Publication Globalisierung - Soziale Bewegungen / Organisierung Drei Fragen zur Zukunft des Welt Sozial Forums

von Walter Baier

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Walter Baier,

Published

March 2007

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Vom 20. bis 25. Jänner 2007 fand in Nairobi das 7. Welt Sozial Forum statt. Die meisten TeilnehmerInnen schätzten vor allem die Tatsache, daß das Welt Sozial Forum erstmals auf jenem Kontinent abgehalten wurde, der von der neoliberalen Globalisierung am brutalsten betroffen ist, als einen bedeutenden Erfolg ein. Doch ist diese Einschätzung nicht unbestritten.

Bereits Ende des vergangenen Jahres hatte Chico Whitaker, Mitbegründes des Welt Sozial Forums und Träger des alternativen Nobelpreises einzelnen Gruppen in einem web-Beitrag vorgeworfen, sie hätten ein Problem, die Innovationen des Forums zu akzeptieren. „Dies resultiere aus dem enormen Gewicht jener Konzeption, der zu Folge jede politische Strategie Führer und Avantgarden haben muss, die die AktivistInnen und ihre Aktionen dirigieren. Wenn sich dies mit dem Autoritarismus verbindet, der durch den Kapitalismus verstärkt wird, und der auch die Linke auszeichnet, dann führt dies zu Machtkämpfen um die Führung und darum, welche Aktionen durchgeführt werden sollen. Damit ist der Raum für alle möglichen taktischen Manöver Schachzüge, um Terrain zu gewinnen, offen.“ [1]

Whitakers Beobachtungen treffen – wenn auch etwas rüde formuliert – ein Problem. Aber sie haben doch fast ausschließlich interne Probleme der Bewegung zum Gegenstand. Eine breitere Perspektive ergibt sich, wenn man ein Stück weit zurückzutritt, um quasi von außen auf das Forum zu schauen. Dabei gilt zu beachten, daß das Forum keinen Selbstzweck darstellt, und dass der beträchtliche organisatorische Aufwand und die persönlichen Anstrengungen, die die AktivistInnen auf sich nehmen, um an ihm teilzunehmen, sich nur unter der Bedingung rechtfertigen, daß es weiterhin eine spezifische Nützlichkeit unter Beweis stellen kann.

Dazu wäre heute erdorderlich, eine politische Debatte über den seit dem ersten Welt Sozial Forum (2001) dramatisch veränderten internationalen Zusammenhang aufzunehmen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit stellen sich mir dabei drei Fragen:

Erstens: Bereits 2002 mitten in die große Euphorie des zweiten (sehr erfolgreichen) Welt Sozial Forums in Porto Alegre hatte Vandana Shiva Realismus angemahnt:„Im Dezember 1999 standen die Menschen weltweit gegen den ökonomischen Totalitarismus der konzerngesteuerten Globalisierung auf. Aber der 11. September verschloss von neuem die Räume, die die Volksbewegungen geöffnet hatten. Das warf den Fokus auch wieder auf die innige Verbindung zwischen Gewalt, Ungleichheit und Ressourcenversschwendung.“[2]

Heute, fünf Jahre später ist die Berechtigung dieser Warnung unbestreitbar. Manche fragen sogar, ob nicht überhaupt er Idee des Welt Sozial Forums, die Zivilgesellschaft(en) zum weltweiten politischen Akteur zu machen, mit dem 11. September 2001 die Grundlage entzogen worden sei.

Blenden wir zurück: Ihren bisherigen Höhepunkt hatten die vom WSF initiierten Bewegungen am 15. Februar 2003 erlebt, als Millionen Menschen weltweit gegen den von G.W. Bush geplanten Krieg im Irak demonstrierten. Die Entwicklung hat den KriegsgegnerInnen Recht gegeben. Im Irak und in Afghanistan wird heute die strategische Krise, in die die Bush-Administration das mächtigste Land der Welt geführt hat, am deutlichsten vorgeführt.

Doch es gibt auch eine gegensätzliche Perspektive: War es den globalisierungskritischen Bewegungen um die Jahrtausendwende geglückt, die internationalen Finanzinstitutionen und die von ihnen verfolgte neoliberale Politik in die Defensive zu drängen, was unter anderem dazu führte, daß Forderungen wie die Einführung der Tobin-Tax sogar in Regierungsprogramme Eingang fanden, so scheint sich die öffentliche Wahrnehmung inzwischen völlig verschoben zu haben. Nicht mehr die von der New York-Times apostrophierte „Weltöffentlichkeit“ wird heute als die „zweite Supermacht“ betrachtet, sondern es ist das Gespenst des internationalen Terrorismus. Diesem wird sogar – ob zu Recht oder zu Unrecht – die Fähigkeit zugeschrieben, ein postmodernes Gleichgewicht des Schreckens hergestellt zu haben.

Sollte ein strategisches Ziel der Bush-Administration darin bestanden haben, mit dem „Krieg gegen den Terrorsmus“ die Zivilgesellschaften zu treffen, so hat sie dies tatsächlich zustande gebracht. Die Durchsetzung der aggressiven und militaristischen Politik der Bush-Administration desavouierte sowohl die auf Ausgleich der gegensätzlichen Interessen und die Abfederung der Globalisierungsfolgen gerichtene moderat reformerische Tendenz innerhalb der Bewegungen, gleichzeitig verengte sie aber ganz allgemein die politischen Spielräume und damit auch die Möglichkeiten einer antagonistischen und radikalen Linken.

Die Sozialforen reagierten, indem sie den Rahmen für das Entstehen einer Anti-Kriegs-Bewegung schufen. Aber erweist sich deren Formel heute nicht in gewisser Hinsicht als zu eng?

Zum einen scheint sie der Radikalität der Herausfoderung nicht zu entsprechen: Indem die zynische These, daß der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitten sei, neuerlich eine eine globale Gültigkeit beansprucht, kann, wer über den Krieg spricht, nicht zum „Imperialismus“ schweigen. Dies wird jedoch dadurch erschwert, dass das Wort „Imperialismus“ heute – in manchen linken Kreisen zumindest – als Ersatz für eine ernsthafte Analyse angeboten wird.

Entgegen einen naiven Gebrauch, nämlich der Übertragung des historischen Begriffs auf ein mit umgekehrten Vorzeichen versehenes „Reich des Bösen“ bedeutet „Imperialismus“ heute ein komplexes System, in dem neben den USA auch andere Staaten, namentlich die EU, sowie die mächtigsten transnationalen Konzernen, die Kultur- und Mediendustrien, die internationalen Finanzinstitutionen und die neokonservativen Thinktanks in unterschiedlichen Konstellationen, mit wechselnden Rollen und Gewichten agieren. Dieser Komplexität Rechnung zu tragen, gelingt nicht mit einem holzschnittartigen Feindbild, sondern verlangt präzise Analyse. Begriffe wie „Empire“ oder „neoliberale Globalisierung“ wären daher anhand ihres analytischen Gehalts zu beurteilen und nicht aufgrund ihres strategischen Werts in einem innerlinken politisch-ideologischen Kontext zu bekämpfen.

Das hat vor allem Auswirkungen auf die Debatte um Alternativen: Aus den Friedensbewegungen des vergangenen Jahrhunderts können wir lernen, daß Frieden, mehr bedeutet als die Abwesenheit von Krieg. Deshalb vereinfacht der Krieg keineswegs alle Fragen im manichäischen Sinn, und er erlaubt auch nicht, ihre Beantwortung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Durch den Krieg wird die Frage nach der anderen möglichen Welt nicht nur nicht in den Hintergrund gerückt, sondern im Gegenteil zum Schlüssel für die Mobilisierung vieler Menschen und vielfältiger Widerstände. Es ist meiner Auffassung daher gar nicht wünschenswert, Friedensbewegungen in ihrer Vielfalt zu „einer“ Anti-Kriegsbewegung zu vereinheitlichen. Worum es geht, ist im Sinne des Sozialforumsprozesses, die politische Einheit und Wirksamkeit aus der Mannigfaltigkeit vieler unterschiedlicher Erfahrungen und Ansprüche zu entwickeln. Dabei müsste sich auch das von den Sozialforen verkörperte neue Verständnis von Radikalität als radikale menschliche Emanzipation praktisch bewähren.

Wer die von den Neokonservativen betriebene Polarisierung glaubt, mitmachen zu müssen, nur unter umgekehrten Vorzeichen, endet nicht bei der Lösung, sondern dabei,Teil des Problems zu sein. Erforderlich, ist nicht das Kriegsparadigma umzukehren, sondern es als Ganzes zu verwerfen, um dem „Kampf der Kulturen“ eine Kultur des Dialogs und der Inklusion, eine Friedenskultur entgegensetzen. Dies zu akzeptieren, insoweit hat Whitaker Recht, fällt manchen Gruppen allerdings schwer.

Zweitens erleben wir heute folgenden Widerspruch: Während sich die zivilgesellschaftlichen Räume verengen, entstehen durch die jüngsten Wahlsiege der Linken, namentlich in Lateinamerika, auch neue politische Möglichkeiten. Bewiesen wird dadurch, daß soziale Bewegungen die institutionalisierte Politik tatsächlich umgestalten können. Aus dieser Erfahrung heraus wird die Debatte über das Verhältnis von Politik und Bewegung in den Sozialforen wieder aufgenommen. Dabei geht es darum, von einer ausschließlichen (und auch nicht immer aufrichtigen) starren Abgrenzung von den Institutionen wegzukommen, eine differenzierende Auseinandersetzung aufzunehmen, und das ohne die Autonomonie der zivilgesellschaftlichen Aktion in Frage zu stellen.

Die Erfahrungen mit einer Linken an der Macht sind, wie Lulas Präsidemtschaft zeigt, ambivalent. Sie können es nicht anders sein. Und dasselbe gilt auch für die Beziehungen zwischen linken politischen Parteien und sozialen Bewegungen. Die Diskussion erhielt aber noch einen anderen „spin“: Da die neuen politischen Möglichkeiten auf der Ebene der Staatsmacht zusammenfallen mit der Verengung zivilgesellschaftlicher Räume im globalen Maßstab, scheint die Schlussfolgerung nahe zu liegen, wieder auf primär etatistische Konzepte zu setzen.

Etatismus tritt heute sowohl in einer radikalen wie in einer moderaten Variante in Erscheinung. Wo letzterer sich an den gegebenen weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Realitäten erschöpft, wird sehr rasch der Vorwurf des Verrats ausgesprochen. Nicht daß dieser immer unberechtigt sein muss, aber zur Beurteilung bedeutenderer politischer Prozesse ist er nur sehr beschränkt tauglich. Tatsächlich provoziert die Verratsthese, wo sie als Ersatz konkreter Analysen des Scheiterns konkreter politischer Projekte angeboten wird, nichts weiter als die Regression des linken Diskurses in sterile Stereotype. Die in den Sozialforen geschaffene Möglichkeit, unterschiedliche Erfahrungen – auch kritisch – aufeinander zu beziehen, die eigentliche Innovation des Prozesses, würde so zerstört.

Ich sehe den Kern der Probleme, welcher sich die Bewegung zu stellen hat, also nicht in erster Linie in struktureller sondern strategischer und in prinzipieller Hinsicht.

Nicht zufällig verdichten sich Auseinandersetzungen um den Autoritarismus heute in der Anti-Kriegs-Bewegung, bedeuten Krieg und Gewalt doch die extremste Form autoritärer und patriarchaler Praxis.

Ohne die Fragen explizit so zu stellen, schreibt Simo Endre, Verantwortlicher der Arbeits- und Koordinationsgruppe des Ungarischen Sozial Forums in einem Diskussionsbeitrag aus dem September 2006: „Wir erleben bezüglich der Probleme von Krieg und Terrorismus eine Zweideutigkeit innerhalb unserer Bewegung. Alle oder fast alle verurteilen den Krieg, aber es gibt Personen und Organisationen unter uns, die die terroristischen Methoden akzeptieren, und rechtfertigen. Methoden, die wir aber auf das entschiedenste ablehnen.“[3]

Für Endre liegen diese Differenzen nicht ausschließlich auf politisch taktischer Ebene, sondern markieren fundamentale Auffassungsunterschiede. „Wenn wir weiterhin diese amoralischen Haltungen dulden, dann laufen wir Gefahr, ernsthafte Trennungen, Spaltungen und Krisen zu erleben. Wir sind der Auffassung, daß man hier keine Zugeständnisse aufkosten des wesentlichen Inhalte der Charta (des Welt Sozial Forums) machen kann, die die Zusammenarbeit im Rahmen der sozialen Bewegungen regelt.“[4]

Meine dritten Frage lautet: Haben die neuen weltpolitischen Gegebenheiten, namentlich der „Krieg gegen den Terror“ , der weltweite – zum Teil von reaktionären und fundamentalistischen Kreisen angeführte – Aufstand gegen die US-amerikanische Dominanz, so wie die Renaissance der Linken in Lateinamerika, den in den 90er Jahren eingeleiten Zyklus der weltweiten Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung in eine neue Etappe übergleitet?

Wenn das so ist, gehörten dann auch das französische und niederländische Nein bei der Volksabstimmung über den EU-Verfassungsvertrage und der Amtsantritt der Mitte-Links-Regierung in Italien unter Einschluss der beiden Kommunistischen Parteien bereits einem neuen Zyklus an, dessen Charakteristik erst zu bestimmen ist. Die Herausforderung, der wir uns dabei in den Sozialforen zu stellen haben, besteht meiner Meinung nach darin, in der weltweit zugespitzten und gefährlichen politischen Lage, den notwendigen radikalen und emanzipatorischen Anspruch genauso wenig aus den Augen zu verlieren wie die in den letzten Jahren entwicklten Innovationen einer pluralistischn und dialogischen politischen Kultur. Nicht Durchtauchen oder Aussitzen der Schwierigkeiten – etwa jener des Europäischen Sozialforums – wird dabei helfen sondern eine offene anayltische und möglicher Weise auch kritische, Debatte.

Walter Baier


[1] Chico Whitaker (2006): Toward Kenya in 2007

[2] Vandana Shiva Shiva, (2002): The Living Democracy Movement. Alternatives to the bankruptcy of globalization.

http:/www.forumsocialmundial.org.br/dynamic/eng_b_VandanaShiva.php

[3] Endre, Simon (2006): A propos Forum Social Europeen et son Future. Beitrag für eine Debatte im “Maison de l’ Europe” am 18. September 2006. Unveröffentlichstes Manuskipt

[4] Ebd.