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Presse release | Westeuropa Die Linke will Europa neu gründen

Kurswechsel in europäischer Integration gefordert / Vorliegende EU-Verfassung abgelehnt (Neues Deutschland, 12.3.2007)

Die Veranstaltung hätte einem literarisch-philosophischen Kolloquium alle Ehre gemacht. Gleich mehrere Redner der Konferenz »Die Europäische Union neu gründen?« am Wochenende in Berlin flochten in ihre Beiträge Zitate von Heine und Lassalle, von Lacroix und Aristoteles ein. Die »Klassiker« hatten sich in ihren Werken auch mit dem Thema Europa beschäftigt. Michael Brie von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die gemeinsam mit der linken GUE/NGL-Fraktion im Europaparlament das Forum organisiert hatte, bemühte eingangs sogar Martin Luther: »Lasst die Geister aufeinander platzen, aber die Fäuste haltet ruhig.«
Zwar mag dieser Ausruf weniger mit dem Zusammenwachsen des »alten Kontinents« zu tun haben, wohl aber mit der Diskussion in der Linken über die Entwicklung Europas. Denn tatsächlich nähern sich linke Parteien und Bewegungen, zumindest in ihren nationalen Strukturen, nur zaghaft dem Thema. Sicherlich auch, weil das Stichwort Europa nicht selten Reflexe hervorruft, die mit Realitäten nur wenig zu tun haben. Verschiedene Ansichten dürften nicht ignoriert werden, die alleinige Konzentration auf Dissenspunkte sei jedoch »kaum aktionsfördernd«, meinte denn auch Wolfgang Gehrcke, außenpolitischer Sprecher der Linken im Bundestag. Daher mahnte die Konferenz, den Stand der Integration nüchtern zu analysieren und daraus Handlungsoptionen für die Linke abzuleiten.
Wie nötig dies ist, machte Francis Wurtz, Vorsitzender der GUE/NGL-Fraktion unter Verweis auf die »Berliner Erklärung« deutlich, die von den EU-Spitzen zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge in zwei Wochen abgegeben werden soll. Schon die Ausarbeitung des Dokuments hinter verschlossenen Türen stehe im Widerspruch zu den immer wieder erklärten Zielen, die EU demokratischer, sozialer und bürgerfreundlicher zu machen. »Man muss sich auf eine schillernde Bilanz einrichten«, so Wurtz. »Aber in einer Erklärung mit ein oder zwei Seiten werden die Probleme Europas faktisch ausgeklammert.«
Dass es davon genug gibt, machten die Teilnehmer in den verschieden Gesprächsrunden deutlich, die sich mit der Bewertung des derzeitigen Zustands der EU, der Frage nach der Demokratie in Europa, dem Stellenwert von Sozialpolitik und Ökologie und nicht zuletzt dem europäischen Beitrag zu Frieden und Stabilität beschäftigten. Keinen Widerspruch gab es zu der Position, dass eine »Neugründung Europas« durch die Zerschlagung des Existierenden ebenso wenig eine vernünftige Alternative (Europaabgeordneter André Brie: »Am Ende stünde eine neoliberale europäische Freihandelszone ohne demokratische und soziale Gestaltungsmöglichkeiten.«) ist wie eine Renationalisierung. Notwendig sei aber eine politische Neugründung mit dem Ziel, ein demokratisches und soziales Europa zu schaffen, in dem die Grundrechte gesichert sind, in dem die Menschen selbstbestimmt und solidarisch miteinander leben können und das einen wirksamen Beitrag zu Frieden und internationaler Sicherheit (Gehrcke: Europa muss sich von der Politik der USA abheben) leistet. Gerade die Linke müsse dafür aktiv werden und sich »die EU als politischen Handlungsraum aneignen« (Gabi Zimmer, GUE/NGL-Abgeordnete). Der auf Eis liegende Verfassungsvertrag verdiene »demokratische Ablehnung«, wurde mehrfach bekräftigt.
Dies wurde auch auf einem internationalen Forum der Linksfraktion im Bundestag betont, das am Freitag die Position der europäischen Linken zum Verfassungsprozess diskutierte. Übereinstimmend kritisierten die Teilnehmer, darunter Fausto Bertinotti, Präsident der italienischen Abgeordnetenkammer, und Marie-George Buffet, Präsidentschaftskandidatin der französischen Linken, in Berlin den Verfassungsentwurf, der Aufrüstung und neoliberale Wirtschaftspolitik festschreibe. Er solle bleiben, wo er ist – im Mülleimer. Aber auch einem Lifting der alten Vorlage erteilten die Vertreter der Euro-Linken eine klare Absage. Europa brauche eine ganz andere, völlig neu gedachte Verfassung, die die EU zu einem Sozialstaat weiter entwickle, forderte der Fraktionsvorsitzende Oskar Lafontaine.