News | Gesellschaftliche Alternativen - COP 21 Veranstaltungsbericht | Lies, Damned Lies, and Emissions: Volkswagen, the German Export Model, and the Myth of the 'Climate Chancellor'

Die Bundesrepublik ist nicht der Klimaschutz-Vorreiter, als die sie oft angesehen wird und als die sie sich gern geriert. Das zeigt der Volkswagen-Skandal ganz deutlich.


7. Dezember 2015 | 16:00-18:00 Uhr |«Climate Action Zone» Le 104  | 5 rue Curial,
75019 Paris | salle 200


Auch wenn sich Deutschland international inzwischen zu einem 'everybody's darling' gemausert zu haben scheint, sollten wir ein bisschen hinter die Kulissen schauen, vor allem in Bezug auf die vermeintliche Rolle eines Vorreiters gegen den Klimawandel. Gerade anhand des aktuellen VW-Abgasskandals lässt sich sehr deutlich zeigen, dass VW die Automobil-Welt erobern wollte. VW wollte von allem am meisten: Umsatz, Gewinn, Anzahl verkaufter Fahrzeuge, Marktanteil usw. Vor allem aber wollte VW auch gleichzeitig der ökologischste und nachhaltigste Hersteller sein. Das ist ein Widerspruch in sich und mit legalen Mitteln nicht zu erreichen. Tatsächlich haben wir es hier mit einem Betrug von Europas größtem Autohersteller zu tun.

Der geschichtliche Rückblick zeigt, dass es immer schon eine gewisse Symbiose zwischen Regierungen und VW beziehungsweise der Automobilbranche gegeben hat. In den 1930er Jahren wurde VW von Ferdinand Porsche gegründet und mit Hilfe von beschlagnahmten Gewerkschaftsgeldern und Zwangsarbeit aufgebaut. Während des Zweiten Weltkriegs wurden keine Autos, sondern es wurde Kriegsgerät hergestellt. Nach dem Krieg dann wurde das Unternehmen (und der vorhandene Gerätepark) von den Briten zu treuen Händen übergeben, 1960 kam die Privatisierung und "Volksaktien" wurden herausgegeben. Seitdem waren und sind staatliche Akteure stets in irgendeiner Form involviert - zum Beispiel durch den Sitz der jeweiligen niedersächsischen Ministerpräsidenten im Aufsichtsrat von VW.

'Individualisierte Mobilität': auch E-Autos unter ökologischen Gesichtspunkten verrückt

Ein Teil der deutschen Eliten sieht die Stärke Deutschlands nach wie vor über Exporte definiert. Mit diesem Modell der Exportstärke ist auch ein gewisser Herrschaftsanspruch verbunden. 1,22 Billionen Euro - und damit etwa die Hälfte des deutschen Bruttoinlandsproduktes - wird im Exportsektor generiert. Der Exportüberschuss betrug 2014 insgesamt 220 Milliarden Euro, und damit 7,5 Prozent des BIP. Hiervon entfiel mit einem Wert von 253 Milliarden Euro der größte Anteil auf exportierte Fahrzeuge.

Leider geht der Trend bei Fahrzeugen (und damit natürlich auch bei den Exporten) eindeutig hin zu höheren Kraftstoffverbräuchen. Ein Drittel aller Fahrzeuge sind mittlerweile SUVs. Gerade für 'Periphärländer' in Europa besteht die Schwierigkeit, neben Staatshaushaltsdefiziten und (auferlegter) Austeritätspolitik, Geld für Umweltpolitik und alternative Energien aufzubringen, was natürlich verheerende soziale und ökologische Folgen hat. In den Jahren 2002 bis 2004 sollte unter dem damaligen VW-Vorstand Peter Hartz eine Gesetzesreform erarbeitet werden, mit dem Ziel, das deutsche Exportmodell auf dem Weltmarkt wieder wettbewerbsfähig zu machen. Die dramatischen sozialen Einschnitte und deren Folgen sind heute nur allzu gut bekannt.

Ein weiteres Beispiel für die enge Verbindung von Regierungen und Wirtschaft in Bezug auf Klimawandel lässt sich anhand der Entwicklung des 2000 verabschiedeten Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) erkennen. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hat das Gesetz aggressiv attackiert. Eines der Gründungsmitglieder der Initiative ist der Arbeitgeberverband Gesamtmetall, der wiederum für die Automobilbranche eine zentrale Rolle spielt.

Zwischen 2006 und heute ist der Anteil deutscher Autos in der Welt extrem gestiegen, mittlerweile sind es pro Jahr 23 Millionen Stück. Die Ausstöße für ihren Export sind größer als alle Transporte in Deutschland zusammen.

Es ist nicht entscheidend, was die Staatschefs in Paris sagen, sondern was sie nicht sagen

Die Welt schaut auf Deutschland und seine Energiewende, alle orientieren sich hieran. Auf dem Klimagipfel gilt die Bekämpfung des Klimawandels als die wichtigste Forderung Deutschlands. Aber Kanzlerin Merkel hat nicht gesagt: Deutschland steigt aus der Kohle aus. Das war kein Versehen, sie hat es nicht vergessen zu sagen. Es gilt einfach: Der Kohle-Ausstieg wird nicht kommen, wenn sie es nicht verkündet.

Und es wird auch kein anderes Land folgen. Warum und wie sollte man Indien und China von einem solchen Ausstieg überzeugen? Ohne Kohle-Ausstieg werden wir die Erderwärmung aber nicht unter zwei Grad Celsius, geschweige denn unter 1,5 Grad halten können. Deutschland aber fördert nach wie vor weltweit über Kredite Kohle-Energie und exportiert Kohle-Technologie. Kein Land fördert zudem so viel des klimaschädlichsten aller Energieträger, der Braunkohle, wie Deutschland. Der hieraus erzeugte Strom wird ebenfalls teilweise ins Ausland exportiert. Verbunden mit der Forderung, den Klimawandel zu bekämpfen, ist das heuchlerisch und scheinheilig. Alleine schon deswegen sollte und kann man Deutschland nicht als Vorreiter in der Klimapolitik ansehen.

Bei den Verhandlungen geht es zurzeit auch um die Frage, wer Staaten hilft, wenn deren Inseln untergehen. Wer wird Kompensationszahlungen leisten? Wie kann eine Unterstützung aussehen? Klar ist, dass humanitäre Katastrophen kommen werden, wenn wir weiter machen wie bisher. Die USA verlangen nichtsdestotrotz, dass das Pariser Abkommen einen Satz enthalten soll, der die Länder des Südens verpflichten würde, keine Kompensationsforderungen zu erheben. Geld wäre genug Geld da. Alleine VW hat einen Jahresumsatz von etwa 200 Milliarden Euro und einen Jahresgewinn von etwa 20 Milliarden Euro. Es gäbe also im globalen Norden genügend Geld.

Die Bekämpfung des Klimawandels und die globale Energiewende ist im Endeffekt nur ein Frage der Umverteilung. Die Produktion geht bei VW inzwischen leicht zurück, der Ärger wächst und die Wut nimmt zu gegen diejenigen, die diesen Betrug begangen haben. Trotzdem ist es erfolgreich gelungen, der Öffentlichkeit das Bild zu vermitteln, dass es sich bei diesen Betrügereien nur um Ausnahmen beziehungsweise die Taten Einzelner handeln würde.

Das Problem aber ist ein strukturelles. Die mit den Betrügen verbundenen Informationen und Vorgänge sind bei VW durchaus durch die zentralen Abteilungen gegangen. In den vergangenen Jahren mit ihren verschiedenen Krisen wurden bereits die Hypo Realestate, die Commerzbank und Opel verstaatlicht. Theoretisch wäre ein solcher Schritt also auch bei VW möglich. Am wichtigesten ist es aber, den Widerspruch zwischen maximaler Umsatzforderung und dem Streben nach Nachhaltigkeit aufzulösen.

Betrug gehört zum System der Profitmaximierung

Betrug gehört zum System der Profitmaximierung dazu. Jeder tut es, jeder weiß es. Beispielsweise wissen wir, dass ein Auto mehr verbraucht, wenn der Durchschnittsverbrauch in der Werbung mit fünf Litern angegeben wird. Das Phänomen lässt sich auch für andere Produkte nachweisen. Auch wenn Produkte absichtlich so konstruiert werden, dass sie vor ihrem eigentlichen Ende unbrauchbar werden (geplante Obsoleszenz), ist dies ein Betrug. Die Hamburger Elbphilharmonie, der Berliner Flughafen, das eingestürzte Kölner Stadtarchiv: der Betrug ist allgegenwärtig.

All das zeigt: Mit freiwillige Verpflichtungen wird man auch den Klimawandel nicht bekämpfen können. Der Ausstieg aus der fossilen Energie aber ist unumgänglich und nicht verhandelbar. Die Folgen wären weltweit teurer als die Kosten für eine Energiewende. Dafür muss sich auch unser persönliches Konsumverhalten ändern. Neben dem Energiesektor betrifft das auch den Verkehr. Hier braucht es eine neue Verkehrspolitik. Die Forderung, dass Profiteure des Betrugs zur Kasse gebeten werden lässt sich zwar leichter erheben als umsetzen. Gerade das aber zeigt, dass die Re-Demokratisierung der Gesellschaft unumgänglich ist. Denn die Staatspolitik aus Austerität und Förderung der Niedriglohnsektoren unterminiert die sozial-ökologische Transformation.