysen nie privaten Charakter besaßen, sondern immer auch ihren Weg in das Foreign Office in London fanden. Es verwundert nicht, dass Bebel in diesem Zusammenhang besonderes Gewicht darauf legte, einen großen Krieg in Europa zu verhindern. Verwundern kann indes, dass August Bebel zu diesem Zweck nicht den Weg über seine Partei und die Internationale wählte, sondern zu den klassischen Mitteln der Geheimdiplomatie griff. Dies ist, neben den inhaltlichen Einschätzungen Bebels zur Situation in Deutschland, die spannende Fragestellung, den der hier erneut publizierte Aktenbestand zu diskutieren ermöglicht.

Die Entscheidung, diese Studie und die ihr zugrundeliegenden Archivalien, die zuerst im Jahre 1975 vorgelegt wurde, erneut zu publizieren, ist auch eine Reaktion auf die derzeit vor sich gehende Neubewertung der Kriegsschuld von 1914. Anders als heute zum Beispiel Herfried Münkler und Christopher Clark erkannte damals August Bebel die Ursachen des Großen Krieges in erster Linie in den innenpolitischen Konflikten in Deutschland. Er wies vor allem auf die besondere Aggressivität der ostelbischen Junker hin, die hinter dem preußisch-deutschen Heer standen. Von ihnen - so war Bebel überzeugt - ging eine enorme Gefahr für den Frieden in Europa und für die demokratische Entwicklung in Deutschland aus. Genau aus diesem Grunde hegte er so große Hoffnungen, die Aggressivität Deutschlands auf dem Meer einzudämmen. Auf die Marine hätten die Junker - so Bebel - keinen bestimmenden Einfluss und so könnte ein starker britischer Rüstungsdruck die weniger aggressiven Vertreter der modernen Industrie vom Kurs auf den Krieg abbringen. Helmut Bley attestiert Bebel in der vorliegenden Studie an dieser Stelle die gravierendste Fehlprognose, "[...] da gerade die aufsteigenden Kräfte des industriellen Deutschlands weder an Resignation dachten noch bereit waren, sich einem demonstrativen Veto einer Großmacht zu beugen." (83) Insgesamt zeichnet Helmut Bley von August Bebel das Bild eines engagierten aber naiven Politikers, der sich in erster Linie von Klischees hat leiten lassen.

Zugleich wird in der Interpretation der Korrespondenz zwischen August Bebel und Heinrich Angst aber auch deutlich, dass sich diese Naivität Bebels keinesfalls auf die Einschätzung der außenpolitischen Interessen des Deutschen Reiches bezog, sondern ausschließlich auf die Analyse der Widersprüche innerhalb der herrschenden Schicht in Deutschland. Aus diesem Grund konnte er naiv sein, wo es um die genaue Unterscheidung der unterschiedlichen Interessen der Herrschenden in Deutschland ging und gleichzeitig scharfsinnig sein, wenn er grundsätzliche Kritik am Herrschaftssystem des Landes übte. Dort konnte er auf sozialdemokratische Positionen zurückgreifen und entwickelte auf dieser Grundlage eine eindeutige friedenspolitische Position, die zu einer Ablehnung des Krieges führte, die nicht aus einem Pazifismus der Waffenlosigkeit gespeist war, sondern aus der Gegnerschaft zur herrschenden Klasse. Allerdings führt diese Haltung bei Bebel nicht zu einer kämpferischen Praxis, sondern vielmehr zu dem fast ängstlichen Bestreben, die Legalität der Arbeiterorganisationen auch im Falle des Krieges als Unterpfand einer demokratischen Entwicklung zu sichern. Hält man dieses Anliegen für realistisch, dann erklärt sich auch der Versuch Bebels, den Krieg vor allem mit den Mitteln der Geheimdiplomatie zu verhindern, um den Herrschenden nicht durch Massenaktionen der Sozialdemokratie einen Anlass zu Repressionen zu bieten. Dies gälte umso mehr, als er davon ausging, die Partei habe einem Krieg nur wenig entgegenzuhalten. Auf der anderen Seite war Bebel überzeugt, dass die Stunde sozialdemokratischer Politik ohne Koalitionspartner erst nach der Katastrophe des kapitalistischen Systems schlagen würde. Deshalb konnte die selbstbewusste Aktion der Arbeiterinnen und Arbeiter im friedenspolitischen Denken Bebels kaum einen Platz finden. Aus dieser Gemengelage bemühte sich August Bebel um eine politische Praxis, die der Friedenssicherung verpflichtet war, die sich in klarer Opposition zu den Herrschaftsverhältnissen in Deutschland bewegte, ohne jedoch die Legitimität der weltpolitischen Ambitionen dieser Herrschaft grundsätzlich in Frage zu stellen. In dieser Haltung Bebels kam "[...] seine Abhängigkeit vom traditionellen Großmachtdenken zum Ausdruck. Es war kein durchdachtes Konzept eines international orientierten Sozialisten." (110)

Es ist die Stärke dieser Studie, die Positionen August Bebels in ihrer Widersprüchlichkeit nachzuzeichnen und zugleich zu verdeutlichen, dass der Friedenswille innerhalb der Arbeiterbewegung vor dem Ersten Weltkrieg stets lebendig war. So gelingt es Helmut Bley einen wichtigen Aspekt der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges darzustellen. Seine Argumentation schafft eine fundierte Position in der erneut aufgeflammten Diskussion um die deutsche Kriegsschuld. Auch deswegen ist dem Hannoverschen Offizin-Verlag für die Neuauflage dieses Buches zu danken. Einmal mehr zeigt sich hier, dass auch Befunde, die vor etlichen Jahren erarbeitet wurden, mitunter wiederholt werden müssen, um nicht in Vergessenheit zu geraten.

Helmut Bley, 2014: Bebel und die Strategie der Kriegsverhütung 1904-1913. Eine Studie über Bebels Geheimkontakte mit der britischen Regierung und Edition der Dokumente. Offizin-Verlag, Hannover, 299 S., 19,80 €, ISBN 978-3-945447-01-7