«Künstliche künstliche Intelligenz» - diesen Begriff prägt derzeit das Unternehmen Amazon für diejenige menschliche Arbeit, die als Zuarbeit für «intelligente» Computerprogramme benötigt wird. Genaugenommen handelt es sich hierbei um eine Anspielung auf den Begriff «künstliche Intelligenz», der die menschliche Denkleistung zum Ausgangspunkt nimmt, die durch den Computer simuliert oder sogar noch übertroffen werden soll. In der amazonschen Verkehrung des Begriffs wird der Ausgangspunkt der Intelligenz auf die Maschine verlegt, die noch nicht an allen Punkten den Menschen ersetzen kann und darum maschinen-fremde, künstliche – also menschliche – Hilfe braucht.
Mensch? Maschine? Was denn nun? Computer sind datenverarbeitende Wesen. Alles, was durch Computerhände gehen soll, muss in Datenform existieren. Den Prozess der Digitalisierung könnten wir uns daher auch als Prozess vorstellen, Dinge in unterschiedlichste aus Zeichen und Symbole bestehende Informationen zu übersetzen, die diese Dinge irgendwie beschreiben. Aus Blau wird #009, aus Berlin wird 52° 31' N, 13° 24' O. Aus Brockhaus wird Wikipedia.org. Die Folge sind riesige Datenbestände, die unter dem Schlagwort «Big Data» Zeitungskolumnen und Investorenportfolios füllen.
Diese Datenbestände sind so groß, dass es schwer fällt, davon noch eine sinnvolle Vorstellung zu entwickeln. Versuchen wir es so: Stellen wir uns vor, wir hätten ein Arbeitszimmer in der Größe von Dänemark und es wäre voller Akten, Fotos und Loseblattsammlungen. Ich habe keine Möglichkeit, das in meiner Lebenszeit jemals zu sortieren oder einen Sinn in dieses Datenchaos zu bringen. Aber mit Hilfe von verschiedenen verteilten Computern könnte ich sämtliche Dokumente auf Ähnlichkeit untersuchen und versuchen, darin Muster zu erkennen oder andere Zusammenhänge zu finden. Diese Suchbewegungen folgen Algorithmen und die Schwierigkeit bleibt, dass ich die Ergebnisse dieser Suche, die Muster und Zusammenhänge, hinterher bewerten können muss. Sind die gefundenen Zusammenhänge ursächlich? Welche Bedeutung haben sie? Wie erkläre ich sie?
Der für diesen Zusammenhang verwendete Begriff «Big Data» verschleiert mehr, als dass er erklärt. Der Begriff verspricht vielmehr einen Fortschritt und benennt nicht die damit verbundenen Gefahren für beispielsweise den Datenschutz. Viele technische Entwicklungen im digitalen Feld kommen mit Begriffen daher, die erst einmal nicht so leicht zu durchschauen sind. Einige Begriffe können als Kampfbegriff neoliberaler New Economy verstanden werden. Beispielhaft steht dafür der Begriff «Sharing Economy». Sharing heißt übersetzt «Teilen» und bezeichnete noch vor ein paar Jahren die Praxis, dass Menschen freiwillig und ohne finanzielle Gegenleistung Dinge über das Internet miteinander austauschten: Musik, Bandbreite, Filme oder andere Sachen wurden geteilt. Dabei hat das Teilen im Digitalen einen besonderen Charakter: ich kann nämlich alles Digitale teilen, ohne selbst etwas abgeben zu müssen: meine Musik wird nicht weniger, wenn ich sie mit anderen teile – ganz im Gegenteil, jeder Kopiervorgang verdoppelt den digital dargestellten Inhalt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werde ich sogar um die Musiktipps meiner Online-Freunde bereichert.
»Sharing Economy« ist mittlerweile zu einem Geschäftsmodell geworden: Unternehmen wie die Taxi-Konkurrenz Uber oder die Hotel-Konkurrenz Airbnb ermöglichen nicht etwa, das Leute etwas miteinander freiwillig und ohne Ware-Geld-Tausch teilen. Vielmehr werden mit Uber Taxifahrten angeboten, ohne den Bedingungen eines Taxiunternehmens , wie ausgebildete FahrerInnen oder geregelte Tarife gerecht zu werden. Airbnb wiederum ist eine deregulierte Zimmervermittlung, die bezahlbaren Wohnraum in Pensionen umwandelt. Irgendwo zwischen Schwarzarbeitsvermittlung, Steuerbetrug und unlauterem Wettbewerb sind diese Art der Unternehmen einzuordnen. Bis dann diejenigen kommen, die diese Geschäftspraxen regulieren können – Verbote erlassen oder Geschäftsbedingungen durchsetzen - sind die Unternehmen längst verkauft und kapitalisiert. Das Internet ist schnell und diese Geschwindigkeit macht's möglich: Ich kam, ich sah, ich kapitalisierte. Die Ursprungsidee, in einer digitalen Gesellschaft einfach viel mehr und selbstverständlicher miteinander teilen zu können wird in der Sharing Economy vollständig den kapitalistischen Marktmechanismen geopfert, mit all seinen Nachteilen – nur dass die positive Assoziation des Begriffs bleibt und Teil der Werbemarke wird.
Wie aber reden wir dann über solche Unternehmungen, wenn wir deren ideologische Selbstbezeichnungen nicht benutzen wollen, zugleich aber keine Begriffe haben, die diese Form des Wirtschaften angemessen beschreiben?
Viele Begriffe der neuen technischen Welt sind bunte PR-Blasen: aufgebauscht und herbeigeredet wie einst des Kaisers neue Kleider werden angebliche neue Entwicklungen angekündigt, der «neue heiße Scheiß», lediglich um eine Vermarktung bestimmter Produkte zu befördern. Ein schönes Beispiel dafür ist «Cloud Computing». Während das ganze Internet von Anfang an aus verteilten Speichermöglichkeiten besteht, wird nun der Begriff «Cloud» für genau das eingeführt, was eigentlich schon seit Jahren unbewusst von allen Internet-NutzerInnen genutzt wird: Onlinespeicher. Im Unterschied zu der Technik des verteilten Speicherns von Daten im Internet ist Cloud Computing als das eingeführt worden, was es unterm Strich ist: ein Produkt, dass auf dieser Technik aufbaut und diese vermarktet. Aber wie können wir uns gegen diese allgegenwärtige Vermarktung des Internets wehren, wenn wir die PR-Begriffe als solche nicht einmal entlarven können – ja, sogar nicht mal verstehen? In einer Umfrage von TNS-Infratest Anfang 2016 wurde gefragt, was unter Begriffen wie «Social Media», «Big Data», «Wearables» oder «Phablet» zu verstehen ist. Das Ergebnis: Für die allermeisten sind diese digitalen Begriffe Neuland. Dennoch werden wir täglich damit konfrontiert, eine gesellschaftliche Debatte um diese Begriffe ist daher dringend nötig.
Dabei geht es nicht in erster Linie um die reine Definition dieser Begriffe, sondern vor allem um das Verstehen seiner ideologischen Aufladung. Dass dies immer ein Ergebnis gesellschaftlicher Auseinandersetzung ist, zeigt die jüngste Vergangenheit auch im nicht-digitalen Raum: Als vor über 14 Jahren die Arbeitsmarktreformen von der rot-grünen Regierung Schröders beschlossen wurden, die kurze Zeit später unter anderem die Einführung des sogenannten Arbeitslosengeld II zur Folge hatte, wurde Anfangs unisono von Flexibilisierung und Reformierung des Sozialstaats geredet. Die Arbeitsvermittlung solle effektiver werden, die Menschen sollen mehr Möglichkeiten in der Jobsuche haben und dergleichen mehr wurde verbreitet.
Ein paar Jahre und viele Proteste, Kampagnen, Diskussionen, Veranstaltungen und Veröffentlichungen später, ist heute vielen Menschen klar, dass diese Reformen zu mehr Prekarisierung führten, dass kein Mensch dadurch befähigt oder unterstützt sondern statt dessen gegängelt und unter Druck gesetzt wird. Auch dass Flexibilisierung oder Umstrukturierung im Kontext von Arbeitsorganisation als neoliberaler Kampfbegriff die Verschlechterung von Arbeitsverhältnissen meint und nicht die Verbesserung, ist mittlerweile für viele keine Neuigkeit mehr. Dieses Beispiel zeigt, dass eine Auseinandersetzung um Begriffe immer eine Auseinandersetzung um die konkrete Bewertung und Deutung unserer Welt aus linker, emanzipatorischer, humanistischer Perspektive beinhaltet. Die Auseinandersetzung um solche Begriffe endet dabei nicht in einem kritischen Lexikon, dies kann nur der Beginn sein. Begriffe zu hinterfragen und neue Begriffe zu bilden ist immer auch ein Aneignungsprozess, der nicht auf das Streiten um Worte beschränkt ist. Diese Auseinandersetzung findet in den Protesten, in den Aktionen auf der Straße genauso statt wie in den Zeitungen, Blogs, und anderen medialen Öffentlichkeiten.
Eine Begriffsdiskussion bedeutet daher, sich in Auseinandersetzung darüber zu begeben, wie eine Welt unter den technischen Bedingungen des Internets und der Digitalisierung aussehen soll. Wie sollen unsere Arbeit und unsere Arbeitsbedingungen in der digitalen Welt beschaffen sein und wessen Intelligenz und Wesen sind Ausgangspunkt unserer Überlegungen – das menschliche oder das der amazonschen Computer und kapitalistischen Gewinnerwartungen? Wie gehen wir mit den Daten um, die sich aus unserem digitalen Leben ergeben? Wie können wir in der neuen Öffentlichkeit eine Privatsphäre neu vermessen und bestimmen, die demokratische Meinungsbildung und Beteiligung garantiert? Ohne die Auseinandersetzung um die Begriffe der neuen Technologien wird die »digitale Welt« zur dritten Natur, zu einem Zustand, der scheinbar als fremd und unveränderbar von außen auf uns zu kommt und nicht von uns beeinflussbar oder veränderlich erscheint.
Wir – die NutzerInnen, BürgerInnen, KonsumentInnen, und ArbeiterInnen - sollten die Regeln dieser Welt nicht von IT-Unternehmen, Regierungen und Beratungsinstituten setzen lassen, sondern sie hinterfragen und im besten Falle selbst setzen. Denn diese neue technische Welt muss nicht entlang der maximal kapitalisierbaren Gewinne gedacht werden, sie kann ebenso als Welt entlang der Bedürfnisse der Menschen im humanistischen Sinne gedacht werden, als eine Welt, in der wahrlich intelligent gewirtschaftet, kommuniziert und Gesellschaft gestaltet wird.
Beginnen wir mit den Begriffen.
Grafik: Michael Heidinger
Die Regierung lobt gern ihre Digitale Agenda. Die Unternehmenslobby rührt mächtig für die Industrie 4.0 die Trommel. Datenschützer warnen vor Nudging und Ökonomen diskutieren über Big Data. Aber worum geht es da wirklich?
Viele Schlagworte der neuen technologischen Welt sind PR-Blasen des Kapitalismus. Andere Bezeichnungen verstärken eine diffuse Angst vor einem Fortschritt, der manchem zu schnell geht – und unter den herrschenden Verhältnissen vielen nicht zugute kommt. Wer dagegen etwas tun und also über die technikgetriebenen Veränderungen der Gesellschaft reden will, braucht Begriffe, die sich zur Analyse eignen.
Anders gesagt: Wir brauchen «Smarte Worte. Das kritische Lexikon der Digitalisierung». Angelegt als Serie, wird hier beschrieben, was hinter Robotik, Predictive Policing oder Kybernetischem Kapitalismus steckt.
«Smarte Worte» ist ein kollektives Projekt, das von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und «neues deutschland» unterstützt wird. Wir danken an dieser Stelle schon einmal: Anne Roth (ar), Chris Piallat (cp), Dagmar Fink (df), Felix Knoke (fk), Felix Stalder (fs), Halina Wawzyniak (hw), Jörg Braun (jb), Katalin Gennburg (kg). Marie Kochsiek (mk), Markus Euskirchen (me), Martha Dörfler (md), Norbert Schepers (nsc), Patrick Stary (ps), Richard Heigl (rh), Sabine Nuss (sn), Sebastian Strube (sest), Simon Schaupp (sisch), Simon Weiß (sw), Stefan Enke (se), Susanne Lang (sl), Timo Daum (td), Tom Strohschneider (tos)
Anfang Dezember wird sich die Konferenz «Unboxing. Algorithmen, Daten und Demokratie» in Berlin mit den gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung beschäftigen. Wie verändert der zunehmende Einsatz von Algorithmen die Spielregeln politischen Denkens und Handelns? Wie verändern sich Herrschaft, Kontrolle und Kapitalismus? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Kräfteverhältnisse, Organisierung und politische Intervention?
Darüber diskutieren auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 3. Dezember am Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin unter anderem NetzaktivistInnen und kritische WissenschaftlerInnen sowie Interessierte aus verschiedenen Spektren der Linken. Save the date!
Smarte Worte:
1. Big Data
2. Algorithmen
3. Kybernetischer Kapitalismus
6. Verhaltensökonomik und Nudging
8. Open Data
10. Silicon Valley
11. Soziale Medien und Web 2.0
12. Industrie 4.0
13. Schwarmintelligenz und Schwarmdummheit
16. Cyborg
17. Drohnenkrieg
18. Automatisierung der Arbeit
22. Sharing Economy
24. Cloud
25. Daten: Eigentum