Nach fünf Jahren wählen die Bürger in der Russischen Föderation am 18. September 2016 ihr höchstes Parlament, die Duma. In deutschen Leitmedien dominieren derzeit zu Russland außenpolitische und geostrategische Betrachtungen zur Bedeutung dieser Wahlen, Debatten über Konfliktherde in der Ukraine und auf der Krim sowie die Rolle des russischen Militärs in Syrien. Über die innenpolitische Bedeutung der bevorstehenden Duma-Wahlen wird deutlich weniger berichtet. Zu diesem Thema sprachen am 2. September 2016 in einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg die Leiterin des RLS-Büros in Moskau, Kerstin Kaiser, und der Germanist und Politikwissenschaftler Wladimir Fomenko, ebenfalls Mitarbeiter im Moskauer Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Zu dieser Veranstaltung waren etwa 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gekommen.
450 Abgeordnete werden am 18. September 2016 in die Duma gewählt. Das russische System für die Parlamentswahl ähnelt dem deutschen Wahlsystem. So wird die Hälfte der Abgeordneten per Erststimme direkt in ihren Wahlkreisen gewählt. Dabei kann aufgrund der Dimension des Landes ein Wahlkreis schon mal größer sein als Deutschland. Die andere Hälfte gelangt über die Parteilisten ins Parlament. Außerdem existiert eine Fünf-Prozent-Sperrklausel (bisher Sieben-Prozent-Sperrklausel), die den Eintritt zahlreicher kleiner Parteien und Gruppierungen in die Duma verhindern soll.
Nach Einschätzung von Wladimir Fomenko haben lediglich vier größere Parteien reale Chancen zum Einzug ins Parlament. Dazu gehört die Partei „Einiges Russland“, der Ministerpräsident Medwedjew angehört und die dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nahesteht. „Einiges Russland“ gilt auch als die „Kremlpartei“. Außerdem wird die Kommunistische Partei (KPRF) von Gennadi Sjuganow , die Liberal-Demokratischen Partei von Wladimir Schirinowski sowie die sozialdemokratische Partei „Gerechtes Russland“ in der neuen Duma erwartet. Der Ausgang der Wahl erscheint zwar offen, doch gehen Beobachter und Wahlforscher in Russland davon aus, dass die Kremlpartei trotz möglicher Stimmenverluste wieder mit deutlichem Abstand stärkste Partei vor der auch von Verlusten betroffenen KPRF werden könnte.
Tatsächliche Wahlmotivationen der russischen Bevölkerung seien, so Kerstin Kaiser, vor allem ihre Lebenswirklichkeit und die Alltagsprobleme der Menschen in diesem großen, multinationalen Staat vor dem Hintergrund der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Diese Lebenswirklichkeit unterscheide sich in den Hauptstadt-fernen und ländlichen Regionen deutlich vom Alltag in den modernen Metropolen Moskau und St. Petersburg aber auch den zahlreichen Millionenstädten der russischen Provinz und dem Fernen Osten.
Kaiser informierte auch über das derzeitige Verhältnis Russlands zur Europäischen Union und zu Deutschland. Die Haltung der russischen Bevölkerung zu Deutschland habe sich in den letzten Jahren und vor allem vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise und dem Wirtschaftsboykott deutlich verschlechtert. Die offiziellen deutsch-russischen Beziehungen steckten in einer Sackgasse, der 15. „Petersburger Dialog“ im Juli 2016, an dem Kerstin Kaiser beteiligt war, enttäuschte alle Erwartungen, weil hier Fortschritte von deutscher Regierungsseite blockiert worden seien.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bedankten sich für die sachlichen und kritischen Informationen durch die Referenten, die durchaus im Widerspruch zu den Informationen deutscher Medien stünden.