News | International / Transnational - Krieg / Frieden - Asien - Westasien - Westasien im Fokus Warum Syrien uns alle angeht – egal wo wir stehen

Kommentar zur Einnahme Aleppos durch syrische und russische Streitkräfte

Demonstration «Stop bombing Syria» am 17.12.2016 in Berlin (picture alliance / Photoshot)

Die Journalistin Hannah Wettig kommentiert in ihrem Debattenbeitrag linke Positionen zur Einnahme Aleppos durch syrische und russische Streitkräfte. Hannah Wettig berichtet seit 20 Jahren aus arabischen Ländern, unter anderem für Jungle World und analyse&kritik (ak). Seit Anfang 2012 engagiert sie sich in der Initiative «Adopt a Revolution» für Demokratie in Syrien.

Rund 3.000 Menschen kamen am 17. Dezember zur Kundgebung «Stop Bombing Syria» vor den Reichstag in Berlin. Immerhin. Sonst waren es oft nur wenige hundert, die meisten davon Syrer*innen, wenn in den vergangenen Wochen und Monaten gegen den Krieg in Syrien protestiert wurde. Antikriegsproteste sahen mal anders aus. Als sich 2003 die USA anschickten, im Irak einzumarschieren, demonstrierten mehr als eine halbe Million Menschen in Berlin dagegen.

Zugegebenermaßen schien die Gemengelage damals einfacher zu verstehen: Eine imperialistische Weltmacht wollte einen Regimewechsel im Irak herbeiführen. Der Krieg in Syrien ist komplizierter. Niemand muss jedoch den gesamten syrischen Konflikt verstehen, um gegen den Krieg zu demonstrieren. Die Fakten sind klar genug: Seit 2012 sind über 400.000 Menschen zu Tode gekommen. Im Irak waren es zwischen 2003 und 2016 knapp 200.000 – der «Iraq Body Count», ein Antikriegs-Projekt, zählt 188.071.

Wir alle kennen die Bilder aus Aleppo. Der Ostteil dieser Stadt liegt in Schutt und Asche, weil die syrische Luftwaffe, seit einem Jahr unterstützt durch die russische Luftwaffe, dort systematisch bombardiert hat. Die Meinungen darüber, warum sie das getan haben, gehen auseinander. Aber spielt das eine Rolle?

Der russische Präsident Putin und der syrische Machthaber Assad behaupten, sie bekämpften den so genannten Islamischen Staat (IS) und andere terroristische Gruppen. Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen sagen ebenso wie unabhängige Journalistinnen und Journalisten, dass das nicht ganz stimmt. Ein Blick auf eine Syrienkarte offenbart, dass der IS ganz woanders regiert. Doch selbst wer lieber Putin glaubt: Würde der Kampf gegen den IS und andere Jihadisten es rechtfertigen, dass eine halbe Stadt dem Erdboden gleich gemacht wird? Heiligt das Ziel die Mittel, nämlich sämtliche Schulen und Krankenhäuser zu bombardieren? Dürfen im Kampf gegen Islamisten alle unter ihrem Regime lebenden Menschen ausgehungert werden?

Selbst wenn die syrische und russische Kriegspropaganda stimmten, wäre ihr Handeln monströs. Von Oktober 2015 bis November 2016 sind 13.000 Zivilisten durch russische und syrische Luftschläge umgekommen. Durch die Anti-IS-Koalition unter Führung der Amerikaner starben 550 Zivilisten im gleichen Zeitraum – im Raum der Stadt Raqqa: Auch dort gibt es dicht besiedelte Gebiete.

Diese Zahlen können angezweifelt werden – das Syrian Network for Human Rights, das sie monatlich zusammenstellt, beschreibt selbst, wo Ungenauigkeiten liegen. Doch aus anderen Konflikten wissen wir: Gänzlich fälschen lassen sie sich nicht. Die Relation zeigt deutlich, welche Art von Krieg Putin und Assad führen. Daher sollten Linke gegen jede imperialistische Macht demonstrieren, die solche Kriege führt – auch wenn es nicht die USA sind. Damit muss man kein Statement gegen jeden Krieg treffen: Den Krieg der kurdischen Volksverteidigungsmilizen YPG gegen den IS mit Luftunterstützung der USA kann man durchaus als legitim betrachten – denn es ist kein Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung.

Man kann aber auch einfach das Bombardement in Syrien prinzipiell ablehnen. Jede einzelne Bombe auf zivile Ziele schafft verzweifelte, wütende Menschen. Nicht alle, aber viele von ihnen glauben in ihrer Verzweiflung, dass allein die Islamisten ihnen helfen. Das geht uns alle an. Denn mit diesem Krieg wächst ein Monster, das noch unsere Enkelkinder heimsuchen wird. Den Menschen in Syrien zu zeigen, dass uns ihr Leid nicht egal ist, ist das Mindeste, was nun jede und jeder tun kann.