News | Gesellschaftliche Alternativen - Sozialökologischer Umbau - COP 21 Nach Paris – Prozess zwischen großer Rhetorik und Business as usual

Das Pariser Abkommen könnte noch in diesem Jahr in Kraft treten. Dass damit noch nicht viel gewonnen ist, hat die Frühjahrskonferenz der Klimadiplomat_innen in Bonn gezeigt.

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Mit großer Wahrscheinlichkeit wird das Pariser Abkommen -  das erste internationale Klimaabkommen, das alle Staaten weltweit zum Klimaschutz verpflichten soll - noch in diesem Jahr in Kraft treten. Dazu beizutragen, dass dies geschieht, haben Ende Mai selbst die G7-Staaten bei ihrem Treffen im japanischen Ise-Shima noch einmal vollmundig bekräftigt (in Kraft tritt das Pariser Abkommen, wenn mindestens 55 Staaten, die mindestens 55 Prozent der weltweiten Emissionen verantworten, den Vertrag ratifizieren). Erneut wurde das „Momentum von Paris“ beschworen und die „Entschlossenheit“, es fortzuführen.

Wie weit jedoch Rhetorik und Realität auseinanderklaffen, hat die zweiwöchige Frühjahrskonferenz der UN-Klimadiplomaten in Bonn gezeigt, deren letzter Tag mit dem Beginn des G7-Treffens zusammenfiel. Zwar stand das Bonner Treffen ganz im Zeichen des Aktionismus. Auch hier wurde immer wieder der Geist von Paris beschworen und der Willen zum Handeln bekräftigt. Die Botschaft auf der Klimakonferenz in Bonn war klar und eigentlich auch nicht umstritten: Das Klimaschutz-Abkommen von Paris sei "ein erster Schritt", aber jetzt gehe es um die Umsetzung. Zu hören war auf jeder Veranstaltung - von Regierungsseite wie von Seiten der Zivilgesellschaft - dass nun schnell gehandelt werden müsse. Und so präsentierte der designierte Präsident der COP22 den Klimagipfel in Marrakesch denn auch als „Gipfel der Konkretisierung“.

Business-as-usual auf der Verhandlungsebene

Auf der Verhandlungsebene aber zeigte sich nicht viel davon. Bezeichnend dafür, dass der UN-Diplomatenbetrieb weiter Business-as-usual fährt, ist die APA. Die APA, die Ad hoc Working Group on the Paris Agreement, wurde am Tag der Unterzeichnung des Pariser Abkommens eingesetzt. Sie ist die zentrale Verhandlungsgruppe, die die Kompromissformeln des Abkommens mit Substanz füllen soll. Denn die Paragraphen des Abkommens weisen in vielen umstrittenen Verhandlungsfeldern maximal die Richtung; das Gezerre um die konkreten Inhalte, um die Operationalisierung des Abkommens, hat gerade erst begonnen.

Das betrifft zum Beispiel die Frage, was genau die nationalen Klimaschutzziele enthalten sollen, die die Staaten fortan dem UN-Klimasekretariat vermelden sollen, und wie viel Flexibilität es hier geben soll. Und es betrifft die Fragen, welche Gelder konkret als „Klimafinanzierung“ gelten sollen. Zwar haben sich die Industriestaaten formal verpflichtet, etliche Milliarden für Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen im Globalen Süden aufzubringen. Bislang aber vermeiden sie durch kreative Buchführung, dass tatsächlich signifikant zusätzliche Mittel fließen. Die Entwicklungsländer bestehen ganz grundlegend auf dem Prinzip der common but differentiated responsibilities und fordern ein Voranschreiten der Industrieländer. Ihnen geht es insbesondere um eine gesamtheitliche und ausgeglichene Umsetzung des Pariser Abkommens, die alle Punkte gleichermaßen berücksichtigt: Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen, die Finanzierung derselben, die Berücksichtigung und Kompensation von Verlusten durch den Klimawandel (diskutiert unter der Überschrift „Loss and Damage“). Außerdem geht es ihnen um Technologietransfer und Capacity-Building (Maßnahmen, die sie am dringendsten benötigen, um mit den Folgen des Klimawandels umgehen zu können und um letztlich auch ihre Emissionen reduzieren zu können). Die Entwicklungsländer fürchten, dass im Zuge der Diskussion um Klimaschutzmaßnahmen die für sie wichtigen Punkte wie Anpassung und Finanzierung ins Hintertreffen geraten. Von den Industrieländern fordern sie, dass sie vor allem bereits vor 2020 ihre Ziele deutlich nachbessern. Gegen all das gibt es von Seiten der Industriestaaten erhebliche Widerstände – und die entsprechenden zeitraubenden Verhandlungsmuster, um sich gegen die Übernahme von Verantwortung und gegen klimagerechte Lösungen zu sträuben.

Mehrere Tage, um sich überhaupt auf die Verhandlungsagenda zu einigen

Wie wenig das „Momentum von Paris“ dazu beiträgt, dass die Staaten von ihren bisherigen Interessen abweichen, zeigte sich in Bonn darin, dass die APA Tage brauchte, um sich auch nur auf ihre Verhandlungsagenda für Bonn zu einigen. Am 17. Mai kam sie zusammen, aber erst am 20. Mai ging es mit den konkreten Gesprächen los. All das ist weit entfernt von der vielfach beschworenen Dynamik, die das Pariser Abkommen entfalten soll. Und bislang ist nicht absehbar, woher diese Dynamik eigentlich kommen könnte. Klar ist allenfalls: Mit den bisherigen Maßnahmen wird die Welt selbst das Zwei-Grad-Limit nicht halten können, geschweige denn das eigentlich benötigte 1,5-Grad-Limit.

Warum hat sich die Rosa-Luxemburg-Stiftung entschieden, den UN-Klimaprozess genauer zu verfolgen? Vor allem deshalb, weil die UN-Klimaverhandlungen der Ort sind, wo grundlegende Fragen der Klimagerechtigkeit verhandelt werden. Neben dem Thema Klimafinanzierung, bei dem es darum geht, wie viel Geld die Industrieländern dem Globalen Süden für Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen zur Verfügung stellen sollen, ist das Klimagerechtigkeits-Megathema der kommenden Jahrzehnte das Thema „Loss and Damage“. Denn je weiter sich die Welt von einem klimaverträglichen Temperaturpfad entfernt, desto mehr werden krasse Dürren, verheerende Überschwemmungen, zerstörerische Taifune und der Verlust ganzer Landstriche durch den Meeresspiegelanstieg zunehmen. Und damit auch der Ruf der Geschädigten nach Kompensation, nach Unterstützung und nach Möglichkeiten, sich anderswo ein gutes neues Leben aufzubauen.

Das Megathema der kommenden Jahrzehnte

Die lange Weigerung der Industriestaaten, das Thema überhaupt auf die Tagesordnung zu setzen, zeugt davon, welche politische Sprengkraft es besitzt. Seit dem vergangenen Dezember ist „Loss and Damage“ Teil des Pariser Abkommens – und der Pfad für den Kampf um echte Klimagerechtigkeit auch auf dem UN-Diplomatenparkett eröffnet. Es geht um Milliardensummen, um den Umgang mit Klimamigration sowie den Umgang mit nicht-wirtschaftlichen Verlusten (z.B. Biodiversität, Kultur, Identität etc.).  Die Kosten hierfür werden die bislang im Rahmen der Klimafinanzierung von den Industriestaaten zugesagten jährlichen 100 Milliarden Dollar ab 2020 weit überschreiten.

Zwar ist inzwischen vielen klar, dass es zwischen Klimawandel und Migration klare Verbindungen gibt (durch Extremwetterkatastrophen und durch eine schleichende Verschlechterung der Lebensbedingungen durch den Klimawandel). Wie schwer man sich jedoch tut, den Umgang mit Klimamigration zu regeln, zeigte eine Veranstaltung des für „Loss and Damage“ zuständigen Verhandlungskommittes, des Warsaw International Mechanism, in Bonn. Zu dessen Aufgabe gehört es auch, das Verständnis für klimabedingte Migration zu verbessern. So hat das Executive Committee dieses Kommittees das Mandat erhalten, eine „Climate Displacement Task Force” einzurichten, deren Umfang jedoch noch nicht klar ist. Soll sich die Task Force zum Beispiel nur um Binnenflüchtlinge kümmern oder auch um grenzüberschreitende Klimaflucht? Überhaupt entstand bei der Veranstaltung in Bonn der Eindruck, dass noch vieles unklar ist. Zu viele Akteure haben ein Interesse daran, das Thema zu verschleppen und kleinzuhalten.

Fragwürdiger Waldschutz

Auch ein weiteres Thema berührt grundlegende Fragen der Klimagerechtigkeit: die Finanzialisierung des Waldschutzes über den UN-Mechanismus REDD. REDD steht für „reduced emissions from deforestation and forest degradation“ und wurde bereits in den Vorverhandlungen des Kyoto-Protokolls 1997 diskutiert. Der zugrunde liegende Gedanke ist, dass der globale Kohlenstoffausstoß durch die Pflanzung von Bäumen oder die Nichtrodung von Wäldern reduziert werden kann und somit die Erderwärmung eingedämmt wird. Was auf den ersten Blick nach einem plausiblen Ansatz klingt, entpuppt sich jedoch beim näheren Hinsehen als äußerst problematisch.

Es gibt vier ganz grundlegende Probleme: Leakage, Additionality, Permanence und Measurement. Leakage problematisiert die Abwanderung der Holzindustrie aus geschützten Gebieten in andere ungeschützte Regionen oder Länder zur Rodung der dortigen Wälder. Additionality zeigt die Diskrepanzen zwischen den Prognosen und tatsächlichen Auswirkungen des REDD-Mechanismus auf die Wälder auf. Permanence wirft ein Schlaglicht auf den Sachverhalt, dass Bäume keine unendlichen Kohlenstoffspeicher sind und wenn sie verbrennen oder absterben, der Kohlenstoff wieder freigesetzt wird. Measurement bezieht sich auf das Problem der Messbarkeit des gespeicherten Kohlenstoffs sowie den hohen Aufwand dieser Verfahren mit gleichzeitig hohen Fehlermargen.

Grundlegend fragwürdig und den Ideen einer klimagerechten Welt widersprechend ist, dass sich Treibhausgasemittenten einfach von ihrer Klimaschuld freikaufen können. Sie kaufen sich Kohlenstoffspeicher und machen einfach weiter wie bisher. Ganz zu schweigen von den extrem schlechten Erfahrungen mit der Wirksamkeit von Emissionshandelsinstrumenten generell. Am Grundproblem, dass der globale Norden zu viel Kohlendioxid ausstößt, ändert auch der REDD-Mechanismus nichts. Er zementiert das neokoloniale „Entwicklungsgefälle“ zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden, da es meist die Länder des globalen Südens sind, die angehalten werden, ihre Wälder zu schützen, während die Firmen der Industrienationen weiterhin in rauen Mengen emittieren. REDD ist ein Mechanismus des kapitalistischen Greenwashings.

Und nicht nur das. Der Mechanismus verletzt auch grundlegende Menschenrechte. Längst hat sich  gezeigt, dass durchgeführte Projekte oftmals dazu führten, dass die Rechte der indigenen Bevölkerung verletzt werden. Ihnen wird der Zugang zum Wald versagt und sie bekommen keine Entschädigungen. Die Gelder, wenn sie überhaupt fließen, landen oft auf den Konten korrupter Politiker_innen und Privatinvestor_innen.

All diese Probleme hatten die internationale Diskussion um REDD in den letzten Jahren eigentlich abebben lassen und selbst ursprüngliche Befürworter distanzierten sich. Vor einer Weile jedoch ist REDD zurückgekehrt und wird auf dem internationalen Parket als REDD+ diskutiert. Das Plus steht für drei weitere Dimensionen: Conservation, Sustainable management und Enhancement von Wäldern. Conservation bedeutet im weitesten Sinne die Speicherung von Kohlenstoff in Schutzgebieten. Probleme, die solche Schutzgebiete für die lokale Bevölkerung bedeuten und ihnen teilweise die Lebensgrundlage entziehen, werden hier nicht diskutiert. Oftmals dient die Ausschreibung von Schutzgebeiten nur dem Zweck, die Netto-Statistik der CO2-Emissionen eines Staates zu verschönern. Die komplexen sozial-ökologischen Gegebenheiten vor Ort bleiben unberücksichtigt. Sustainable Management wiederum kann bedeuten, dass es erlaubt ist, im Wald bestimmte Hölzer zu roden. Das führt dann dazu, dass sich Konzerne an den teuren Hölzern bedienen und den Rest zum „Schutz“ stehen lasssen. Enhancement schließlich kann heißen, dass Wälder und Land in Monokulturen umgewandelt werden können, um unter dem Banner des Klimaschutzes als Kohlenstoffspeicher zu dienen. Hierbei kann sogar die Rodung von Primärwäldern und die Pflanzung von Palmölplantagen belohnt werden.

Trotz allem: Im Paris-Flow versuchen interessierte Kreise mit fragwürden Methoden REDD erneut zu pushen. Auch in Bonn rechneten sie mit Rechentricks und schicken Powerpoint-Präsentationen die Emissionseinsparungen von REDD-Projekten schön. Bezeichnend für die dahinterliegenden Interessen ist die Aussage eines Redners zu REDD+ während eines Sideevents in Bonn. „This is where the business begins, this is the interesting stuff“. Ein anderer beschrieb, wie in seinem Land Primärwälder gefällt werden, um Palmölplantagen anzubauen und dass dies ein sehr guter Prozess sei, da das Palmöl Kapitalgewinn erzeuge und gleichzeitig rein rechnerisch keine Netto-Entwaldung stattfinde. Auf einer anderen großen Veranstaltung sprach ein Vertreter von Shell über die „hervorragende nachhaltige Firmenstrategie“ des Konzerns. Deren Auswirkungen auf Mensch und Natur, beispielsweise in Nigeria, erwähnte er dagegen nicht.

REDD ist hierbei nur ein Beispiel dafür, wie Großkonzerne versuchen, ihre Interessen im UN-Prozess durchzusetzen. Kritische Stimmen hierzu hört man noch viel zu wenige. In Bonn forderten Vertreter_innen aus Ecuador das UN-Klimasekretariat auf, viel strenger zu kontrollieren, wer eigentlich als Beobachter_in auf das UN-Konferenzgelände gelassen wird. Insbesondere forderten sie, dass die Zulassungskriterien der Tatsache Rechnung tragen müssten, dass einige Akteure ganz klar ökonomische Interessen verfolgen. Interessen, die zum Teil in heftigem Widerspruch zum Klimaschutz und zur Idee der Klimagerechtigkeit stehen. Wir bleiben weiter dran.