Documentation Mehr von euch ist besser für alle

Bericht vom Workshop zur Unterstützung der Kämpfe um mehr Personal in den Krankenhäusern in Frankfurt.

Information

Event location

Frankfurt/Main

Date

21.01.2017 - 22.01.2017

Organizer

Florian Wilde,

Am 21. und 22. Januar veranstaltete die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Frankfurt unter dem Motto «Mehr von euch ist besser für alle» einen Workshop zur Unterstützung der Kämpfe um mehr Personal in den Krankenhäusern. Immer mehr Pflegekräfte sind nicht länger bereit, Verhältnisse hinzunehmen, in denen die Profite der Krankenhaus- und Pharmakonzerne mehr zählen als die Versorgung der Menschen. Ausgehend von der Berliner Charité fordern sie eine Mindestpersonalbemessung, und ver.di bereitet für 2017 eine «Tarifrunde Entlastung» mit der Forderung nach mehr Personal vor.

Auf dem Workshop wurden die Möglichkeiten einer Unterstützung der Beschäftigten durch den Aufbau von Solidaritätsbündnissen diskutiert und die Erfahrungen aus der Charité ausgewertet.

Teilgenommen haben 35 Interessierte aus dem ganzen Land, von Hamburg bis Freiburg, von Duisburg bis Nürnberg: KankenpflegerInnen, ÄrztInnen, ver.di-Vertrauensleute, Aktive aus vielen Kreisverbänden der LINKEN, sowie aus der DKP und der Interventionistischen Linken.

TeamerInnen des Workshops waren Grit Wolf, Gesundheits- und Krankenpflegerin an der Berliner Charité und dort Mitglied der ver.di Betriebsgruppe und der Tarifkommission, Esther Braun, ebenfalls Pflegekraft und Gründungsmitglied des BürgerInnenbündnis Saarbrücker Appell für mehr Pflegepersonal sowie Mitglied im Landesvorstand von DIE LINKE Saar sowie Jan Latza, wiss. Mitarbeiter des krankenhauspolitischen Sprechers der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, der die Charité-Tarifbewegung im Berliner BürgerInnen-Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus unterstützt hat.

Personalmangel ist gesundheitsgefährdend

Immer wieder machten in den letzten Jahren Skandale um die schlechten hygienischen Bedingungen in den Krankenhäusern Schlagzeilen. Viele Kranke haben Angst, ins Krankenhaus zu gehen, weil sie Krankenhäuser nicht mehr als Orte der Heilung, sondern als Orte der Krankenhauserkrankungen ansehen. Cordula Mühr, Patientenvertreterin im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), dem höchsten Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitssystem, stellte in einem auf Studien gestützten Vortrag den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Personalausstattung und Versorgungsqualität dar - oft eine Frage von Leben und Tod. Viele Studien zeigen, dass die Sterblichkeitsrate von PatientInnen unmittelbar vom Betreuungsschlüssel des Pflegepersonals beeinflusst wird. Nicht nur durch Behandlungsfehler, sondern auch durch mangelnde PatientInnenbeobachtung sowie durch fehlende Einhaltung von Hygiene-Vorschriften, die zur vermeidbaren Ansteckung mit multiresistenten Keimen führt.

Deswegen fordern die PatientenvertreterInnen im G-BA immer wieder verbindliche Sicherheits- und Personalvorgaben und deren strikte Kontrolle durch staatliche Stellen, haben jedoch innerhalb des Gremiums nur geringe Durchsetzungschancen. Umso wichtiger sei die kommende Tarifrunde und ihre Unterstützung durch gesellschaftspolitische Bündnisse, so Cordula Mühr:. «Ihr Beschäftigten habt die volle Solidarität der Bevölkerung! Alle wissen, dass in den Krankenhäusern der totale Mist läuft. Ihr kämpft nicht nur für euch, sondern für alle (poteniellen) PatientInnen!» Hierfür sei es zentral, die Bündnisse auch für Forderungen von PatientInnen zu öffnen und gesellschaftspolitische Bedeutung der Auseinandersetzung herauszustellen.

Die neoliberale Rechnung: Immer weniger Beschäftigte für immer mehr Patienten gleich immer höhere Profit

Jan Latza stellte die Entwicklung des Personalabbaus in den Krankenhäusern in den vergangenen Jahrzehnten dar. Die von den Beschäftigten erkämpfte und Anfang der 1990er gesetzlich verankerte Pflegepersonalregelung (PPR) wurde 1996 unter neoliberalen Vorzeichen abgeschafft, was in den folgenden zehn Jahren einen Beschäftigungsabbau um fast 50.000 Vollzeit-Stellen auslöste. Zwar konnten die Gewerkschaften die Bundesregierung 2008 mit der größten Demonstration der Krankenhausbeschäftigten zur Auflage eines Pflegegeförderprogramms zwingen. Dieses erwies sich aber als Tropfen auf den heißen Stein.

Während immer mehr Personal abgebaut wurde, stieg zugleich die Zahl der PatientInnen, deren Verweildauer in den Krankenhäusern immer weiter abgesenkt wurde. Die Folge: wachsender Arbeitsdruck für die Beschäftigten, immer schlechtere Bedingungen für die PatientInnen und explodierende Gewinne für die Konzerne.

Bis in die 1980er Jahre konnten Krankenhäuser keine Profite machen: die Behandlungskosten wurden nach dem Selbstkostendeckungsprinzip vergütet,  bei dem sowohl Gewinne als auch Verluste mit den Krankenkassen verrechnet wurden. Die zynische Vorstellung, dass ein Krankenhaus dazu da ist, «schwarze Zahlen» zu schreiben oder sogar  Profite für private Konzerne zu erzielen, wurde politisch durchgesetzt und müsse darum auch politisch bekämpft werden: «Die Mindestpersonalbemessung bietet uns die Chance auf eine erste Angriffswelle auf die neoliberale Zurichtung des Gesundheitssystems insgesamt», so Latza. 

Stationsschließungsstreiks und TarifberaterInnen: Erfahrungen aus der Charité

Grit Wolf schilderte anschließend die Geschichte der Tarifbewegung für mehr Personal an der Charité. Nach der Streikbewegung für Lohnerhöhungen 2011 wurde in Befragungen deutlich, dass Personalmangel für die Beschäftigten das drängendste Probleme darstellt. Für die Forderung nach einer verbindlichen Personal-PatientInnen-Quote  für alle Bereiche mobilisierten die Beschäftigten im Frühjahr 2014 für einen Warnstreik. Nachdem in der Schlichtung ein vorübergehender Tarifvertrag ausgehandelt wurde, dessen Ziele nicht eingelöst wurden, folgte im Sommer 2015 ein unbefristeter Streik. So wurde ein Tarifvertrag erkämpft, der in einigen Bereichen die geforderten Quoten und in anderen zumindest neue Verfahren und Leitlinien festlegt, die eine an der PPR orientierte Personalplanung ermöglicht.

Auf dem Weg zu diesem (Teil-)Erfolgt mussten viele Hürden genommen werden. Zentral war eine kritische Mobilisierung des Pflege-Ethos der Beschäftigten, der in der Vergangenheit oft eine Streik- und Konfliktbereitschaft verhindert hat. «Eben weil uns die PatientInnen wichtig sind, müssen wir die Bedingungen durch Streiks verbessern. Ein ‚weiter wie bisher‘ wäre für Beschäftigte und PatientInnen unverantwortlich.»

Hinzu kamen rechtliche Hürden: dass eine Festlegung qualitativer Arbeitsstandards (Personalquoten) tatsächlich Gegenstand von Tarifverträgen sein können, musste erst durch ein wissenschaftliches Gutachten untermauert werden. Darüber hinaus waren neue Streikstrategien von Nöten: Eine entsprechende Notdienstvereinbarung mit dem Arbeitgeber ermöglichte es, in den streikbereiten Bereichen im Vorfeld keine PatientInnen aufzunehmen. So konnten akute Patientengefährdungen  vermieden werden und zugleich hoher ökonomischer Druck entfaltet werden. Im Sommer 2015 wurden 1.000 von 3.000 Betten «leergestreikt», 20 Stationen geschlossen und ein Schaden von 500.000€ pro Streiktag erzeugt,

Zur tragenden Stütze der Auseinandersetzungen an der Charité entwickelten sich die «TarifberaterInnen»: auf den Stationen gewählte Delegierte zur Beratung der Tarifkommission, die sich als zentrales Element zur Politisierung und Mobilisierung der Beschäftigten erwiesen. Besonders wichtig war die Organisierung der Arbeitsteams, die im neoliberalen System der «indirekten Steuerung» häufig (moralischen) Druck auf die einzelnen Beschäftigten entfalten, den Betrieb trotz Überlastung aufrecht zu erhalten:

«Das muss man erst begreiflich machen: Nicht die Kollegin, die krank ist, ist Schuld daran, dass wir mit zu wenig Leuten auf Station arbeiten, sondern der Arbeitgeber. Wir dürfen nicht mit immer mehr Druck auf uns reagieren, sondern müssen den Arbeitgeber zu mehr Personal zwingen», so Grit Wolf Hierfür ist es wichtig,  auf jeder Station mit jedem Beschäftigten zu sprechen, die strukturellen Ursachen für die Situation zu erläutern und Perspektiven eines gemeinsamen Kampfes um gute Bedingungen für Beschäftigte und Patienten aufzumachen.

Denn: «Wir hätten das alles aber nicht schaffen können, hätte es kein gesellschaftliches Bündnis gegeben, dass unsere Auseinandersetzungen von außen unterstützt hätte», so Wolf.